[:en]Europäische Kommission | Die Rechtsstaatlichkeit in der EU im Jahr 2021[:de]Europäische Kommission | Die Rechtsstaatlichkeit in der EU im Jahr 2021[:]

EU-Bericht zeigt positive Entwicklungen in den Mitgliedstaaten auf, aber auch schwerwiegende Bedenken.

Die Europäische Kommission hat gestern den zweiten EU-weiten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit veröffentlicht. Der Bericht besteht aus einer Mitteilung, in der die Gesamtlage in der EU in den Blick genommen wird, und einzelnen Länderkapiteln für die Mitgliedstaaten. Der diesjährige Bericht befasst sich mit den neuen Entwicklungen seit dem letzten September. Dort werden die Bewertung der im vorhergehenden Bericht festgestellten Probleme vertieft und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie berücksichtigt. Insgesamt zeigt der Bericht viele positive Entwicklungen in den Mitgliedstaaten auf, auch dort, wo die im Bericht von 2020 festgestellten Herausforderungen angegangen werden. Es bestehen jedoch nach wie vor auch Bedenken, die sich in Bezug auf bestimmte Mitgliedstaaten verstärkt haben, beispielsweise was die Unabhängigkeit der Justiz und die Situation des Mediensektors anbelangt. In dem Bericht wird ferner auf die starke Widerstandsfähigkeit des Rechtsstaats während der COVID-19-Pandemie hingewiesen. Diese Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig es ist, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten.

Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der Kommission Věra Jourová erklärte: „Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit ist ein nützliches präventives Instrument, das die notwendige Debatte zwischen den Mitgliedstaaten und anderen Akteuren angeregt hat. Dieser zweite Bericht zeigt, dass es den Mitgliedstaaten möglich ist, Fortschritte zu erzielen. Diese fielen allerdings uneinheitlich aus und in einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es Anlass zu ernster Besorgnis, insbesondere was die Unabhängigkeit der Justiz betrifft. Zudem wurden in den vergangenen Monaten zwei Journalisten ermordet. Das ist nicht hinnehmbar. In dem Bericht werden entschlossene Maßnahmen zum Schutz der Medienfreiheit und -vielfalt angemahnt. Wir gehen davon aus, dass die Ergebnisse des Berichts von 2021 im kommenden Jahr in die Gespräche zwischen den Mitgliedstaaten über die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit einfließen werden.“

Der für Justiz zuständige EU-Kommissar Didier Reynders ergänzte: „Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit aus dem Jahr 2020 hat im vergangenen Jahr in einer Reihe von Mitgliedstaaten positive Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gefördert. Darüber hinaus nutzte der Ministerrat das Programm, um seinen Dialog über Rechtsstaatlichkeit mit regelmäßigen länderspezifischen Debatten zu modernisieren. Ich selbst habe den Bericht auch in 20 nationalen Parlamenten erörtert. In diesem Jahr haben wir unsere Bewertung weiter vertieft, die von einer noch größeren Reichweite profitierte als im vergangenen Jahr. Der Bericht kann auch dazu beitragen, dass wir als Union Seite an Seite ehrlich und offen miteinander das Gespräch führen. Dieser Bericht von 2021, der auf dem Bericht des vergangenen Jahres aufbaut, wird diesen Prozess fördern.“

Wichtigste Erkenntnisse zur aktuellen Lage der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten

Der diesjährige Bericht baut auf der Methodik und dem Gegenstand des vorangegangenen Berichts auf, wobei der Schwerpunkt auf den folgenden vier Schlüsselelementen liegt: Justizwesen, dem Rahmen zur Korruptionsbekämpfung, Medienvielfalt und Medienfreiheit sowie sonstigen institutionellen Aspekten in Zusammenhang mit der Gewaltenteilung.

