DIE: Die aktuelle Kolumne | Mit dem Lieferkettengesetz zur sozialen Gerechtigkeit?

Kurz vor dem Welttag für soziale Gerechtigkeit der Vereinten Nationen am 20. Februar einigte sich die Bundesregierung, das im Koalitionsvertrag vorgesehene Lieferkettengesetz in den Bundestag einzubringen. Der Welttag erinnert an die Erklärung zu sozialer Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung, die von den Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) 2008 beschlossen wurde. Darin wurde festgehalten, dass Arbeit keine Ware ist, und Staaten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb von Landesgrenzen – und im Zuge der Internationalisierung der Wirtschaft auch darüber hinaus – gemeinsam gute Arbeitsbedingungen schaffen sollen. Die Erklärung verweist damit auch darauf, dass Unternehmen in Deutschland oder Europa, die ihre Produkte oder Komponenten aus globalen Lieferketten beziehen, eine wichtige Rolle bei der Umsetzung einer fairen Globalisierung zukommt.

Bisher wurde in Deutschland vor allem auf freiwillige Maßnahmen von Unternehmen gesetzt, die durch staatliche Anreize, wie die Einbindung von sozialen und ökologischen Kriterien in die öffentliche Beschaffung, unterstützt werden. Das geplante Gesetz soll große deutsche Unternehmen verpflichten, bei ihren direkten Zulieferern auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Damit ist die Bundesregierung dem ‚smart mix‘ aus Anreizen und Verpflichtungen für ein nachhaltigeres und damit auch sozial gerechteres Wirtschaften einen Schritt nähergekommen.

Im Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ formulierte die Bundesregierung 2016 erstmals ihre Erwartungen an die freiwillige Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch Unternehmen sowie staatlichen Beiträgen zum Schutz der Menschenrechte, wie einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Als sich Ende 2020 abzeichnete, dass nur eine Minderheit deutscher Unternehmen freiwillige Maßnahmen zur Wahrung der Sorgfaltspflicht gegenüber Menschenrechten entlang ihrer internationalen Lieferketten ergreift, forderten Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft unternehmerische Sorgfaltspflichten endlich auch gesetzlich und verbindlich zu verankern. Mit der Umsetzung folgt Deutschland einem Trend ähnlicher Gesetze, z.B. in Frankreich und Großbritannien, die den Schutz von Menschenrechten entlang internationaler Lieferketten zunehmend verpflichtend machen. Ist damit der Beitrag von Deutschland und deutschen Unternehmen zu einer fairen Globalisierung erfüllt und werden staatliche Maßnahmen wie eine nachhaltige öffentliche Beschaffung überflüssig?

Zum einen ist das geplante Lieferkettengesetz der Bundesregierung weit weniger ambitioniert als von vielen die sich dafür einsetzen erhofft. Es soll nur für eine kleine Zahl sehr großer Unternehmen gelten, die Sorgfaltspflicht soll nur die erste Stufe der Lieferkette betreffen und ökologische Kriterien werden voraussichtlich nicht einbezogen. Zudem ist man vom Klagerecht für Betroffene abgerückt. Damit steht zu befürchten, dass die tatsächliche Veränderung unternehmerischen Handelns gering ausfällt.

Zum anderen wäre auch ein umfassenderes Gesetz nur ein Element des ‚smart mix‘. Lieferkettengesetze sind Bausteine einer fairen Globalisierung, die Unternehmen dazu verpflichten, Managementsystemen für soziale und ökologische Aspekte in ihren Lieferketten aufzubauen. Wichtiger noch als mögliche Bußgelder bei Verstößen sind die Maßnahmen, die in Unternehmen umgesetzt werden, um die eigene Lieferkette zu verstehen und mit allen Akteuren an der Verbesserung von Arbeitsbedingungen und den Folgen unternehmerischen Handelns zu arbeiten. Von diesen Veränderungen kann auch die nachhaltige öffentliche Beschaffung profitieren. Vorgaben öffentlicher Auftraggeber an soziale und ökologische Aspekte in internationalen Lieferketten sind für viele Bieter in Vergabeverfahren schwer zu erfüllen, wenn sie selbst unzureichende Erfahrungen mit diesen Aspekten ihrer Lieferkette haben. Erhöhter Aufwand und zusätzliche Kosten sowie ein unzureichendes Angebot in vielen Produktgruppen sind die Folge. Durch die Limitierung auf die erste Stufe der Lieferkette ist der potenzielle Effekt des aktuellen Vorschlags für ein deutsches Lieferkettengesetz geringer, als wenn Unternehmen ihre gesamte Lieferkette, über Komponenten bis zu den Rohstoffen, in den Blick nehmen müssten.

Lieferkettengesetze decken darüber hinaus lediglich ein Minimum an unternehmerischer Verantwortung ab. Die Ziele der ILO-Erklärung zu sozialer Gerechtigkeit gehen über die Wahrung der Menschenrechte hinaus. Faire Löhne, soziale Absicherung sowie gesunde und sichere Arbeitsbedingungen stehen im Zentrum der ILO-Erklärung und sind nicht explizit Teil der Überlegungen zu einem deutschen Sorgfaltspflichtgesetz.

Die Europäische Kommission plant bereits eine Vorlage für ein EU-weites Lieferkettengesetz. Es bleibt zu hoffen, dass diese ambitionierter ausfällt, ökologische Kriterien einbezieht, Betroffenen ein Klagerecht einräumt und für mehr Unternehmen gelten wird. Davon unabhängig können staatliche Akteure ihre Bemühungen um eine nachhaltige öffentliche Beschaffung verstärken, um das Ziel von sozialer Gerechtigkeit und einer fairen Globalisierung zu erreichen.

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Tim Stoffel, 22.02.2021