FONA | Klimaforschung soll Wege zur Klimaneutralität aufzeigen

Unter dem Motto „Providing Knowledge for a climate neutral and resilient Europe“ haben ca. 80 Akteure aus Forschung, Politik und Praxis im virtuellen Forum der Europäischen Initiative JPI Climate Schwerpunkte der europäischen Förderung diskutiert.

Das diesjährige Forum der Gemeinsamen Programmplanungs-Initiative JPI Climate wurde vom BMBF unter dem Dach der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 9. und 10. Dezember 2020 ausgerichtet. Schwerpunkte der Diskussion im JPI Climate Forum waren vor allem die Weiterentwicklung von Klimadienstleistungen, nachhaltige Finanzwirtschaft, der Umgang mit CO2-Entnahme-Methoden und die zunehmend wichtige Rolle der Sozialwissenschaften. Die Ergebnisse der Diskussion sollen in die Umsetzung des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont Europa” im Kontext des europäischen „Green Deal” einfließen. Eröffnet wurde das Forum von Wolf-Dieter Lukas, Staatssekretär im BMBF, mit dem Ziel, wichtige Impulse für ein klimaneutrales, nachhaltiges und innovatives Europa zu leisten. Die JPI Climate hat sich unter dem Vorsitz von Frank McGovern, Chef-Klimaforscher bei der Environmental Protection Agency (EPA) in Irland, vorgenommen, durch gemeinsame europäische Forschung die Synergien und die besten Ansätze in der Klimaforschung zu fördern. Der Austausch im Rahmen des JPI Climate Forums setzt hierzu alle zwei Jahre wichtige Akzente.

Aus wissenschaftlicher Perspektive erklärte Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Professor für Erdsystemforschung an der Universität Potsdam, zeitgleiche globale Krisen, wie der Klimawandel und Covid-19, erforderten wissenschaftsbasierte Gegenmaßnahmen. In der Klimakrise ständen Wissenschaftler:innen jetzt jedoch vor der nie dagewesenen Aufgabe, die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft für eine nachhaltige Welt zu „orchestrieren”. Hierfür bräuchte die Wissenschaft verstärkt neue methodische Ansätze, wie zum Beispiel Big Data-Analyse-Instrumente.

EU-Kommission: Die Wissenschaft soll der Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft eine Richtung geben

John Bell, Direktor der Abteilung „Healthy Planet” in der Generaldirektion Forschung und Innovation der Europäischen Kommission, betonte, der Green Deal werde die Politik der EU in den nächsten drei Dekaden maßgeblich prägen. Alle relevanten Politiken und Politikinstrumente der EU würden nun auf die Klimaziele ausgerichtet. Laut Bell könne allein die Wissenschaft die richtigen Wege zur Klimaneutralität aufzeigen. Die Klimaforschung spiele daher eine Schlüsselrolle bei der Ausgestaltung und Steuerung der EU-Forschungsförderung. Dabei müsse auch die Öffentlichkeit überzeugt und mitgenommen werden. In der Forschung seien deshalb alle gefragt, neue Klimaanpassungen vor Ort mit Stakeholdern und politischen Akteuren auszuloten.

Nachhaltige Lösungen müssen von Stakeholdern und Beteiligten mitgetragen werden

Über solche Multi-Stakeholder-Ansätze berichtete Hein Pieper, Wasserschutzexperte aus den Niederlanden und Mitglied des Mission BoardsAdaptation to climate change including societal transformation“, aus der Praxis des nachhaltigen Wassermanagements. Mehr Nachhaltigkeit in Europa eröffne vielfältige neue Geschäftsmodelle. Aber diese könnten nur umgesetzt werden, wenn man alle Stakeholder und betroffenen Bürger:innen vor Ort an einen Tisch setze. Hier müssten Interessenkonflikte benannt, moderiert und ausgeglichen werden. Die Akteure selbst würden durch einen regelmäßigen, moderierten Austausch – wie in einer Lerngemeinschaft – gemeinsam Kompromisse und neue Lösungen finden. „Co-Kreation” im Sinne der Mitgestaltung von Stakeholdern und Bürger:innen sei der wirksamste Ansatz für nachhaltige und effektive Strategien, die später auch von allen Beteiligten mitgetragen würden.

