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The new German government has committed itself in its coalition agreement to strengthen social cohesion in Germany. The urgency of this task is self-evident. Election results and the nature of current political discourse provide evidence of increasing tears in the social fabric, yet the problem exists far beyond Germany. It explains, for example, the rise of populist politicians with confrontational and isolationist agendas, such as Chavez, Trump, Putin and Orban.
For many societies, the consequences of internal fragmentation are even more dramatic. In a recently published joint study, the United Nations and the World Bank warn that more countries have had to confront violent conflict since 2016 than at any time since the end of the Cold War. Germany’s connection to this trend has been clear for all to see since 2015. Without the implosion of the old order in the Middle East and North Africa, the humanitarian disaster that would finally reach Europe would never have come about. So, what should we do? The report by the UN and the World Bank makes it clear that anyone wishing to achieve sustainable peace will have to overcome marginalisation, open up equal opportunities for political participation on the part of disadvantaged groups and find new ways of overcoming poverty and creating wealth. More growth alone will not bring about peace, and more jobs are not guaranteed to prevent further social division. Still, of all institutions, it is the World Bank which argues that there could possibly also be a need for redistribution in order to counteract the deepening social rifts.
The German Government has also provided a great deal of investment since 2015 under the banner of ‘reducing the causes of displacement’. It has spent several billion euros each year on providing humanitarian aid for refugees in countries of initial reception and on stabilising crisis countries and their neighbours through economic and infrastructural measures in order to hopefully limit the number of people making their way to Europe. There is no question that many of these endeavours are helpful and, from a humanitarian point of view, necessary. Other measures have attracted criticism, as, for example, human rights organisations saw more isolation taking place than sustainable aid work. Above all, however, there has been a failure to finally invest as much in actually preventing crises and creating a sustainable peace order as in managing crises. The joint UN and World Bank study showed once again that prevention costs far less than just dealing with the economic damage caused by violent conflict and humanitarian disasters, let alone the human consequences.
Those who wish to work to mitigate the causes of displacement must examine the reasons why people feel compelled to leave their homes in large numbers against their will. In most cases, there is a state behind it that has more or less given up on large parts of its population. Research by the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), which is available online as of this week under the title ‘Constellations of State Fragility’, shows where and to what extent states around the world have been neglecting their core duties to their populations since the mid-2000s and thus creating risks to social cohesion. Based on this data, it can be seen among other things that states that repress their population rather than seeking legitimation from it can sooner or later turn into ticking time bombs. The Middle East and North Africa in particular stand out in this regard. The region had the largest collection of states with legitimation deficits prior to 2011. The tragic consequences are well known.
As such, contributing to greater social cohesion and, by extension, to the prevention of violent conflict abroad is as much an imperative of reason as it is one of humanity. The last grand coalition committed itself with notable clarity to this endeavour in a policy document on peacebuilding published in summer 2017. “Our lives have become so interwoven that the effects of state fragility, of crises and bloodshed, can be felt even in Germany,” wrote the German Chancellor in her foreword. It is now necessary to move from focusing on crisis management to pursuing a policy that seeks to overcome political and economic exclusion around the world, and especially in fragile states.
Incidentally, such a policy does not stop at the traditional boundaries of foreign, security and development policy, but also addresses trade, finance and the environment, along with other policy areas. The United Nations 2030 Agenda shows the way forward in this endeavour. The new German Government has more reasons than ever to take seriously the commitments that it made together with the international community in 2015. This will ultimately serve to promote social cohesion in Germany as well.
Source: Website German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 19.03.2018[:de]
Die neue Bundesregierung hat sich mit ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken. Die Dringlichkeit der Aufgabe liegt auf der Hand. Wahlergebnisse und die Art der politischen Auseinandersetzung belegen zunehmende Risse im sozialen Gefüge. Doch das Problem besteht weit über Deutschland hinaus. Es erklärt etwa den Aufstieg populistischer Politiker, deren Agenden für Konfrontation und Abschottung stehen: Von Chavez bis Trump, von Putin bis Orban.
Für viele Gesellschaften sind die Folgen der inneren Zerrissenheit noch viel einschneidender: Seit 2016 sahen sich mehr Länder mit gewaltsamen Konflikten konfrontiert denn je seit dem Ende des Kalten Krieges, warnen Vereinte Nationen und Weltbank in einer kürzlich erschienenen gemeinsamen Studie. Die Verbindung Deutschlands mit dieser Entwicklung steht seit 2015 allen vor Augen. Ohne die Implosion der alten Ordnung im Nahen Osten und Nordafrika wäre es nicht zu jener humanitären Katastrophe gekommen, die dann schließlich auch Europa erreichte.