  1. Die Justiz

Fast alle Mitgliedstaaten führen Reformen in Bezug auf ihr Justizwesen durch, wenngleich sich Umfang, Form und Fortschritte unterscheiden. In einer Reihe von Mitgliedstaaten wurden oder werden Schritte unternommen, um die Unabhängigkeit der Justiz durch Reformen in Bezug auf die Justizräte, die Ernennung von Richtern und die Unabhängigkeit und Autonomie der Staatsanwaltschaft zu stärken. Einige wenige Mitgliedstaaten haben jedoch Reformen fortgesetzt, die die Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, was neue Bedenken verursacht oder die bestehenden verschärft hat. Diese Bedenken betreffen insbesondere den erhöhten Einfluss von Exekutive und Legislative auf die Justiz. Darüber hinaus stellen politische Angriffe und wiederholte Versuche, die Autorität der Richter oder die Justizbehörden zu untergraben, in einigen Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Justiz weiter in Frage. Seit der Annahme des Berichts von 2020 hat der Gerichtshof der EU bekräftigt, wie wichtig ein wirksamer Rechtsschutz für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist. Schließlich hat die COVID-19-Pandemie ein neues Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Justizsysteme dringend modernisiert werden müssen, und das Potenzial der Digitalisierung deutlich gemacht.

  1. Rahmen für die Korruptionsbekämpfung

Die EU-Mitgliedstaaten sind weltweit führend. Unter den zwanzig der als am wenigsten korrupt eingestuften Länder der Welt befinden sich zehn Mitgliedstaaten. Mehrere Mitgliedstaaten verabschieden derzeit nationale Strategien oder Aktionspläne zur Korruptionsbekämpfung oder überarbeiten sie. Viele Mitgliedstaaten haben Maßnahmen ergriffen, um den Rahmen für die Korruptionsprävention und den Integritätsschutz zu verschärfen, wozu auch Vorschriften über Interessenkonflikte, Lobbytransparenz und Drehtüreffekte gehören. Es bestehen jedoch weiterhin Herausforderungen, insbesondere was strafrechtliche Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und die Anwendung von Sanktionen in einigen Mitgliedstaaten angeht. In manchen Mitgliedstaaten treten nach wie vor große bzw. hochkomplexe Korruptionsfälle auf. Einige Mitgliedstaaten stellen für die Korruptionsbekämpfung nicht immer angemessene Mittel bereit, während gegenüber anderen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit von Ermittlungen und der Strafverfolgung und Zuständigkeitszuteilung bei Fällen von Korruption auf hoher Ebene bestehen. Insgesamt hat die COVID-19-Pandemie die Reformen und den Abschluss von Korruptionsfällen in einigen Mitgliedstaaten verlangsamt.

  1. Medienfreiheit und -vielfalt

Während der COVID-19-Pandemie standen Journalisten und Medien in Europa unter starker Belastung. Ein neuer Rekord an Sicherheitswarnungen für Journalisten sowie die jüngsten tragischen Ereignisse zeigen, dass das Problem in der gesamten EU angegangen werden muss. Der Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus (Media Pluralism Monitor) – eine wichtige Informationsquelle für den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit – weist für das Jahr 2021 eine allgemeine Verschlechterung der Lage von Journalisten in mehreren Mitgliedstaaten aus. Nicht alle Medienaufsichtsbehörden sind frei von politischer Einflussnahme, und in einigen Mitgliedstaaten besteht ein hohes Risiko der politischen Einflussnahme auf die Medien. Die Nachrichtenmedien waren von entscheidender Bedeutung, um die Bürger während der COVID-19-Pandemie auf dem Laufenden zu halten, obwohl die Arbeit von Journalisten durch eine Reihe von Einschränkungen erschwert wurde. Die Pandemie hat auch ernsthafte wirtschaftliche Herausforderungen für den Mediensektor nach sich gezogen, was einige Mitgliedstaaten zum Auflegen von Programmen zur Unterstützung der Nachrichtenmedien veranlasste. Solche Programme müssen transparent und gerecht umgesetzt werden.

