Entwicklungspolitisches Fachgespräch Nr. 104
am Dienstag, den 3.6.2014, um 17.30 (bis 19.00) Uhr
im Hörsaal des DIE (Tulpenfeld 6).
Gesprächspartner sind Guido Ashoff und Stephan Klingebiel (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik). Die Veranstaltung wird moderiert von G. Oldenbruch. Im Anschluss daran lädt SID zu einem Vin d’Honneur ein.
Grundlage der Diskussion ist das von Guido Ashoff und Stephan Klingebiel verfasste Discussion Paper Nr. 9/14 des DIE mit dem oben genannten Thema.
Abstract
Seit Beginn der 2000er Jahre haben sich in der internationalen Staatengemeinschaft zwei grundlegende Erkenntnisse bezüglich der Entwicklungspolitik durchgesetzt. Erstens befindet sich die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in einer Systemkrise. In der Art und Weise, wie sie organisiert ist und betrieben wird, ist sie Teil des Problems, zu dessen Lösung sie beitragen will. Die Antwort darauf ist der Versuch einer Systemreform, die in ihren Ambitionen und ihrer internationalen Anerkennung beispiellos in der Geschichte der EZ ist (Paris-Accra-Busan-
Agenda, Globale Partnerschaft für wirksame EZ). Zweitens hat sich die Systemumwelt der Entwicklungspolitik erheblich verändert. Das gilt sowohl für die Entwicklungsproblematik, auf die Entwicklungspolitik reagiert, als auch das Umfeld, in dem sie agiert. Hierauf hat z.B. die OECD in ihrer Ende Mai 2012 verabschiedeten „Strategy on Development“ unmissverständlich hingewiesen.
Vor diesem Hintergrund haben die beiden Autoren unter dem Titel „Transformation eines Politikfeldes: Entwicklungspolitik in der Systemkrise und vor den Herausforderungen einer komplexeren Systemumwelt“ einen Beitrag vorgelegt, der auf Englisch als DIE-Discussion Paper 9/2014 erschienen ist und zu folgendem Fazit gelangt:
Die EZ-Systemreform bezieht die stattfindenden Strukturumbrüche in Teilen ein, unter anderem indem neue Kategorien (etwa im Rahmen der „Busan-Deklaration“) für „neue Geber“ diesen Veränderungen Rechnung tragen sollen. Das EZ-System reagiert auf den globalen Strukturwandel insgesamt mit Anpassungen; gleichwohl sind angesichts der grundlegenden Veränderungen der Systemumwelt übergreifende neue internationale Kooperationsansätze unter Einbeziehung aller relevanten Politikfelder kaum erkennbar. Umbrüche in der Systemumwelt gehen deutlich über den Aktionsradius von EZ hinaus. Während das EZ-System sich einerseits weiterentwickelt, gelingt es mit dem System andererseits nur noch teilweise, die internationalen Kooperationsbeziehungen zu erfassen und zu regeln. Für Partnerländer nimmt die Attraktivität und Bedeutung von EZ ab, Kooperationsbeziehungen sind vielfach nicht mehr durch eine EZ-Logik bestimmt.
Die Begründungszusammenhänge und das Systemumfeld der EZ haben sich seit den Anfängen in den 1950er und 1960er Jahren kontinuierlich verändert. Der Strukturwandel insbesondere der 2000er Jahre weist nicht nur darauf hin, dass sich das Politikfeld fortwährend weiterentwickelt und anpasst, sondern in seinen Kernfunktionen einer grundsätzlichen Neuorientierung unterliegt. Diese Reformen und Veränderungen sind jedoch nicht automatisch konsistent, sondern oftmals widersprüchlich.
Zum einen macht die Debatte über die Wirksamkeit von EZ den Anspruch deutlich, das Politikfeld hinsichtlich seiner originären Kernaufgabe – Beiträge zu Entwicklungsprozessen in den Entwicklungsländern zu leisten – weiter zu entwickeln und zu professionalisieren. Gleichwohl war EZ seit ihren Anfängen zu keinem Zeitpunkt spannungs- und interessenfrei, sondern vielfach sogar dominiert durch außenpolitische und wirtschaftliche Opportunitäten. Die aid effectiveness-Debatte und die damit einhergehenden internationalen Verhandlungsprozesse haben zu einer EZ-Systemreform durch verbesserte Qualitätsstandards geführt. Dennoch lassen Geberpraktiken erkennen, dass sich EZ-Organisationen nur schwerfällig reformieren lassen. Die Rationalität der Akteure ist überwiegend auf Proliferation, Fragmentierung und Fortbestand der EZ-Implementierungsstrukturen angelegt. Die Voraussetzungen auf der Partnerländerseite zur Steigerung der Wirksamkeit sind zudem uneinheitlich und oftmals nicht entwicklungsförderlich (Rolle klientelistischer und neopatrimonialer Strukturen etc.).
