Uni Bonn | Forscher untersuchen bedrohtes Kulturerbe in Afrika und im Amazonasgebiet

In Afrika und im Amazonasregenwald haben sich Menschen über Jahrhunderte an ihre Umwelt angepasst und ihre Lebensgrundlagen darauf ausgerichtet. Durch diese Koexistenz mit der Natur sind wertvolle Kulturlandschaften entstanden, die auch von der UNESCO gelistet sind. In zwei wissenschaftlichen Projekten untersuchen nun Forschende der Universität Bonn zusammen mit lokalen Institutionen, wie sich diese Landschaften besser schützen lassen.

Der Mensch hat im Lauf von vielen Jahrhunderten gelernt, wie er auch unwirtliche, trockene und felsige Umgebungen für sich nutzbar machen kann. Er errichtete Steinterrassen, um Feldbau betreiben zu können. Durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme und schattenspendende Bäume sorgte er dafür, dass diese Flächen fruchtbar wurden. “Die vom Volk der Mijikenda an der Küste Kenias und Tansanias gehegten Wälder sind ein interessantes Beispiel dafür, wie Menschen und Natur in einem sich verändernden und herausfordernden Kontext koexistieren”, sagt Dr. Girma Kelboro Mensuro vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.

Lokale Veränderungen und die Zukunft der Kulturlandschaften in Afrika

Anhand von zwei Fallstudien der Konso Cultural Landscape in Äthiopien und der Sacred Mijikenda Kaya Forests in Kenia untersucht der Wissenschaftler, wie sich die Mensch-Umwelt-Beziehungen in den von der UNESCO gelisteten Kulturlandschaften verändert haben. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit afrikanischen wissenschaftlichen Partnern, Dr. Abiyot Legesse Kura (Dilla University, Äthiopien) und Dr. Eric Kioko (Kenyatta University, Kenia) sowie mehreren Postdocs. “In beiden Landschaften haben viele Generationen von Menschen gelebt, indigenes Wissen und Institutionen haben Schutz- und Erhaltungspraktiken für die Natur und die Lebensgrundlagen der Menschen ermöglicht”, sagt der Leiter des Forschungsteams Mensuro, der auch Mitglied der Transdisziplinären Forschungsbereiche “Vergangene Welten – Zeitgenössische Fragen. Kulturen in Zeit und Raum” sowie “Innovation und Technologie für eine nachhaltige Zukunft” an der Universität Bonn ist.

Der Forscher sieht die UNESCO-Welterbestätten als “lebende” Landschaften, die durch sozioökonomische, kulturelle, ökologische und politische Faktoren geformt und verändert werden. Zentrale Frage des Forschungsprojektes ist, wie diese Veränderungen von der UNESCO in ihrem Bestreben, den Schutz von Kulturlandschaften von globaler Bedeutung zu unterstützen, berücksichtigt werden.

Das Vorhaben “Lokale Dynamiken und Integration von UNESCO-Welterbestätten von außergewöhnlichem universellem Wert: Evidenz aus Kulturlandschaften in Äthiopien und Kenia” wird in den nächsten vier Jahren mit fast 1,5 Millionen Euro unterstützt. “Die Förderung ermöglicht die Zusammenarbeit zwischen Forschenden in Kenia, Äthiopien und Deutschland sowie den Austausch mit Kommunen, Experten und politischen Entscheidungsträgern”, sagt Mensuro.

Indigenes Heritage und Resilienz im Amazonasgebiet

Das bedrohte Kultur- und Naturerbe dreier indigener Gruppen des bolivianischen und brasilianischen Amazonasgebietes untersucht das Projekt „Erbe und Territorialität: Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Wahrnehmungen bei den Tacana, T’simane und Waiwai“. Die VolkswagenStiftung fördert das Projekt in den nächsten drei Jahren mit fast 1,1 Millionen Euro. “Angesichts einer immer stärkeren Expansion agro-industrieller Unternehmen und Infrastrukturen in indigene Territorien und geschützte Gebiete des Regenwaldes ist es dringend notwendig, das bedrohte kulturelle Erbe mit den Vertreter*innen der indigenen Gruppen zusammen zu untersuchen”, sagt Dr. Carla Jaimes Betancourt vom Institut für Archäologie und Kulturanthropologie (Abteilung Altamerikanistik) der Universität Bonn.

Die Projektleiterin, die auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA5) “Vergangene Welten – Zeitgenössische Fragen. Kulturen in Zeit und Raum” der Universität Bonn ist, verspricht sich von einer ganzheitlichen Sichtweise auf das Thema Heritage, basierend auf archäologischer, anthropologischer und ökologischer Forschung eine Koproduktion von Wissen durch indigene und nicht-indigene Forschende. Prof. Dr. Karoline Noack (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies und TRA5) verantwortet die gemeinsamen Forschungen in den Sammlungen der Herkunftsgemeinschaften, die sich im Museum für Völkerkunde Dresden, dem Ethnologischen Museum Berlin, dem Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main und dem Weltkulturen Museum in Göteborg befinden.

In dem Vorhaben arbeiten lokale indigene Forscher mit weiteren wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Beteiligt sind das Núcleo de Estudos da Amazônia Indígena (NEAI) an der Bundesuniversität Manaus in Brasilien, die Universidade Federal de Santa Catarina (UFSC), die Universidade Federal do Oeste do Pará (UFOPA) und die Wildlife Conservation Society (WCS) in Bolivien. Ziel des Projektes ist die Konstruktion neuer Konzepte von Heritage, indem es bisher unabhängige Themenfelder (ökologische und soziale Beziehungen, historische Territorialität, immateriell-materielle Kultur und indigene Perspektiven) zusammenführt und Strategien für den Schutz und die (Neu-)Schaffung von Heritage auf der lokalen, nationalen und globalen Ebene entwickelt.

Elf Millionen Euro für acht Projekte

In ihrer gemeinsamen Ausschreibung “Global Issues – Integrating Different Perspectives on Heritage and Change” stellen die Fondazione Compagnia di San Paolo (Italien), der Riksbankens Jubileumsfond (Schweden) und die VolkswagenStiftung (Deutschland) insgesamt rund elf Millionen Euro für acht neue Projekte zur Verfügung. Auf Basis eines internationalen Begutachtungsverfahrens wurden interdisziplinäre Forschungsprojekte ausgewählt, in denen die Perspektiven von Forschern und Beteiligten aus verschiedenen Ländern zusammengeführt werden. Neben einem Hauptantragsteller aus Deutschland, Italien oder Schweden sind an jedem Projekt mindestens zwei Partner aus Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen außerhalb Europas beteiligt.

Weitere Informationen

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 07.07.2021