  1. Institutionelle Gewaltenteilung

Seit letztem Jahr haben einige Mitgliedstaaten weitere Verfassungsreformen eingeleitet, um die Kontrollen und Garantien zu verbessern. Einige haben kürzlich Maßnahmen ergriffen, um die Transparenz der Rechtsetzung zu erhöhen und die Bürgerbeteiligung zu verbessern. Insgesamt haben die nationalen Kontrollen und Gegenkontrollen, einschließlich der Parlamente, der Gerichte, der Bürgerbeauftragten und anderer unabhängiger Behörden, während der COVID-19-Pandemie, die ein Stresstest für die Rechtsstaatlichkeit war, eine entscheidende Rolle gespielt. Gleichzeitig wurden die Gesetzgebungsverfahren vor Herausforderungen gestellt, beispielsweise was plötzliche Änderungen, beschleunigte Verfahren oder das System der Verfassungskontrolle betraf. Die Zivilgesellschaft profitiert in den meisten Mitgliedstaaten generell von einem günstigen Umfeld, doch in einigen Mitgliedstaaten steht sie nach wie vor vor großen Herausforderungen, sei es durch vorsätzliche Drohungen seitens der Behörden, einen unzureichenden Schutz vor körperlichen oder verbalen Angriffen oder einen unzureichenden Schutz der Grundrechte als Garantie für ihre Arbeit. Diese Herausforderungen wurden durch die COVID-19-Pandemie verschärft. Eine Reihe jüngster Entwicklungen hat Anlass zur Sorge im Hinblick auf den Respekt des Vorrangs des EU-Rechts gegeben, der für die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung der EU und die Gleichheit der Mitgliedstaaten in der EU eine wesentliche Voraussetzung darstellt.

Nächste Schritte

Die Annahme des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2021 leitet einen neuen Zyklus des Dialogs und der Überwachung ein. Die Kommission ersucht den Rat und das Europäische Parlament, allgemeine und länderspezifische Diskussionen auf der Grundlage dieses Berichts zu führen, und ruft die nationalen Parlamente und andere wichtige Akteure auf, die nationalen Debatten zu vertiefen. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, den in dem Bericht ermittelten Herausforderungen wirksam Rechnung zu tragen, und ist bereit, die Mitgliedstaaten bei diesen Bemühungen zu unterstützen.

Hintergrund

Der jährliche Bericht über die Rechtsstaatlichkeit beruht auf einem intensiven Dialog mit den nationalen Behörden und Interessenträgern und beleuchtet alle Mitgliedstaaten objektiv und unparteiisch zu identischen Sachverhalten. Die von der Kommission vorgenommene qualitative Bewertung bezieht sich insbesondere auf die wichtigsten Entwicklungen seit Annahme des ersten Berichts und beruht auf einem kohärenten Ansatz: Alle Mitgliedstaaten werden anhand derselben Methodik bewertet, wobei den jeweiligen Entwicklungen angemessen Rechnung getragen wird. Umfang und Methodik der Ausgabe von 2021 entsprechen denen des ersten jährlichen Berichts über die Rechtsstaatlichkeit, der im September 2020 angenommen wurde.

Der Bericht steht im Mittelpunkt des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Dieser Mechanismus sieht einen jährlichen Zyklus zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und zur Vorbeugung der Entstehung bzw. Verschärfung von Problemen vor. Ziel ist es, das Verständnis und die Sensibilisierung für Fragen und wichtige Entwicklungen zu verbessern, Herausforderungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zu ermitteln und die Mitgliedstaaten unter Mitwirkung der Kommission und der anderen Mitgliedstaaten, bei der Suche nach Lösungen zu unterstützen. Er ermöglicht es den Mitgliedstaaten auch, bewährte Verfahren auszutauschen, miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen.

Der Mechanismus dient insbesondere der Prävention. Er steht gesondert von den übrigen Bestandteilen des EU-Instrumentariums zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit und ergänzt die im Vertrag verankerten Mechanismen, mit denen die EU auf schwerwiegendere rechtsstaatliche Probleme in den Mitgliedstaaten reagieren kann, ohne diese zu ersetzen. Zu diesen Instrumenten gehören Vertragsverletzungsverfahren und das Verfahren zum Schutz der Grundwerte der Union nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union.

Es besteht ein enger Zusammenhang mit den politischen Maßnahmen der EU zur wirtschaftlichen Erholung: solide Justizsysteme, ein stabiler Rahmen für die Korruptionsbekämpfung und ein klares und kohärentes System der Rechtsetzung, der Schutz der finanziellen Interessen der EU und nachhaltiges Wachstum. Dies ist ein entscheidender Faktor bei der Anwendung der EU-Instrumente, mit denen Strukturreformen in den Mitgliedstaaten gefördert werden.

Weitere Informationen

Quelle: Europäische Kommission, 20.07.2021