Philippe Tulkens, stellvertretender Leiter des Referats „Climate and Planetary Boundaries” in der Generaldirektion Forschung und Innovation der Europäischen Kommission, erklärte, die Klimaforschung sei jetzt an einem Wendepunkt: Die Forschenden müssten sich – anders als gewohnt – über die Projekt-Abschluss-Publikation hinaus überlegen, wie ihre Ergebnisse in die praktische Anwendung kommen können und dafür konkrete Beiträge leisten.

EU-geförderte Klimadienstleistungen stärken – durch mehr Kommunikation und Praxisorientierung

„Klimadienstleistungen” werden durch digitale Programme, Daten, Prognosen und Bewertungen von Klimaveränderungen erarbeitet und bereitgestellt. Sie liefern aktuelle Klimainformationen und wertvolles Wissen zur Einordnung der Daten und Dynamiken beispielsweise für Unternehmen, Behörden, Kommunen und anderen Institutionen. Klimadienstleistungen helfen, sich auf den Klimawandel und die Klimavariabilität mit allen Aktivitäten, Baumaßnahmen usw. einzustellen. An Klimadienstleistungen, die in vielfältigster Weise in ganz Europa angeboten werden, lässt sich daher exemplarisch beobachten, wie die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel in der Praxis funktionieren kann. Solche Klimadienstleistungen fördert das BMBF unter anderem im Rahmen des ERA4CS-Konsortium der JPI Climate. Wissenschaftler:innen müssen hier als Lösungsanbieter agieren. Zum Beispiel – so wurde in den Foren auf dem JPI Climate-Treffen diskutiert – stehen die ersten Anbieter für Klimadienstleistungen vor der Frage: Gibt es einen Markt für Klima-Prognosen und falls ja, wie müssten die Daten und Vorhersagen als Produkte aufbereitet werden, um für Kommunen, Behörden und andere Institutionen attraktiv und anwendbar zu sein? Hier seien transdisziplinär erstellte Marktanalysen ebenso gefragt, wie Sozialwissenschaftler:innen, die eruieren können, wo genau die Bedarfe bei den Kommunen liegen und wie diese Potenziale überhaupt abgerufen werden können.

Forschungsförderung für eine nachhaltige Finanzwirtschaft

Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion in der EU-Kommission, betonte in ihrer Videobotschaft, Covid-19 sei keine Entschuldigung, um angesichts der Klimakrise nicht zu handeln. Für mehr Nachhaltigkeit müsse gerade auch der Finanzsektor umgebaut werden. Im Übereinkommen von Paris wurde unter anderem festgelegt, dass die Finanzmittelflüsse mit den Klimazielen in Einklang gebracht werden müssen. Dazu soll die Finanzwirtschaft zukünftig Nachhaltigkeitsaspekte in alle Geschäftsmodelle, Prozesse und Produkte integrieren.

Die Arbeitsgruppe zur nachhaltigen Finanzwirtschaft im Rahmen des JPI Climate Forums war sich in Bezug auf die Voraussetzungen für eine nachhaltige Wirtschaft und Finanzwirtschaft einig: Dafür müssen sich alle Sektoren transformieren, wobei der Energiemarkt die Chance habe, dies am schnellsten zu bewältigen. Für die Transformation aller weiteren Märkte würde nach wie vor Forschung insbesondere zu neuen Geschäftsmodellen sowie die systematische Eruierung der Bedarfe von Investoren, Privatkunden sowie kleiner und mittlerer Unternehmen benötigt. Ein wichtiges Finanzinstrument und Forschungsfeld sei darüber hinaus „Nachhaltiges Investment”. Dies könne die Transformation – verbunden mit Klima-Benchmarks – deutlich beschleunigen. Das BMBF hat zur Erforschung unterschiedlicher Wege in eine nachhaltige Finanzwirtschaft bereits Fachgespräche geführt und bereitet für 2021 eine entsprechende Förderbekanntmachung vor.