Zum anderen deckt die „Paris-Accra-Busan-Agenda“ nur noch bruchstückhaft die Realität der zunehmend komplexeren Kooperationsbeziehungen ab. Hierfür sind verschiedene Trends verantwortlich. Erstens sinkt die Zahl der klassischen EZ-Partner deutlich. Entwicklungspolitische Planungs-, Steuerungs- und Allokationsprozesse etwa im Rahmen sogenannter Armutsstrategien werden daher mittelfristig weiter an Bedeutung verlieren. Zweitens ist die Zahl der Akteure, die Kooperationsbeziehungen mit den Entwicklungsländern unterhält, stark gestiegen. Der Wettbewerb zwischen Akteuren hat daher zu-, der Einfluss der klassischen Geber abgenommen. Drittens sind die EZ-Instrumente der traditionellen OECD-Geberwelt nicht mehr der einzig bestimmende internationale Standard. Geber wie China und Indien sehen sich keineswegs gebunden an die klassische Normsetzungsfunktion etwa des Entwicklungshilfeausschusses der OECD. Kooperationsinstrumente sind vielfältiger, oftmals auch hinsichtlich der Rolle öffentlicher und privater bzw. vergünstigter und nicht-vergünstigter Ressourcen komplexer. Viertens gilt für alle externen Akteure ein wachsender Interessenwettbewerb zwischen verschiedenen auf die globale Ebene ausgerichteten Politikfeldern. Dies trifft etwa auf die internationale Umweltpolitik (Klimafinanzierung), das Wiedererstarken von strategischen Rohstoffinteressen und die Sicherheitspolitik zu. Schließlich sind die strukturellen Wirkungen der seit 2008 begonnenen globalen Finanzkrise noch keineswegs absehbar; gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Krise in vielerlei Hinsicht eine Zäsur darstellt. Mit ihr verbunden sind nicht nur Fragen der unmittelbaren mittelfristigen Ressourcenausstattung für das Politikfeld EZ (Effekte der Austeritätspolitiken etc.), sondern auch Fragen der internationalen Kooperationsmuster (mögliche Anreize für GPG-Ansätze) und des Modellcharakters von Entwicklungspfaden. Die globale Finanzkrise und das damit verbundene Krisenmanagement dürfte die Akzeptanz und Attraktivität traditioneller Geber und ihrer Entwicklungsmodelle verringern.
Insgesamt ist damit die Analyse und Reflektion der EZ-Debatte weit mehr als ein Blick auf entwicklungstechnokratische Fragen. Sie spiegelt vielmehr den erheblichen Bedarf wider, Entwicklungsforschung neu zu definieren und eine Orientierung für entwicklungstheoretische Fragen zu geben, die sich mit einer stark geänderten Systemumwelt der Entwicklungsregionen auseinandersetzen.
Entwicklungspolitisches Fachgespräch Nr. 104
am Dienstag, den 3.6.2014, um 17.30 (bis 19.00) Uhr
im Hörsaal des DIE (Tulpenfeld 6).
Gesprächspartner sind Guido Ashoff und Stephan Klingebiel (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik). Die Veranstaltung wird moderiert von G. Oldenbruch. Im Anschluss daran lädt SID zu einem Vin d’Honneur ein.
Grundlage der Diskussion ist das von Guido Ashoff und Stephan Klingebiel verfasste Discussion Paper Nr. 9/14 des DIE mit dem oben genannten Thema.
Abstract
Seit Beginn der 2000er Jahre haben sich in der internationalen Staatengemeinschaft zwei grundlegende Erkenntnisse bezüglich der Entwicklungspolitik durchgesetzt. Erstens befindet sich die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in einer Systemkrise. In der Art und Weise, wie sie organisiert ist und betrieben wird, ist sie Teil des Problems, zu dessen Lösung sie beitragen will. Die Antwort darauf ist der Versuch einer Systemreform, die in ihren Ambitionen und ihrer internationalen Anerkennung beispiellos in der Geschichte der EZ ist (Paris-Accra-Busan-Agenda, Globale Partnerschaft für wirksame EZ). Zweitens hat sich die Systemumwelt der Entwicklungspolitik erheblich verändert. Das gilt sowohl für die Entwicklungsproblematik, auf die Entwicklungspolitik reagiert, als auch das Umfeld, in dem sie agiert. Hierauf hat z.B. die OECD in ihrer Ende Mai 2012 verabschiedeten „Strategy on Development“ unmissverständlich hingewiesen.
Vor diesem Hintergrund haben die beiden Autoren unter dem Titel „Transformation eines Politikfeldes: Entwicklungspolitik in der Systemkrise und vor den Herausforderungen einer komplexeren Systemumwelt“ einen Beitrag vorgelegt, der auf Englisch als DIE-Discussion Paper 9/2014 erschienen ist und zu folgendem Fazit gelangt:
Die EZ-Systemreform bezieht die stattfindenden Strukturumbrüche in Teilen ein, unter anderem indem neue Kategorien (etwa im Rahmen der „Busan-Deklaration“) für „neue Geber“ diesen Veränderungen Rechnung tragen sollen. Das EZ-System reagiert auf den globalen Strukturwandel insgesamt mit Anpassungen; gleichwohl sind angesichts der grundlegenden Veränderungen der Systemumwelt übergreifende neue internationale Kooperationsansätze unter Einbeziehung aller relevanten Politikfelder kaum erkennbar. Umbrüche in der Systemumwelt gehen deutlich über den Aktionsradius von EZ hinaus. Während das EZ-System sich einerseits weiterentwickelt, gelingt es mit dem System andererseits nur noch teilweise, die internationalen Kooperationsbeziehungen zu erfassen und zu regeln. Für Partnerländer nimmt die Attraktivität und Bedeutung von EZ ab, Kooperationsbeziehungen sind vielfach nicht mehr durch eine EZ-Logik bestimmt.
