DIE: Die aktuelle Kolumne | Earth Day 2021 – Auf in die „grünen Zwanziger“!

Der Earth Day am 22. April steht in diesem Jahr unter dem Motto „Restore Our Earth!“, also der Aufforderung, unsere Erde wieder in Stand zu setzen. Dies kann nicht an einem einzelnen Aktionstag gelingen. Nach Einschätzung von UN-Generalsekretär António Guterres und den einschlägigen wissenschaftlichen Sachstandsberichten bleibt der Menschheit ein knappes Jahrzehnt, um die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Galten die 1920er Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus einer westlich dominierten Weltsicht wahlweise als „années folles“, als „roaring twenties“ oder als „goldene Zwanziger“, könnte die nun vor uns liegende Dekade als „grüne Zwanziger“ in die Geschichte eingehen – und dies durchaus aus globaler Perspektive!

Die Chancen dafür stehen besser, als noch vor wenigen Jahren gedacht. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen geben den Regierungen weltweit die normativen Grundlagen sowie explizite politische Mandate und Zielvorgaben, um die Zukunft entsprechend zu gestalten.

Der angestrebte Wandel ist nicht nur ethisch geboten. Strukturelle ökonomische Notwendigkeiten sprechen sowohl in wohlhabenden Industrienationen als auch in aufstrebenden Entwicklungs- und Schwellenländern noch stärker dafür als ein womöglich kurzlebiger Zeitgeist. Zudem gibt es einen beträchtlichen Vorlauf: Seit dem offiziell ersten Earth Day von 1990 wurden nachhaltige Entwicklung als Paradigma der internationalen Zusammenarbeit und die Bekämpfung des Klimawandels als zentrales Thema auf der internationalen politischen Agenda verankert. Es ist also kein historischer Zufall, dass Agenda 2030 und Pariser Abkommen gleichsam den internationalen Handlungsrahmen für die 2020er Jahre strukturieren.

Das Pariser Abkommen erfordert nicht nur, die globale Erwärmung zu bremsen, sondern auch den mit dem Klimawandel einhergehenden Risiken zu begegnen und die globalen Finanzflüsse dahingehend konsequent umzugestalten. Die Agenda 2030 bietet den Rahmen für 17 konkrete Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die universell gelten und dabei niemanden zurücklassen sollen – verbunden mit dem expliziten Anspruch, eben diese Ziele bis zum Jahr 2030 zu erreichen.

Die COVID-19-Pandemie hat diese Anstrengungen zurückgeworfen. Messbar untergräbt sie die sozioökonomischen Entwicklungserfolge der Vorjahre. Sie überfordert Gesundheitssysteme und verstärkt die Auswirkungen paralleler Krisen, deren vielfältige Ursachen Dürrekatastrophen, Heuschreckenplagen und Gewaltkonflikte einschließen.

Zugleich bietet die globale Reaktion auf „Corona“ große Chancen, strukturelle Maßnahmen für einen transformativen Wandel voranzutreiben und deren Schubkraft zu verstärken. Entscheidend für das Gelingen ist, dass die billionenschweren Konjunkturpakete als Hebel sozial-ökologischer Kurskorrekturen angesetzt werden und nicht – wie nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 –primär auf die Wiederherstellung des Status quo ante zielen. An den nötigen Mitteln dürfte es dabei nicht fehlen: Schon im Oktober 2020 entsprachen die weltweit zugesagten Konjunkturhilfen bereits grob dem Dreifachen der Krisenreaktion von 2008/2009.

Dabei führt uns die Corona-Pandemie drastisch vor Augen, dass die integrierte Betrachtung komplexer Wirkungszusammenhänge nicht dem Wunsch nach wissenschaftlicher Selbstbeschäftigung entspringt, sondern materielle Realitäten abbildet. Konjunkturpakete mit sozial-ökologischen Zielen zu verknüpfen bedeutet auch, die nationalen Klimaziele mit den SDGs zu verzahnen und Handlungsfelder zu priorisieren, die eine hohe katalytische Wirkung erwarten lassen: Erneuerbare Energien, der Schutz von Biodiversität, Land- und Wasserressourcen und emissionsarme Infrastrukturen, speziell in der Stadtentwicklung. Auch die Notwendigkeit, die landwirtschaftliche Produktion derart zu steigern, dass die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung gesichert und zugleich landwirtschaftliche Treibhausgasemissionen gemindert werden, um einen Klimawandel zu verhindern, der wiederum die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen untergräbt, ist exemplarisch für die Komplexität der Zusammenhänge. Hier zeigt sich eines der zentralen Spannungsfelder zwischen nachhaltiger Entwicklung und Klimapolitik, die ihrerseits auf funktionstüchtige Landressourcen und Kohlenstoffsenken angewiesen ist.

Die unlängst veröffentlichte und umfassend überarbeitete Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wie auch der europäische „Green Deal“ weisen genau in die Richtung eines solchen integrierten Politikverständnisses. Gelingt es, derartige Strategien unter dem Eindruck der Corona-Krise mit Leben zu füllen und die bislang vorherrschende Diskrepanz zwischen Einsicht und Handeln zu überwinden, spricht vieles dafür, dass wir zumindest am Beginn des „grünsten“ Jahrzehnts stehen, das die Welt seit Beginn der Industrialisierung gesehen hat. Das heißt nicht, dass der benötigte Wandel zum Selbstläufer wird. Um den Klimawandel zu bremsen und die SDGs zu erreichen, müssen Regierungen und Gesellschaften die verfügbaren Hebel konsequent nutzen. Dabei bleibt keine Zeit zu verlieren, denn auch das grünste Jahrzehnt wird immer nur ein Herzschlag der Zeitgeschichte sein.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Steffen Bauer, 19.04.2021