DIE: Warum hohe Nahrungsmittelpreise nicht nur schlecht für Entwicklung sind

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre erlebt die Welt einen dramatischen Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel. Der Nahrungsmittelpreisindex der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hat mittlerweile den höchsten Stand seit seiner Einsetzung im Jahr 1990 erreicht. Besonders Mais und Weizen sind teuer, aber auch Fleisch, Milchprodukte, Pflanzenöle und Zucker. Der für die weltweite Ernährungssicherung besonders wichtige Reispreis hat hingegen bisher noch nicht nennenswert angezogen.

Die prinzipiellen Ursachen der hohen Preise sind mittlerweile hinlänglich bekannt, wenn auch um die relative Bedeutung einzelner Faktoren nach wie vor heftig gestritten wird: Die Nachfrage steigt durch steigende Bevölkerung, Verstädterung, höhere Nachfrage nach tierischen Veredelungsprodukten und die Förderung von Biokraftstoffen. Das Angebot kann der Nachfrage zwar (noch) folgen, aber die Produktionsmengen schwanken stark. Reduzierte Lagerhaltung und vermehrte Spekulation an Spot- und Warenterminbörsen führen zu höheren Risiken und verstärken Preisschwankungen. Staatliche Eingriffe in Export- und Importmärkte haben insbesondere während der ersten Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08 zur weiteren Preiseskalation beigetragen.

Als Folgen der hohen Preise stehen derzeit der Anstieg der Zahl hungernder Menschen sowie politische Unruhen im Zentrum der Debatte. Die erste Krise soll zu einem Anstieg der unterernährten Menschen um 125 Millionen Menschen auf mehr als 1 Milliarde geführt haben. In fast 60 Ländern brachen Unruhen aus. In der Folge haben viele Länder und Investoren begonnen, in großem Stil Land in Entwicklungsländern zu akquirieren (sogenanntes land grabbing), was seinerseits zu lokalen Konflikten führt. Die hohen Nahrungsmittelpreise der aktuellen Krise haben nach Ansicht von Beobachtern in vielen Ländern des Nahen Ostens, die besonders stark von Nahrungsmittelimporten abhängen, zum breiten Unmut in der Bevölkerung beigetragen und damit einen Beitrag zu den politischen Umwälzungen in dieser Weltregion geleistet.

Ein Aspekt hoher Nahrungsmittelpreise, der bisher nicht ausreichend gewürdigt wird, ist ihr positiver Beitrag zur Entwicklung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern und damit zur Bekämpfung von ländlicher Armut. Dazu muss man zunächst wissen, dass die Zahlen über einen Anstieg der Zahl der Hungernden zunächst statistische Projektionen sind. Sie kommen dadurch zu Stande, dass unterstellt wird, die Weltmarktpreisänderungen würden in vollem Umfang auf die lokalen Märkte durchschlagen und Haushalte bei Verkauf (Wirkung auf Einkommen) und Zukauf (Wirkung auf Ausgaben) der entsprechenden Produkte so betreffen, als wenn sich sonst nichts ändern würde (der bekannte ceteris paribus-Ansatz der Ökonomie). Diese Sichtweise ist zwar für eine kurzfristige Analyse plötzlicher Preissteigerungen akzeptabel: Städtische Haushalte betreiben kaum Lagerhaltung und sind unmittelbar betroffen. Bäuerliche Haushalte lagern einen Teil ihrer landwirtschaftlichen Produktion; aber die Bauern können nicht voraussehen, dass die Preise (derart) steigen, und werden daher nicht mehr produzieren und nur wenige werden Verkäufe zurückhalten. Sie profitieren daher kaum, und viele kaufen sogar einen Teil ihrer Nahrungsmittel zu.

Für eine entwicklungspolitische Betrachtung ist die beschriebene kurzfristige Sichtweise aber ungenügend, vielmehr regen höhere Agrarpreise längerfristig oft einen positiven Entwicklungskreislauf an: Landwirte investieren in die Ausweitung der Produktion. Sie brauchen dafür Produktionsmittel wie Dünger, in den meisten Entwicklungsländern aber insbesondere Arbeitskräfte von landlosen oder landarmen Haushalten. Diese sind neben knappem Land das wichtigste Produktionsmittel in einer allenfalls teilmechanisierten Landwirtschaft. Diese theoretischen Zusammenhänge sind auch in der Praxis zu belegen. So stieg nach der ersten Nahrungsmittelpreiskrise die Produktion der wichtigsten Grundnahrungsmittel in den meisten Entwicklungsländern deutlich an, oft um mehr als 10 Prozent. Höhere Preise und höhere Produktion ergeben höhere Einkommen für die Bauern. Zusammen mit der höheren landwirtschaftlichen Lohnsumme (und langfristig auch steigenden Löhnen) sowie der Anregung der dem Agrarsektor vor- und nachgelagerten Bereiche (Produktionsmittel, Kredite, Handel, Verarbeitung) sorgen sie für mehr Kaufkraft im ländlichen Raum. Diese kommt hauptsächlich inländischen, oft lokalen Gütern und Dienstleistungen (bzw. denjenigen, die diese bereitstellen) zugute. Damit kommt ein positiver Kreislauf von ländlicher Entwicklung in Gang, der hochgradig armutsmindernd ist.

