Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fordert ein Ende des Schubladendenkens. Ihr Erfolg hängt unter anderem davon ab, ob es gelingen wird unterschiedliche Nachhaltigkeitsziele miteinander zu verbinden und kohärente und integrierte Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Ein Workshop des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) und von Global Horticulture Initiative brachte daher Expertinnen und Experten zusammen, um sich über die Wechselwirkungen zwischen SDG 2 zur Hungerbekämpfung und anderen Politikbereichen auszutauschen. FriEnt hat die Gelegenheit genutzt, um in einer Arbeitsgruppe die Schnittstellen von SDG 2 und SDG 16 zur Förderung friedlicher und inklusiver Gesellschaften zu diskutieren. In diesem Impuls-Artikel geben Caroline Kruckow und Marc Baxmann hierzu einen Überblick.
Wir tendieren ja dazu, die Welt immer aus unseren eigenen Silos her verstehen und analysieren zu wollen. Aus unserer friedensfachlichen Perspektive heißt das dann zum Beispiel, dass wir die konfliktverschärfenden Wirkungen in anderen entwicklungspolitischen Sektoren – wie Bildung, Gesundheit, Land oder Energie – in den Blick nehmen und nach deren Friedenspotentialen fragen. Seltener stellen wir uns hingegen die Frage, wie Akteure, Ansätze, Ideen und erprobte Methoden aus anderen Sektoren Maßnahmen der Friedensförderung befruchten können. Meistens gehen wir eher davon aus, dass Friedensförderung schon irgendwie zur Erreichung anderer Entwicklungsziele beitragen wird.
Zu etwas mehr Bescheidenheit fordert uns da die Komplexität, der ambitionierte Anspruch und der integrative sowie partnerschaftliche Ansatz der Agenda 2030 heraus. Es reicht nicht, sich auf „sein“ SDG oder SDG-Unterziel zu konzentrieren ohne nach links und rechts zu gucken. Laut Präambel der Agenda 2030 sind „die Querverbindungen zwischen den Zielen für nachhaltige Entwicklung und deren integrierter Charakter“ von ausschlaggebender Bedeutung. Die SDGs sollen sich gegenseitig unterstützen. Der breite thematische Ansatz der SDGs bietet damit das Potential, bisher unterbelichtete Wechselwirkungen und Synergien von Frieden und nachhaltiger Entwicklung unter die Lupe zu nehmen und neue integrierte Ansätze zu entwickeln. Die Aufarbeitung von guten Praxisbeispielen kann hierfür ebenso hilfreich sein wie der Aufbau neuer sektorübergreifender Lern- und Umsetzungspartnerschaften. Ziel muss es dabei einerseits sein, dass Fortschritte bei der Erreichung eines SDGs nicht auf Kosten eines anderen gehen und andererseits, dass Politiken identifiziert werden, die möglichst auf mehrere SDGs positiven Einfluss entfalten.
Grundlage dafür ist, sich über Wechselwirkungen und mögliche Zielkonflikte im Klaren zu sein. Diese sind in der Agenda nicht explizit dargestellt und müssen im Dialog der unterschiedlichen fachlichen Bereiche herausgearbeitet werden. Zahlreiche Instrumente und Modelle wurden inzwischen entwickelt, um die Interdependenzen zu visualisieren (für einen Überblick siehe hier) Die Wechselwirkungen zwischen den Zielen Ernährungssicherung und Hungerbekämpfung (SDG 2) und friedlichen und inklusiven Gesellschaften (SDG 16) bleiben darin erstaunlich unterbelichtet, dabei sind sie vielfältig und zahlreich:
Negative Auswirkungen von Gewalt und Konflikt auf Ernährungssicherheit
Menschen, die in fragilen und von Konflikten betroffenen Staaten leben, sind am stärksten von Hungerkrisen betroffen. Laut dem Global Report on Food Crisis 2017 bilden gewaltsame Konflikte eine der Hauptursachen von Hungerkrisen. Demnach sind 10 von 13 aktuellen Hungerkrisen konfliktbedingt. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist der Anteil der hungernden Menschen in langanhaltenden Gewaltkonflikten mehr als drei Mal so hoch wie in anderen Kontexten: Im Sinne des „Leave no one behind“ Prinzips der Agenda 2030 muss ein besonderer Fokus auf Ernährungssicherung in Krisensituationen liegen.
Die ländliche Bevölkerung ist in Konfliktsituationen häufig am verwundbarsten: Angriffe auf die Bevölkerung in ländlichen Gebieten zwingen Menschen zur Flucht. In der Folge sinkt die ländliche Produktivität, Ernten fallen aus und Märkte können nicht erreicht werden. Die durch Konflikte ausgelöste Vertreibung von Menschen verschlimmert und verlängert Nahrungsunsicherheiten auch in solchen Regionen, die Geflüchtete aufnehmen.
