DIE: Die aktuelle Kolumne | Warum ökologische Strukturpolitik Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit sein sollte

Die Europäische Union hat mit ihrem Green Deal ein Zeichen gesetzt: Der notwendige ökologische Umbau der Volkswirtschaften wird als Chance für die Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft erkannt. Das bricht mit einer noch immer weit verbreiteten Sicht, der zufolge die Wirtschaft nur florieren könne, wenn Umweltauflagen möglichst gering seien und Umweltschutz eher nachsorgenden Charakter haben sollte, um Umweltschäden nachträglich teilweise zu kompensieren.

Kluge Strukturpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie zukünftige Marktbedingungen antizipiert und die heimische Wirtschaft dahingehend lenkt und fördert, sich auf diese Bedingungen einzustellen – im Idealfall bevor die Wettbewerber dies tun. Neben der Digitalisierung ist Umweltschutz derzeit der stärkste Treiber wirtschaftlichen Strukturwandels. Ein Beispiel: China erkannte schon vor gut 15 Jahren, dass die Elektrifizierung der Busflotten nicht nur eine der kostengünstigsten Maßnahmen ist, um die Feinstaubbelastung zu senken, sondern auch ein Wachstumsmarkt, weil irgendwann alle Großstädte der Welt diesen Weg gehen würden. Mit einer Mischung aus Regulierung, Forschungsförderung und Kaufprämien wurden Elektrobusse zur Serienreife gebracht. Chinas Anteil am Weltmarkt für Elektrobusse liegt heute bei 96%, Verkehrsverbünde aus aller Welt kaufen in China. Große Automobilnationen wie Deutschland haben diesen Trend verschlafen.

Wie kann die internationale Entwicklungszusammenarbeit ökologische Strukturpolitik fördern? Gerade arme Länder und Bevölkerungsgruppen werden nachhaltiges Wirtschaften nur akzeptieren und umsetzen, wenn sie darin ein zukunftsfähiges Wirtschaftsprogramm erkennen. Das spricht für eine systematische Verzahnung der traditionellen Handlungsfelder „Wirtschaftsförderung“ und „Umweltschutz“ – wie im Fall der chinesischen Elektrobusse. Damit könnte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ein besonderes Profil ausbauen. Einige Beispiele:

Ein gutes Dutzend afrikanischer Länder mit guten Solar-, Wind- oder Geothermieressourcen könnten diese nutzen, um vor Ort energieintensive Industriecluster aufzubauen, insbesondere wenn sie die Stromerzeugung mit Elektrolyse zur Speicherung („grüner Wasserstoff“) verknüpfen. Sie könnten damit Industrien anziehen, die ihren CO2-Fußabdruck verkleinern müssen, wie z.B. die Autoindustrie, oder die Produktion von grünem Stahl und Zement voranbringen. Länder mit rasch wachsender städtischer Infrastruktur könnten sich auf klimafreundliches Bauen mit Holz, Lehm und anderen nachwachsenden Ressourcen spezialisieren und dadurch lokale Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen, anstatt kapital- und energieintensiven Zement, Stahl und Aluminium zu verbauen. Indien könnte darin unterstützt werden, den U-Bahn-Bau weiter zu entwickeln, denn die Wachstumsmärkte hierfür liegen in den Megastädten des Südens. Aus bestehenden Umweltprogrammen zur Abfallvermeidung könnten solche werden, die Kreislaufwirtschaft zu einem beschäftigungsintensiven Wettbewerbsvorteil weiterentwickeln. Bio-ökonomische Innovationen – von Bioplastik aus Agrarabfällen bis hin zu innovativen Fleischersatzprodukten – könnten gefördert werden, um vor Ort industrielle Wertschöpfung und neue Märkte für die bäuerliche Landwirtschaft zu erschließen.

Eine wichtige Grundlage für all dies sind ökologische Fiskalreformen. Nur wenn Verschmutzung und Ressourcenverschwendung teurer werden, entstehen Anreize für die oben genannten Innovationen. Hier bietet sich derzeit eine große Chance für die Entwicklungszusammenarbeit. Durch Mehrausgaben und Einnahmeausfälle in der Corona-Pandemie steigt weltweit die Notwendigkeit, Steuern zu erhöhen und Subventionen zu überdenken. Anstatt Arbeit oder Kapital stärker zu besteuern, ist dies der Moment, ökologische Lenkungssteuern auch in Partnerländern einzuführen und Subventionen auf fossile Energieträger abzuschaffen. Dieses sozialverträglich auszugestalten, muss zu einem Schwerpunkt der nächsten Legislaturperiode werden.

Von einer solchen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf ökologische Strukturpolitik würde ganz nebenbei auch die deutsche Wirtschaft profitieren; denn sie würde Märkte für innovative Umweltgüter und -dienstleistungen fördern, auf denen deutsche Unternehmen gut dastehen. Deren Expertise einzubinden, würde allen Beteiligten nützen. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie klein der Spielraum dafür ist, hiesige Unternehmen durch Kreditsubventionen, Exportbeihilfen oder Hermes-Bürgschaften für Investitionen in den globalen Süden zu locken. Erfolgversprechender ist es, die Entwicklungszusammenarbeit mit dem europäischen Green Deal zu harmonisieren.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Tilman Altenburg, 01.07.2021