Diese langfristige Perspektive ist der Kern der jahrzehntelangen Forderung von Ökonomen und Entwicklungspolitikern nach Reduzierung der horrenden staatlichen Unterstützung der Landwirtschaft in den Industrieländern, die die Agrarpreise auf den Weltmärkten senkt. Im Laufe der letzten Jahre hat sich insbesondere durch das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) zwar nicht die absolute, aber wenigstens die relative Höhe der Agrarstützungen stetig verringert.

Mit der Überbetonung niedriger Agrarpreise als Königsweg zu weniger Hunger besteht aber das Risiko, dass sich der Druck für weitere Agrarreformen in den Industrieländern vermindert. So verständigten sich die Agrarminister der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kürzlich darauf, dass es ihre wichtigste Priorität sei, für eine wachsende Weltbevölkerung ein adäquates Angebot von sicheren und nahrhaften Nahrungsmitteln bereitzustellen. Als ob die Entwicklungsländer nicht in der Lage wären, dies selber zu tun, wenn man sie denn ließe und unterstützen würde.

Eine Niedrigpreispolitik für Nahrungsmittel ist kein Allheilmittel für Armut und Unterernährung – im Gegenteil. Während die Nahrungsmittelpreiskrise eventuell zusätzliche 125 Millionen Menschen kurzfristig in den Hunger trieb, litten die zwei Drittel der 850 Millionen Hungernden, die Kleinbauern und Viehhalter sind, bereits vor der Krise unter den Niedrigpreisen. Auch deshalb kaufen sie heute teilweise Nahrung zu. Die Produktivkraft der ländlichen Bevölkerung in den Entwicklungsländern sollte die erste Wahl für eine kohärente Agrar- und Entwicklungspolitik sein, wenn es um die Bekämpfung des Hungers in der Welt geht. Dafür sind mäßig höhere Agrarpreise ein wichtiges Instrument. Negative Auswirkungen auf arme Konsumenten müssen durch soziale Sicherung aufgefangen werden. Schädlich sind die starken Preisschwankungen, nach oben wie nach unten, denn sie lassen keine solide Investitionsplanung zu. Dies sollte einer der Schwerpunkte weltweiter Ernährungssicherungspolitik sein.

Von Dr. Michael Brüntrup, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

KolumneZum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre erlebt die Welt einen dramatischen Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel. Der Nahrungsmittelpreisindex der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hat mittlerweile den höchsten Stand seit seiner Einsetzung im Jahr 1990 erreicht. Besonders Mais und Weizen sind teuer, aber auch Fleisch, Milchprodukte, Pflanzenöle und Zucker. Der für die weltweite Ernährungssicherung besonders wichtige Reispreis hat hingegen bisher noch nicht nennenswert angezogen.

Die prinzipiellen Ursachen der hohen Preise sind mittlerweile hinlänglich bekannt, wenn auch um die relative Bedeutung einzelner Faktoren nach wie vor heftig gestritten wird: Die Nachfrage steigt durch steigende Bevölkerung, Verstädterung, höhere Nachfrage nach tierischen Veredelungsprodukten und die Förderung von Biokraftstoffen. Das Angebot kann der Nachfrage zwar (noch) folgen, aber die Produktionsmengen schwanken stark. Reduzierte Lagerhaltung und vermehrte Spekulation an Spot- und Warenterminbörsen führen zu höheren Risiken und verstärken Preisschwankungen. Staatliche Eingriffe in Export- und Importmärkte haben insbesondere während der ersten Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08 zur weiteren Preiseskalation beigetragen.

Als Folgen der hohen Preise stehen derzeit der Anstieg der Zahl hungernder Menschen sowie politische Unruhen im Zentrum der Debatte. Die erste Krise soll zu einem Anstieg der unterernährten Menschen um 125 Millionen Menschen auf mehr als 1 Milliarde geführt haben. In fast 60 Ländern brachen Unruhen aus. In der Folge haben viele Länder und Investoren begonnen, in großem Stil Land in Entwicklungsländern zu akquirieren (sogenanntes land grabbing), was seinerseits zu lokalen Konflikten führt. Die hohen Nahrungsmittelpreise der aktuellen Krise haben nach Ansicht von Beobachtern in vielen Ländern des Nahen Ostens, die besonders stark von Nahrungsmittelimporten abhängen, zum breiten Unmut in der Bevölkerung beigetragen und damit einen Beitrag zu den politischen Umwälzungen in dieser Weltregion geleistet.