Zudem verhindern und erschweren gewaltsame Konflikte, dass humanitäre Hilfe die von Nahrungsunsicherheit betroffenen Menschen erreichen kann. Die Verteilung von Nahrungsmitteln wird in komplexen Konfliktsituationen außerdem häufig politisch von Konfliktparteien kanalisiert und instrumentalisiert, was Fragen der Neutralität von Humanitärer Hilfe – z.B. in Bezug auf den Umgang mit Gewaltakteuren – aufwirft.
Nahrungsunsicherheit als Teilursache von gewaltsamen Konflikten
Nahrungsunsicherheit ist aber nicht nur Folge von Gewalt und Konflikten, sie kann selber auch eine Ursache von gewaltsamen Konflikten sein. Vor allem in Verbindung mit anderen sozioökonomischen Problemen können akute Nahrungsunsicherheiten ein wichtiger Faktor sein, der das Risiko von gewaltsamen Auseinandersetzungen erhöht.
Allein in 2016 gab es in 40 Ländern Unruhen wegen steigender Preise für Nahrungsmittel. Diese „Hungerrevolten“ sind meist eng mit politischen Fragen, wie etwa der Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen oder einzelner Regionen eines Landes und einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, verknüpft.
Gleichzeitig gilt: Wenn Ernährungsunsicherheiten das Konfliktrisiko erhöhen, kann die Verbesserung der Ernährungssicherheit Spannungen abbauen und zu friedlichen Gesellschaften beitragen. Dafür müssen diese Interventionen aber klug gestaltet werden, dürfen keinesfalls bestehende Konflikte weiter anheizen und die Prävention von Gewalt in den Blick nehmen. Dafür ist unter anderem eine fundierte Konfliktanalyse sowie eine echte Teilhabe der Betroffenen an Entwicklungsplänen und relevanten Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen zur Überwindung der Ernährungskrise unerlässlich. Dann kann der Teufelskreis aus Ernährungsunsicherheit und Gewalt in Synergieeffekte von Ernährungssicherheit und Stabilität umgewandelt werden, mit denen Konfliktursachen reduziert, der soziale Zusammenhalt und das Vertrauen in staatliche Institutionen gestärkt und horizontale Ungleichheiten zwischen Bevölkerungsgruppen abgebaut werden können.
Ernährungssicherheit, Landpolitik und Fragilität
Faktoren wie staatliche Fragilität, Korruption und mangelnder politischer Wille verschärfen auch mittel- bis langfristig die Ernährungsprobleme. Wenn sich die Bevölkerung nicht mehr selbst versorgen kann, gelingt es auch staatlichen Institutionen häufig nur unzureichend oder gar nicht, den Bürgerinnen und Bürgern Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. SDG 16.6 ist in diesen Situationen besonders zu priorisieren, mit dem inklusive, rechenschaftspflichtige und effektive Institutionen gestärkt werden sollen.
SDG 16.1 verpflichtet alle Regierungen, Gewalt zu reduzieren. Fragile Staaten sind jedoch häufig nicht Willens oder nicht in der Lage, massive und gewaltsame Vertreibungen in Folge von Landinvestitionen zu verhindern. Im Gegenteil werden Landinvestitionen mit Verweis auf SDG 2 zu wenig auf ihre negativen Auswirkungen auf SDG 16.1 geprüft. Notwendig ist hier die Stärkung partizipativer Politikgestaltung (SDG 16.7) mit inklusiven und effizienten Institutionen (SDG 16.6) und dem gleichberechtigen Zugang zu Justiz (SDG 16.3).
Konflikte um Zugang zu und Kontrolle über Land
SDG 2 stellt den Zusammenhang zwischen einem sicheren und gleichberechtigten Zugang zu fruchtbarem Land und Ernährungssicherheit heraus. Zu Recht definiert SDG 2.3 Landrechte als Schlüssel zur Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität. Der Zugang zu und Kontrolle über Land und natürliche Ressourcen stellt jedoch in vielen Ländern eine zentrale Ursache von Gewalt, Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen dar, die die gemeinsame Umsetzung von SDG 2 und SDG 16 unabdingbar macht. Denn Land hat nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch sowie historisch und kulturell eine besondere Bedeutung. Der in SDG 2.3 definierte Zugang zu Land für alle, darunter besonders für Indigene, Frauen, bestimmte marginalisierte Bevölkerungsgruppen und Jugendliche zur Ernährungssicherung, nimmt damit auch gleichzeitig ein wichtiges Element in den Blick, das zur Konfliktbearbeitung und gesellschaftlichen Transformation hin zu einem gerechten und nachhaltigen Frieden unverzichtbar ist. In vielen Konflikt- und Postkonfliktkontexten ist der sichere und gleichberechtige Zugang zu Land eines der zentralen Themen für die Bevölkerung und für die Advocacyarbeit der Zivilgesellschaft.