Was also ist zu tun? Der Bericht von UN und Weltbank macht deutlich: Wer nachhaltigen Frieden erreichen will, muss Ausgrenzung überwinden, benachteiligten Gruppen gleiche Chancen zur politischen Teilhabe eröffnen und neue Wege bei der Überwindung von Armut und der Schaffung von Wohlstand gehen. Mehr Wachstum alleine schafft keinen Frieden, mehr Arbeitsplätze sind keine Garantie, dass sich gesellschaftliche Spaltung nicht vertieft. Es ist immerhin die Weltbank, die argumentiert, dass im Zweifel auch Umverteilung erforderlich sein kann, um den sich vertiefenden sozialen Gräben entgegenzuwirken.
Unter der Überschrift der „Reduzierung von Fluchtursachen“ hat auch die Bundesregierung seit 2015 viel investiert. Mehrere Milliarden Euro wurden jährlich aufgewendet, um humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Erstaufnahmeländern zu leisten, um Krisenländer und ihre Nachbarschaft wirtschaftlich und mit Infrastrukturmaßnahmen zu stabilisieren – und um damit, so die Hoffnung, die Zahl der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, zu begrenzen.
Vieles davon ist fraglos sinnvoll und aus humanitärer Sicht geboten. Anderes hat Kritik auf sich gezogen, weil etwa Menschenrechtsorganisationen eher Abschottung als nachhaltige Hilfe am Werk sahen. Vor allem aber ist es nicht gelungen, endlich in gleichem Maße in die tatsächliche Vorbeugung von Krisen und die Schaffung nachhaltiger Friedensordnung zu investieren wie in die Krisenbewältigung. Die gemeinsame UN-Weltbank-Studie hat erneut dargelegt, dass Vorbeugung um ein Vielfaches weniger kostet als alleine die Bewältigung der wirtschaftlichen Schäden gewaltsamer Konflikte und humanitärer Katastrophen, von den menschlichen Folgen ganz abgesehen.
Wer sich der Minderung von Fluchtursachen widmen will, muss sich damit auseinandersetzen, warum Menschen sich gezwungen sehen, in großer Zahl gegen ihren Willen ihre Heimat zu verlassen. In aller Regel steht dahinter ein Staat, der mehr oder weniger große Teile seiner Bevölkerung aufgegeben hat. Untersuchungen des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), die seit dieser Woche unter dem Titel „Constellations of State Fragility“ online abrufbar sind, zeigen, wo und in welchem Maße Staaten weltweit seit Mitte der 2000er Jahre Kernaufgaben gegenüber ihren Bevölkerungen vernachlässigt und damit Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geschaffen haben. Anhand der Daten lässt sich unter anderem nachvollziehen, dass Staaten, die auf Repression statt Legitimierung gegenüber ihrer Bevölkerung setzen, mit zunehmender Dauer zu tickenden Zeitbomben werden können. Besonders der Nahe Osten und Nordafrika stechen hier hervor. Die Region verzeichnete vor 2011 die größte Ansammlung an Staaten mit Legitimitätsdefiziten. Die tragischen Folgen sind bekannt.
Zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und damit zur Verhütung gewaltsamer Konflikte auch in anderen Ländern beizutragen, ist also für jede Bundesregierung ebenso ein Gebot der Vernunft wie der Menschlichkeit. Die letzte Große Koalition hat sich dazu noch im Sommer 2017 mit einem Grundsatzdokument zur Friedensförderung in bemerkenswerter Deutlichkeit bekannt. „In einer eng vernetzten Welt spüren wir Auswirkungen von staatlicher Fragilität, von Krisen und Gewalt auch in Deutschland“, schrieb die Bundeskanzlerin in ihrem Vorwort. Nun kommt es darauf an, von einer Fokussierung auf die Krisenbewältigung überzugehen zu einer Politik, die sich für die Überwindung von politischer und wirtschaftlicher Ausgrenzung weltweit, vor allem aber in fragilen Staaten, einsetzt.
Eine solche Politik macht im Übrigen nicht halt an den klassischen Grenzen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Sie betrifft ebenso Handels-, Finanz- und Umweltpolitik sowie weitere Politikbereiche. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen weist dazu den Weg. Die neue Bundesregierung hat mehr Gründe denn je, die Verpflichtungen, die sie 2015 gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eingegangen ist, ernst zu nehmen. Letztlich wird dies auch dem sozialen Zusammenhalt in Deutschland dienen.
Um eine genauere Analyse fragiler Staatlichkeit zu ermöglichen, hat das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) ein neues Daten-Tool entwickelt: Constellations of State Fragility unterscheidet sechs Typen fragiler Staatlichkeit anhand von zehn Indikatoren in drei Dimensionen, die für 171 Länder weltweit ermittelt wurden.
Quelle: Website German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 19.03.2018[:]