Iken Draeger – Wissenschaftsladen Bonn | Projektbereich Arbeitsmarkt Erneuerbare Energien
© Iken Draeger

Liebe Iken Draeger, Sie haben sich auf die digitale Plattform mit ihrem Computerspiel gewagt. Welche Chancen und Perspektiven sehen Sie auf digitaler Ebene Mädchen und junge Frauen für Ausbildungsberufe in den Erneuerbaren Energien zu begeistern und zu ermutigen?

Iken Draeger: In der Berufsorientierung wird es immer mehr darum gehen, den Jugendlichen digitale Erlebnisse zu ermöglichen, die sie auf emotionaler Ebene ansprechen. Denn Berufswegentscheidungen werden eben nicht nur rational getroffen. Wichtig sind Erzählungen, in denen sich Mädchen wie Jungen wiederfinden, die sie aber auch auf unbekanntes Terrain locken. So führen wir mit unserem Point and Click-Adventure „Serena Supergreen“ Mädchen über eine spannende Story an technische Aufgaben im Bereich Erneuerbare Energien heran. Umwelt- und Klimaschutz spielen ebenfalls eine Rolle, das motiviert junge Menschen. Große Chancen für die Kommunikation von Berufen im Bereich Nachhaltigkeit sehe ich also beim Thema digitale Narration.

Im digitalen Bereich sind die jungen Menschen die Profis, wir holen sie also dort ab, wo sie sich gerne und sicher bewegen: auf dem Bildschirm, im virtuellen Raum. Diese virtuellen Welten können zu außerordentlich attraktiven Lernwelten insbesondere für Mädchen werden, wenn wir ihnen Möglichkeiten zur Identifikation, zum Ausprobieren und zum kreativen Gestalten geben.

Das Spiel wurde in den schulischen Alltag miteingebunden. Welche Erfahrungen konnten Sie aus dieser Kooperation gewinnen?

ID: Wir sind schon in der Entwicklungsphase an die Schulen gegangen und haben mit den Mädchen unter anderen an der Spielstory gearbeitet, ihre ästhetischen Ansprüche erfragt und sie in die Gestaltung der Avatarin eingebunden. Die Motivation war sehr hoch. Die Mädchen hatten eine Stimme, sie konnten etwas mitgestalten und wir haben über unsern Blog transparent gemacht, was davon wir im Spiel wie umsetzen. Uns hat es darin bestätigt, wie wertvoll die konsequente Beteiligung der Zielgruppe von Beginn an ist, nicht nur für die Akzeptanz, sondern auch für die Qualität des digitalen Lernmediums. Das sollte zum Standard in der Bildungsarbeit werden, denn noch immer werden pädagogische Materialen an der Zielgruppe vorbei entwickelt, letztendlich ein kostspieliger Unsinn.

In unserem neuen Projekt am Wissenschaftsladen Bonn „Netzwerk Grüne Berufe“ gehen wir noch einen Schritt weiter, indem wir Jugendliche beispielsweise in den Wissenschaftlichen Beirat aufnehmen und in die Qualitätssicherung des Material- und Angebotspools zur grünen Berufsorientierung einbeziehen: www.netzwerk-gruene-berufe.de. Die Jugendlichen erwerben eine Reihe von Schlüsselkompetenzen, die im Rahmenlehrplan stehen. Die Kooperation ist also kein Add on. Das überzeugt auch die Schulen, uns Unterrichtszeit zur Verfügung zu stellen.

Welche (direkte) Rückmeldungen haben Sie von Spielerinnnen, zu ihrem Computerspiel erhalten?

ID: Wir haben so viele Rückmeldungen von unserer Gamerinnen-Community erhalten, dass sich diese Frage nicht in einem Absatz beantworten lässt. Allein jeden Monat gab es eine Mitmach-Aktion, bei der die Mädchen Ideen einbringen und Kritik äußern konnten. Später kamen noch die Ergebnisse der Testspiele dazu. In unserem Pressearchiv haben wir die Blogbeiträge dazu gesammelt. Sie können sich also gerne im Detail informieren: http://serena.thegoodevil.com/projekt/presse/archiv/.