Ein Aspekt hoher Nahrungsmittelpreise, der bisher nicht ausreichend gewürdigt wird, ist ihr positiver Beitrag zur Entwicklung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern und damit zur Bekämpfung von ländlicher Armut. Dazu muss man zunächst wissen, dass die Zahlen über einen Anstieg der Zahl der Hungernden zunächst statistische Projektionen sind. Sie kommen dadurch zu Stande, dass unterstellt wird, die Weltmarktpreisänderungen würden in vollem Umfang auf die lokalen Märkte durchschlagen und Haushalte bei Verkauf (Wirkung auf Einkommen) und Zukauf (Wirkung auf Ausgaben) der entsprechenden Produkte so betreffen, als wenn sich sonst nichts ändern würde (der bekannte ceteris paribus-Ansatz der Ökonomie). Diese Sichtweise ist zwar für eine kurzfristige Analyse plötzlicher Preissteigerungen akzeptabel: Städtische Haushalte betreiben kaum Lagerhaltung und sind unmittelbar betroffen. Bäuerliche Haushalte lagern einen Teil ihrer landwirtschaftlichen Produktion; aber die Bauern können nicht voraussehen, dass die Preise (derart) steigen, und werden daher nicht mehr produzieren und nur wenige werden Verkäufe zurückhalten. Sie profitieren daher kaum, und viele kaufen sogar einen Teil ihrer Nahrungsmittel zu.

Für eine entwicklungspolitische Betrachtung ist die beschriebene kurzfristige Sichtweise aber ungenügend, vielmehr regen höhere Agrarpreise längerfristig oft einen positiven Entwicklungskreislauf an: Landwirte investieren in die Ausweitung der Produktion. Sie brauchen dafür Produktionsmittel wie Dünger, in den meisten Entwicklungsländern aber insbesondere Arbeitskräfte von landlosen oder landarmen Haushalten. Diese sind neben knappem Land das wichtigste Produktionsmittel in einer allenfalls teilmechanisierten Landwirtschaft. Diese theoretischen Zusammenhänge sind auch in der Praxis zu belegen. So stieg nach der ersten Nahrungsmittelpreiskrise die Produktion der wichtigsten Grundnahrungsmittel in den meisten Entwicklungsländern deutlich an, oft um mehr als 10 Prozent. Höhere Preise und höhere Produktion ergeben höhere Einkommen für die Bauern. Zusammen mit der höheren landwirtschaftlichen Lohnsumme (und langfristig auch steigenden Löhnen) sowie der Anregung der dem Agrarsektor vor- und nachgelagerten Bereiche (Produktionsmittel, Kredite, Handel, Verarbeitung) sorgen sie für mehr Kaufkraft im ländlichen Raum. Diese kommt hauptsächlich inländischen, oft lokalen Gütern und Dienstleistungen (bzw. denjenigen, die diese bereitstellen) zugute. Damit kommt ein positiver Kreislauf von ländlicher Entwicklung in Gang, der hochgradig armutsmindernd ist.

Diese langfristige Perspektive ist der Kern der jahrzehntelangen Forderung von Ökonomen und Entwicklungspolitikern nach Reduzierung der horrenden staatlichen Unterstützung der Landwirtschaft in den Industrieländern, die die Agrarpreise auf den Weltmärkten senkt. Im Laufe der letzten Jahre hat sich insbesondere durch das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) zwar nicht die absolute, aber wenigstens die relative Höhe der Agrarstützungen stetig verringert.

Mit der Überbetonung niedriger Agrarpreise als Königsweg zu weniger Hunger besteht aber das Risiko, dass sich der Druck für weitere Agrarreformen in den Industrieländern vermindert. So verständigten sich die Agrarminister der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kürzlich darauf, dass es ihre wichtigste Priorität sei, für eine wachsende Weltbevölkerung ein adäquates Angebot von sicheren und nahrhaften Nahrungsmitteln bereitzustellen. Als ob die Entwicklungsländer nicht in der Lage wären, dies selber zu tun, wenn man sie denn ließe und unterstützen würde.

Eine Niedrigpreispolitik für Nahrungsmittel ist kein Allheilmittel für Armut und Unterernährung – im Gegenteil. Während die Nahrungsmittelpreiskrise eventuell zusätzliche 125 Millionen Menschen kurzfristig in den Hunger trieb, litten die zwei Drittel der 850 Millionen Hungernden, die Kleinbauern und Viehhalter sind, bereits vor der Krise unter den Niedrigpreisen. Auch deshalb kaufen sie heute teilweise Nahrung zu. Die Produktivkraft der ländlichen Bevölkerung in den Entwicklungsländern sollte die erste Wahl für eine kohärente Agrar- und Entwicklungspolitik sein, wenn es um die Bekämpfung des Hungers in der Welt geht. Dafür sind mäßig höhere Agrarpreise ein wichtiges Instrument. Negative Auswirkungen auf arme Konsumenten müssen durch soziale Sicherung aufgefangen werden. Schädlich sind die starken Preisschwankungen, nach oben wie nach unten, denn sie lassen keine solide Investitionsplanung zu. Dies sollte einer der Schwerpunkte weltweiter Ernährungssicherungspolitik sein.

Von Dr. Michael Brüntrup, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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