Eine besondere Herausforderung ist in diesen Situationen die Zunahme an direkter und struktureller Gewalt gegenüber LandrechtsaktivistInnen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für den fairen und gleichberechtigten Zugang zu Land einsetzen. Um dieser Gefährdung entgegenzutreten, muss aktiv an einem Machtausgleich zwischen Investoren (lokalen Eliten und transnationalen Konzernen) und den lokal Betroffenen an der Basis gearbeitet werden.
Die Politisierung von Land, der Zugang zu Land und die Verwaltung von Land und anderen natürlichen Ressourcen ist besonders in Nachkriegs- und von Gewalt geprägten Kontexten nicht mit rein technischen Lösungen aufzufangen. Business as usual im Bereich der Hungerbekämpfung wird hier also nicht ausreichen, um die strukturellen Ursachen von Hunger und Gewalt gemeinsam anzugehen. Ein systemischer Ansatz zur Ausgestaltung einer konfliktsensiblen Land- und Ressourcen-Governance ist notwendig, der auf der Analyse der politischen Rahmenbedingungen – wie den Interessen lokaler Eliten, struktureller Ausgrenzungen und gesellschaftlicher Konfliktlinien – basiert. Maßnahmen zur Ernährungssicherheit müssen in umfassendere Programme zur Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in staatliche Institutionen und funktionierende Staats-Gesellschaftsbeziehungen eingebunden werden.
Vielversprechende Initiativen und die Rolle Deutschlands
Auf internationaler Ebene wurden eine Reihe von Rahmenwerken vereinbart, die die Zusammenhänge von Land-Governance, Inklusivität und Friedensförderung in den Blick nehmen. So bietet der New Deal for Engagement in Fragile States eine gute Grundlage, um Ressourcenpolitik, Friedensförderung und inklusive und legitime Politikgestaltung zu verbinden. Jedoch spielte die Nutzung und der Zugang von Land nur in wenigen New Deal Prozessen bisher eine prominente Rolle.
Auch die 2012 auf UN-Ebene verabschiedeten „Landleitlinien“ der FAO (Voluntary Guidelines on the responsible Governance of Tenure of land, fisheries and forests/VGGT) bieten einen aktuellen Anknüpfungspunkt für Good Governance im Landsektor, sind menschenrechtsbasiert und fokussieren auf die Sicherung legitimer Nutzungsrechte der lokalen Bevölkerung. Sie stellen Anforderungen an Investitionen in Land und fordern eine auf Inklusivität und nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Landpolitik ein. Dies, so zeigen die Erfahrungen mit dem Instrument und aus den Diskussionen, wäre auch für Deutschland wichtig und sollte in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie adressiert werden.
Leider werden auch diese internationalen Rahmenwerke noch zu unverbunden umgesetzt. In Sierra Leone zum Beispiel gibt es parallele Implementierungsstrukturen für den New Deal und die VGGT, mit unterschiedlichen involvierten Akteuren aus der Regierung, der Zivilgesellschaft und internationalen Entwicklungspartnern. Auch hier kann die Agenda 2030 einen Rahmen bieten, um unterschiedliche Prozesse zusammenzuführen.
Im Sinne des Universalitätsprinzips der Agenda 2030 muss auch Deutschlands Nachhaltigkeitsstrategie die Konsequenzen der Ernährungs- und Konsumgewohnheiten hier auf Land- und Konfliktdynamiken im globalen Süden hin überprüfen und Alternativen entwickeln.
Ansätze integrieren, neue Partnerschaften suchen
Eingangs dieses Artikels haben wir uns mehr Bescheidenheit gewünscht und die Bereitschaft, Ansätze anderer Sektoren aufzugreifen. Und am Ende dieses Artikels stellen wir fest, dass wir doch wieder vor allem mit dem Finger auf andere gezeigt haben. Es scheint gar nicht so einfach, aus dem eigenen Silo herauszukommen. Aber wie können wir zum Beispiel im Rahmen von Versöhnungsprozessen Themen wie Ernährungssicherheit und Landrechte angehen? Welche Hinweise haben Ernährungssicherungs- und LandrechtsexpertInnen, um Methoden der Gewaltreduzierung und Konfliktbearbeitung zu verbessern? Wie kann Ernährungssicherung besser in Programme der Friedensförderung integriert werden? Alleine werden Experten und Expertinnen der Friedensförderung diese Fragen nicht beantworten können.
Nehmen wir also den Appell zur Zusammenarbeit der Agenda 2030 auf allen Seiten ernst und investieren in neue Lern- und Umsetzungspartnerschaften – angesichts der komplexen Herausforderungen wird es sich lohnen.
Weitere Informationen finden Sie hier.
Quelle: FriEnt-Impulse, 31.08.2017