Viele Schülerinnen und Schüler kennen die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen nicht. Kinos zeigen jetzt Spielfilme und Dokumentationen, um das zu ändern.
Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 und damit 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals, kurz: SDGs, beschlossen. Ziel 6.1 sieht vor: „Bis 2030 den allgemeinen und gerechten Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle erreichen“.
Ob man mit solchen Sätzen Schülerinnen und Schüler für die Agenda 2030 interessiert? Wohl kaum. Ein Erfolg versprechenderer Weg sieht so aus: Die Klasse geht ins Kino, schaut sich „Und dann der Regen“ an, ein Spielfilm aus dem Jahr 2010 über den Wasserkrieg im bolivianischen Cochabamba mit Gael García Bernal in der Hauptrolle. Anschließend diskutiert die Klasse mit Lehrern und Filmemachern, was es bedeutet, wenn um Wasser gekämpft wird. Ganz nebenbei erfahren die Schülerinnen und Schüler von SDG Nummer 6.
So geht Oliver Schruoffeneger vor, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Schruoffeneger hat zusammen mit der Stabsstelle Bildung für nachhaltige Entwicklung des Bezirksamtes und dem delphi Lux die Filmreihe #2030 konzipiert, die passende Filme zu den 17 SDGs der Agenda 2030 zeigt. Die Stabstelle versucht auch, Schulen passende Referentinnen und Referenten aus Entwicklungsländern zu vermitteln, die entweder in Berlin leben oder gerade ohnehin durch Stiftungen oder NGOs zu Gast sind.
„Die nachhaltigen Entwicklungsziele sind in der Lebenswelt der Schüler überhaupt nicht angekommen. Aber man kann leicht Empathie wecken, wenn Menschen von vor Ort von ihrer Lebenswelt erzählen“, sagt Schruoffeneger. Das komme bei Kindern viel schneller an als bei Erwachsenen, die eher zum Verdrängen neigten, wenn sie mit Ungerechtigkeit konfrontiert seien.
Sechs Filme gab es in der ersten Filmreihe zu sehen. Mit Dietmar Bär war sogar ein echter Tatort-Kommissar als Gast im Kino geladen – zu sehen in „Tatort Manila“ von 1998, der für die Themen Kinderrechte, Fairtrade und soziale Gerechtigkeit stand. Der letzte Film, die Dokumentation „Bikes vs. Cars“ ist am 2. Februar im Delphi LUX zu sehen, mit anschließender Diskussion. Interessierte erhalten hier weitere Informationen.
Wissenschaftler der Universität Göttingen gehen noch einen Schritt weiter – sie wollen Schülerinnen und Schüler in Filmproduktionen einbinden. Die Wissenschaftler dokumentierten in Videoaufnahmen ihre Forschungen zur Nachhaltigkeit – etwa das Projekt „Diversity Turn in Land Use Science“ und die Vanilleproduktion auf Madagaskar. Die Konzeption der Videos sollen anschließend Schülerinnen, Schüler und Studierende erarbeiten. Das solle sicherzustellen, dass die Filme ihren Bedürfnissen gerecht werden, schreiben die Forscher. Das Projekt ist für den SDG-Bildungswettbewerb „Zukunft, fertig, los!“ des RNE nominiert.
Zu Schruoffenegers Filmreihe gibt es auch ein bundesweites Pendant: Die „SchulKinoWochen“, organisiert von der gemeinnützigen Gesellschaft Vision Kino, die unter anderem von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Filmförderungsanstalt unterstützt wird. Seit 2006 gibt es das Programm bundesweit, es geht eine oder mehrere Wochen im Jahr, je nach Bundesland. Lehrerinnen und Lehrer melden sich an, schauen mit ihren Klassen verbilligt einen Film, den sie für ihren Lehrstoff für wichtig halten, dazu gibt es kostenlos extra entwickeltes Unterrichtmaterial. Die Auswahl an Filmen ist groß, auch unterhaltsame zählen dazu. Als Themenschwerpunkt der aktuellen Reihe haben sich die Macher unter anderem die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele ausgesucht, mit passenden Filmen dazu.
„Viele Lehrer und Schüler kennen die Agenda 2030 nicht. Wir hoffen, dass sie durch die Filme zum ersten Mal damit in Berührung kommen“, sagt Michael Jahn, einer der Organisatoren bei Vision Kino. Zu vielen Filmen gibt es begleitende Veranstaltungen mit Filmschaffenden und pädagogischen Referenten, unter anderem aus dem Programm „Bildung trifft Entwicklung“. Im Vorfeld finden zudem Fortbildungen für Lehrer statt. Ob die Lehrerinnen und Lehrer die Filme nutzen, um den Schülern die nachhaltigen Entwicklungsziele näher zu bringen, das bleibt ihnen überlassen. Im Frühjahr 2018 finden die SchulKinoWochen mit der SDG-Reihe in acht Bundesländern statt.
Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger sieht in seiner Filmreihe auch einen Versuch, eines der drängenden Probleme bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung zu lösen: Weg von der Sonderveranstaltung, hin zu einer Integration in vorhandene Strukturen. „Sonst kommen wieder nur die, die sich ohnehin für die SDGs interessieren.“ Die Lehrpläne in Berlin würden den Lehrern durchaus die Freiheit geben, die Agenda 2030 zu behandeln, auch wenn das Thema nicht explizit integriert sei. Hilfe biete die Stabstelle, die etwa beim Thema Konflikte ums Wasser schon ganze Pakete geschnürt hat: Erst ein Kinobesuch, dann eine Unterrichtseinheit von vier Stunden, inklusive eines Referenten aus dem Libanon.
„Die Frage ist oft, wie wir an die Lehrer rankommen. Wir haben zwar Kooperationen und schicken regelmäßig einen Newsletter an die Schulen, aber der liegt dann zu oft nur im Sekretariat rum“, sagt Schruoffeneger. Das Netzwerk aufzubauen sei eine „zähe Geschichte“ – immerhin sei dauerhaft eine Stelle finanziert, die das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bezirk voranbringen soll.
Das nächste Projekt steht schon an: Im Sommer ist Leichtathletik-EM in Berlin, die Medaillenvergabe findet am Breitscheidplatz statt. Mit der Genehmigung verknüpfte der Bezirk die Forderung, dass es dort einen Bereich zum Thema Fair Trade im Sport gibt, der von NGOs genutzt wird. „Die werden keinen Boykottaufruf gegen Adidas auf die Leinwand werfen“, sagt Schruoffeneger. Aber die Organisationen könnten kritisch darüber informieren, welche Rolle Adidas und andere Produzenten in der Textilproduktion im Sport spielen. Das sei ein weiterer Schritt, um das Thema Nachhaltigkeit vom Hinterzimmer ins Rampenlicht zu holen.
Quelle: Nachrichten Rat für Nachhaltige Entwicklung, 18.01.2018