Die Begründungszusammenhänge und das Systemumfeld der EZ haben sich seit den Anfängen in den 1950er und 1960er Jahren kontinuierlich verändert. Der Strukturwandel insbesondere der 2000er Jahre weist nicht nur darauf hin, dass sich das Politikfeld fortwährend weiterentwickelt und anpasst, sondern in seinen Kernfunktionen einer grundsätzlichen Neuorientierung unterliegt. Diese Reformen und Veränderungen sind jedoch nicht automatisch konsistent, sondern oftmals widersprüchlich.
Zum einen macht die Debatte über die Wirksamkeit von EZ den Anspruch deutlich, das Politikfeld hinsichtlich seiner originären Kernaufgabe – Beiträge zu Entwicklungsprozessen in den Entwicklungsländern zu leisten – weiter zu entwickeln und zu professionalisieren. Gleichwohl war EZ seit ihren Anfängen zu keinem Zeitpunkt spannungs- und interessenfrei, sondern vielfach sogar dominiert durch außenpolitische und wirtschaftliche Opportunitäten. Die aid effectiveness-Debatte und die damit einhergehenden internationalen Verhandlungsprozesse haben zu einer EZ-Systemreform durch verbesserte Qualitätsstandards geführt. Dennoch lassen Geberpraktiken erkennen, dass sich EZ-Organisationen nur schwerfällig reformieren lassen. Die Rationalität der Akteure ist überwiegend auf Proliferation, Fragmentierung und Fortbestand der EZ-Implementierungsstrukturen angelegt. Die Voraussetzungen auf der Partnerländerseite zur Steigerung der Wirksamkeit sind zudem uneinheitlich und oftmals nicht entwicklungsförderlich (Rolle klientelistischer und neopatrimonialer Strukturen etc.).
Zum anderen deckt die „Paris-Accra-Busan-Agenda“ nur noch bruchstückhaft die Realität der zunehmend komplexeren Kooperationsbeziehungen ab. Hierfür sind verschiedene Trends verantwortlich. Erstens sinkt die Zahl der klassischen EZ-Partner deutlich. Entwicklungspolitische Planungs-, Steuerungs- und Allokationsprozesse etwa im Rahmen sogenannter Armutsstrategien werden daher mittelfristig weiter an Bedeutung verlieren. Zweitens ist die Zahl der Akteure, die Kooperationsbeziehungen mit den Entwicklungsländern unterhält, stark gestiegen. Der Wettbewerb zwischen Akteuren hat daher zu-, der Einfluss der klassischen Geber abgenommen. Drittens sind die EZ-Instrumente der traditionellen OECD-Geberwelt nicht mehr der einzig bestimmende internationale Standard. Geber wie China und Indien sehen sich keineswegs gebunden an die klassische Normsetzungsfunktion etwa des Entwicklungshilfeausschusses der OECD. Kooperationsinstrumente sind vielfältiger, oftmals auch hinsichtlich der Rolle öffentlicher und privater bzw. vergünstigter und nicht-vergünstigter Ressourcen komplexer. Viertens gilt für alle externen Akteure ein wachsender Interessenwettbewerb zwischen verschiedenen auf die globale Ebene ausgerichteten Politikfeldern. Dies trifft etwa auf die internationale Umweltpolitik (Klimafinanzierung), das Wiedererstarken von strategischen Rohstoffinteressen und die Sicherheitspolitik zu. Schließlich sind die strukturellen Wirkungen der seit 2008 begonnenen globalen Finanzkrise noch keineswegs absehbar; gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Krise in vielerlei Hinsicht eine Zäsur darstellt. Mit ihr verbunden sind nicht nur Fragen der unmittelbaren mittelfristigen Ressourcenausstattung für das Politikfeld EZ (Effekte der Austeritätspolitiken etc.), sondern auch Fragen der internationalen Kooperationsmuster (mögliche Anreize für GPG-Ansätze) und des Modellcharakters von Entwicklungspfaden. Die globale Finanzkrise und das damit verbundene Krisenmanagement dürfte die Akzeptanz und Attraktivität traditioneller Geber und ihrer Entwicklungsmodelle verringern.
Insgesamt ist damit die Analyse und Reflektion der EZ-Debatte weit mehr als ein Blick auf entwicklungstechnokratische Fragen. Sie spiegelt vielmehr den erheblichen Bedarf wider, Entwicklungsforschung neu zu definieren und eine Orientierung für entwicklungstheoretische Fragen zu geben, die sich mit einer stark geänderten Systemumwelt der Entwicklungsregionen auseinandersetzen.