Universität Bonn: Geographie der Gewalt: Warum kommt es an ganz bestimmten Orten zu Konflikten?

Was trägt dazu bei, dass es an einem ganz bestimmten Ort zu gewaltsamen Konflikten kommt? Eine Geographin der Universität Bonn untersuchte am Beispiel politischer Unruhen in Kenia, welche an einen bestimmten Raum gebundenen Voraussetzungen zu Gewaltausbrüchen führen. Die Ergebnisse werden online vorab im Fachjournal „Political Geography“ vorgestellt.

Schätzungsweise mehr als 1.300 Menschen wurden bei den politischen Unruhen in Kenia getötet, die Ende 2007 nach der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse zur Präsidentschaftswahl ausbrachen. Mehr als eine halbe Million war auf der Flucht. Auslöser waren Wahlfälschungsvorwürfe, nachdem Oppositionsführer Raila Odinga dem bereits zuvor amtierenden Präsidenten Mwai Kibaki unterlag. Der Konflikt weitete sich rasch zu einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Volksgruppen aus. „Noch Jahre später hatten sich die Gewaltausbrüche in das Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt“, sagt Britta Lang vom Geographischen Institut der Universität Bonn, die zusammen mit ihrem Institutskollegen Dr. Patrick Sakdapolrak den Fachartikel verfasst hat.

Die Geographin besuchte im Jahr 2011 mehrere Siedlungen in der Nähe des Naivashasees, wo es nach der Präsidentschaftswahl zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war. Welche Voraussetzungen muss ein Ort haben, dass sich genau dort Gewalt entzündet? Und wie verändern Ausschreitungen das Image eines Ortes? Das waren die zentralen Fragen, die die Wissenschaftlerin der Universität Bonn dort untersuchte. Sie führte insgesamt 57 professionelle Interviews und mehrere informelle Gespräche mit Ortsansässigen, die die Gewaltausbrüche erlebten oder an ihnen beteiligt waren.

Rivalen wohnen auf engstem Raum zusammen

In Kenia sei es im Zusammenhang mit politischem Klientelismus schon häufiger zu gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit Wahlen gekommen. Die Übergriffe haben also eine Vorgeschichte, berichtet die Geographin. Außerdem spitzte sich bereits im Vorfeld in den Siedlungen am Naivashasee das Konfliktpotenzial zu, weil sich die Schnittblumenindustrie auf Kosten von Kleinbauern und Viehzüchtern immer mehr ausbreitete. Dies hatte den massiven Zuzug von Arbeitsmigranten zur Folge – die soziale Kluft in der Bevölkerung nahm weiter zu. „Das Ringen um nutzbaren Boden, Arbeitsplätze und Wohnraum sowie generell um bessere Lebensbedingungen in den Arbeitersiedlungen verschärfte sich“, sagt die Geographin. Nach den Präsidentschaftswahlen seien dann in Naivasha die sozialen Spannungen explodiert, weil dort die Mitglieder verschiedener politisch gegeneinander aufgehetzter Ethnien in elenden Verhältnissen auf engstem Raum zusammenwohnen.

In Naivasha, wie auch in anderen Orten des Landes, griffen Mitglieder der jeweiligen ethnischen Mehrheit die Minderheiten an: „Sie schöpften aus den Übergriffen ein Gefühl der Dominanz, grenzten sich dadurch von anderen Gruppen ab und stärkten auch ihre wirtschaftliche Vorrangstellung.“ Hauptopfer seien in Naivasha Arbeitsmigranten aus Westkenia gewesen: „Wer zu den örtlichen Minderheitenethnien gehörte, galt in den Augen der Bevölkerungsmehrheit als Sympathisant der Opposition“, berichtet Lang.

Gewalteindrücke prägen bis heute das Image der Region

Derzeit versucht der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, die Mitverantwortung des aktuell amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta und seines Vizes William Ruto an der Gewalt zu klären. Indes sind die seelischen Wunden der Betroffenen nicht verheilt, zahlreiche Narben geblieben. Die Auswirkungen der Ausschreitungen in Kenia im Jahr 2007 dauern nach den Erkenntnissen der Geographin der Universität Bonn bis heute an und prägen nachhaltig das Bild: „Aus ökonomischen Zwängen heraus kommen nach wie vor zahlreiche Arbeitsmigranten nach Naivasha – sie siedeln sich dort aber aus Angst vor erneuten Übergriffen nicht mehr mit ihren Familien an, sondern bleiben vorsichtshalber nur zu Arbeitseinsätzen.“

Anhand der Befragungsergebnisse vollzog die Wissenschaftlerin die räumliche und zeitliche Dimension vor, während und nach den gewalttätigen Übergriffen nach. „Gewalt erfolgt nicht zufällig: Es müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen, dass es zum Ausbruch kommt“, fasst Lang ihre Ergebnisse zusammen. Die Ereignisse seien einzelne Eruptionen in einem langen Handlungsstrang der Konflikte, die mit einem bestimmten Ort verbunden seien. Dieses Ergebnis lasse sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf andere Orte in Kenia nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 übertragen.

Publikation: Britta Lang und Dr. Patrick Sakdapolrak: Violent Place-Making: How Kenya’s Post-Election Violence Transforms a Workers‘ Settlement at Lake Naivasha, Fachjournal “Political Geography”, DOI: 10.1016/j.polgeo.2014.09.005.