Insgesamt sind die Rückmeldungen sehr positiv. Gut finden die Mädchen, dass die Hauptfigur weiblich ist. Die Jungen äußern sich dazu eher nicht, spielen aber trotzdem ein Mädchen. Auch das Gamesetting und die Handlung werden gelobt, ebenso das Gamedesign. Die meisten Jugendlichen spielen das Spiel bis zum Ende durch, was immerhin vier bis fünf Stunden dauert. Offensichtlich haben unsere Gamedesigner/innen von the Good Evil mit Unterstützung der Zielgruppe eine Spielwelt geschaffen, die Mädchen und auch Jungen anspricht und ihnen ein Flow-Erlebnis verschafft. Die Quests scheinen spannend genug, dass die Jugendlichen am Ball bleiben und sich den technischen Herausforderungen stellen. Kritik gab es immer dort, wo etwas nicht funktionierte. Was gut war, denn so konnten wir Bugs schnell beheben und die technische Steuerung optimieren.

In einer zweiten Projektphase evaluieren wir nun die mittelfristigen Effekte des Spiels – unter anderem auch in Bezug auf den Berufsorientierungsprozess. Hier erhoffen wir uns wichtige Hinweise zur wirksamen Einbettung des Spiels in den Arbeitslehreunterricht: http://serena.thegoodevil.com/forschung/.

Wie schätzen Sie die weiteren Möglichkeiten der digitalen Welt ein, Mädchen und junge Frauen für MINT Berufsausbildungen zu begeistern?

ID: Die digitale Welt kann ein geschützter Raum sein, der vor allem auch Mädchen die Möglichkeit bietet, sich auszuprobieren, Dinge auszutesten, die sie sich sonst nicht zutrauen würden. Indem wir den Mädchen virtuelle Erfolgserlebnisse im technischen Bereich ermöglichen, geben wir ihnen Selbstvertrauen. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Berufswegplanung aus. Denn technisch trauen sich viele junge Frauen immer noch viel zu wenig zu und wählen dementsprechend auch keinen Beruf in diesem Feld. Hier sehe ich große Potenziale einer gendersensiblen Berufsorientierung. Wir haben dazu auch eine Checkliste für den Unterricht erarbeitet: http://serena.thegoodevil.com/wp-content/uploads/Checkliste_Geschlechtersensible-Berufsorientierung_Serena_20161110.pdf.

Bei „Serena Supergreen“ haben wir mit Hilfe von Psychologinnen und Psychologen der TU Dresden spezielle Feedbackstrategien in das Spielgeschehen implementiert. So können sich die Spielerinnen und Spieler nach Bedarf bei anderen Figuren Unterstützung für die Lösung der technischen Aufgaben holen – ohne dass lästige Infoboxen aufpoppen. Außerdem erhalten sie nach jedem Level eine auf ihre eingangs vorgenommene Selbsteinschätzung angepasste Rückmeldung zu ihren technischen Fähigkeiten.

In der Zukunft möchten wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern TU Dresden, TU Berlin und the Good Evil in den Bereich Virtual bzw. Augmented Reality vorstoßen, um auch hier die Potenziale der MINT-Bildung auszuloten. Eine Projektskizze liegt schon in der Schublade.

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

ID: Was mich bei meiner bildungswissenschaftlichen Arbeit motiviert, sind die kleinen Fenster für Veränderung, die immer wieder aufpoppen. Es fühlt sich gut an, jungen Leuten Mut zu machen, vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie beispielsweise Geschlechterstereotype zu hinterfragen und ihnen die Werkzeuge zum Aufbegehren in die Hand zu geben. Abends denke ich dann, dass wir ihnen viel mehr Raum geben müssten, Erfahrungen zu sammeln, sonst wird das nichts mit der Weltrevolution. Ich empfehle Naomi Kleins aktuelles Buch „Kapitalismus vs. Klima“ zu lesen. Das zeigt, in welche Richtung es gesellschafts- und umweltpolitisch gehen muss, um Klimawandel, Armut, Entfremdung, Rassismus und globale Ungleichheit zu bekämpfen.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworte, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

ID: Wie müsste ein Bildungssystem jenseits der kapitalistischen Logik gestaltet sein, das junge Menschen für eine demokratische, ökologische und egalitäre Gesellschaft fit macht? Nur bräuchte es Freiräume und Verständnis für solch ein neues Modell, um diese Frage zu beantworten.

Das Interview führte Linn Schaan