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Bild: Brache im Zentrum der von Gewalt betroffenen Siedlung: Die Gebäude auf diesem Grundstück wurden während der Ausschreitungen komplett zerstört, geplündert und niedergerissen. (c) Foto: Britta Lang/Uni Bonn

Quelle: Artikel der Universität Bonn vom 09.01.2015Was trägt dazu bei, dass es an einem ganz bestimmten Ort zu gewaltsamen Konflikten kommt? Eine Geographin der Universität Bonn untersuchte am Beispiel politischer Unruhen in Kenia, welche an einen bestimmten Raum gebundenen Voraussetzungen zu Gewaltausbrüchen führen. Die Ergebnisse werden online vorab im Fachjournal „Political Geography“ vorgestellt.

Schätzungsweise mehr als 1.300 Menschen wurden bei den politischen Unruhen in Kenia getötet, die Ende 2007 nach der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse zur Präsidentschaftswahl ausbrachen. Mehr als eine halbe Million war auf der Flucht. Auslöser waren Wahlfälschungsvorwürfe, nachdem Oppositionsführer Raila Odinga dem bereits zuvor amtierenden Präsidenten Mwai Kibaki unterlag. Der Konflikt weitete sich rasch zu einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Volksgruppen aus. „Noch Jahre später hatten sich die Gewaltausbrüche in das Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt“, sagt Britta Lang vom Geographischen Institut der Universität Bonn, die zusammen mit ihrem Institutskollegen Dr. Patrick Sakdapolrak den Fachartikel verfasst hat.

Die Geographin besuchte im Jahr 2011 mehrere Siedlungen in der Nähe des Naivashasees, wo es nach der Präsidentschaftswahl zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war. Welche Voraussetzungen muss ein Ort haben, dass sich genau dort Gewalt entzündet? Und wie verändern Ausschreitungen das Image eines Ortes? Das waren die zentralen Fragen, die die Wissenschaftlerin der Universität Bonn dort untersuchte. Sie führte insgesamt 57 professionelle Interviews und mehrere informelle Gespräche mit Ortsansässigen, die die Gewaltausbrüche erlebten oder an ihnen beteiligt waren.

Rivalen wohnen auf engstem Raum zusammen

In Kenia sei es im Zusammenhang mit politischem Klientelismus schon häufiger zu gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit Wahlen gekommen. Die Übergriffe haben also eine Vorgeschichte, berichtet die Geographin. Außerdem spitzte sich bereits im Vorfeld in den Siedlungen am Naivashasee das Konfliktpotenzial zu, weil sich die Schnittblumenindustrie auf Kosten von Kleinbauern und Viehzüchtern immer mehr ausbreitete. Dies hatte den massiven Zuzug von Arbeitsmigranten zur Folge – die soziale Kluft in der Bevölkerung nahm weiter zu. „Das Ringen um nutzbaren Boden, Arbeitsplätze und Wohnraum sowie generell um bessere Lebensbedingungen in den Arbeitersiedlungen verschärfte sich“, sagt die Geographin. Nach den Präsidentschaftswahlen seien dann in Naivasha die sozialen Spannungen explodiert, weil dort die Mitglieder verschiedener politisch gegeneinander aufgehetzter Ethnien in elenden Verhältnissen auf engstem Raum zusammenwohnen.

In Naivasha, wie auch in anderen Orten des Landes, griffen Mitglieder der jeweiligen ethnischen Mehrheit die Minderheiten an: „Sie schöpften aus den Übergriffen ein Gefühl der Dominanz, grenzten sich dadurch von anderen Gruppen ab und stärkten auch ihre wirtschaftliche Vorrangstellung.“ Hauptopfer seien in Naivasha Arbeitsmigranten aus Westkenia gewesen: „Wer zu den örtlichen Minderheitenethnien gehörte, galt in den Augen der Bevölkerungsmehrheit als Sympathisant der Opposition“, berichtet Lang.

Gewalteindrücke prägen bis heute das Image der Region

Derzeit versucht der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, die Mitverantwortung des aktuell amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta und seines Vizes William Ruto an der Gewalt zu klären. Indes sind die seelischen Wunden der Betroffenen nicht verheilt, zahlreiche Narben geblieben. Die Auswirkungen der Ausschreitungen in Kenia im Jahr 2007 dauern nach den Erkenntnissen der Geographin der Universität Bonn bis heute an und prägen nachhaltig das Bild: „Aus ökonomischen Zwängen heraus kommen nach wie vor zahlreiche Arbeitsmigranten nach Naivasha – sie siedeln sich dort aber aus Angst vor erneuten Übergriffen nicht mehr mit ihren Familien an, sondern bleiben vorsichtshalber nur zu Arbeitseinsätzen.“

Anhand der Befragungsergebnisse vollzog die Wissenschaftlerin die räumliche und zeitliche Dimension vor, während und nach den gewalttätigen Übergriffen nach. „Gewalt erfolgt nicht zufällig: Es müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen, dass es zum Ausbruch kommt“, fasst Lang ihre Ergebnisse zusammen. Die Ereignisse seien einzelne Eruptionen in einem langen Handlungsstrang der Konflikte, die mit einem bestimmten Ort verbunden seien. Dieses Ergebnis lasse sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf andere Orte in Kenia nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 übertragen.

Publikation: Britta Lang und Dr. Patrick Sakdapolrak: Violent Place-Making: How Kenya’s Post-Election Violence Transforms a Workers‘ Settlement at Lake Naivasha, Fachjournal “Political Geography”, DOI: 10.1016/j.polgeo.2014.09.005.

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Bild: Brache im Zentrum der von Gewalt betroffenen Siedlung: Die Gebäude auf diesem Grundstück wurden während der Ausschreitungen komplett zerstört, geplündert und niedergerissen. (c) Foto: Britta Lang/Uni Bonn

Quelle: Artikel der Universität Bonn vom 09.01.2015