Differenzierte Diskussion über Ansätze der „negativen Emissionen”

Die politische Debatte über „negative Emissionen”, das heißt über unterschiedliche CO2-Entnahme-Methoden aus der Atmosphäre (Carbon dioxide removal/CDR), hat in den letzten Monaten auf EU-Ebene an Bedeutung gewonnen. Das Thema wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert, so waren auch die Meinungen auf dem JPI Climate-Forum hierzu geteilt. Fest steht jedoch: Ohne die negativen Emissionen wird eine vollständige Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts wohl nicht mehr zu erreichen sein. Doch wovon ist hier genau die Rede? Ist CDR wirklich eine Option und wenn ja, auf welche Weise?

Einige Teilnehmer:innen des JPI Climate Forum vertraten den Standpunkt, die CO2-Entnahme sei eine öffentliche Aufgabe und müsse daher auch in der Forschung vorangetrieben werden, damit keine unkontrollierten Eingriffe durch die Privatwirtschaft erfolgten. Die andere Seite argumentierte hingegen, öffentliche Gelder könnten am Ende sowieso nicht ausreichen, um die Forschung und Umsetzung der CO2-Entnahme zu finanzieren. Man solle eher auf die Besteuerung von Kohlenstoffemissionen setzen und die Entwicklung von CO2-Entnahme-Methoden höchstens beobachten. Trotz der unterschiedlichen Positionen in der Debatte konnte zum zukünftigen Vorgehen der JPI Climate ein gemeinsamer Nenner gefunden werden: Die JPI Climate solle in der gemeinsamen Forschungsförderung die Erforschung von CO2-Entnahme-Methoden zur besseren Positionierung in der öffentlichen Debatte und für Geschäftsmodelle ausschreiben. Dabei sei es wichtig, einen breiten, systemischen und unparteiischen Ansatz in der Forschung zu gewährleisten. Dies steht auch im Einklang mit der im Sommer 2020 veröffentlichten Förderbekanntmachung des BMBF Methoden zur Entnahme von atmosphärischem Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal, CDR). Des Weiteren wurde der JPI Climate von den Teilnehmer:innen angetragen, die Koordinierung der Forschungsanstrengungen und den Aufbau von Kapazitäten über die fachlichen und nationalen Grenzen hinweg für eine informierte politische Debatte voranzutreiben. Darüber hinaus sollten mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit die Stakeholder sensibilisiert und der internationale Austausch unterstützt werden.

Fazit: Gemeinsam die Wissenschaft befähigen, ihre Erkenntnisse an Entscheidungsträger zu vermitteln

Wissenschaftler:innen als Vermittler von differenziertem Klima-Wissen, Kontexten und Lösungen für die Praxis, als Beobachter von Märkten, als Bewertungsinstitution für klimaneutrale, neue Geschäftsmodelle sowie als Moderatoren an runden Tischen mit Stakeholdern, Politik und Bürger:innen – all diese gewachsenen Aufgaben und Rollen für Forschende können nur erprobt und evaluiert werden, wenn auch die Sozialwissenschaften mit ihren Analysen und Modellen einen entsprechenden Beitrag zur Befähigung der Wissenschaft als Kommunikator und Vermittler leisten. Daher brauche es auch neue Ansätze in den Sozialwissenschaften, befand das JPI Climate Forum.

Mit der gemeinsamen europäischen Forschungsförderung im Rahmen der JPI Climate leistet das BMBF einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verständnis des Klimawandels, der Nachhaltigkeit und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Die europäischen Forschungsergebnisse liefern wichtige Grundlagen für eine Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität bei gleichbleibender, bzw. wachsender Lebensqualität in unserer Gesellschaft. Damit erhalten wir in Europa weitere wichtige Datengrundlagen, um den Klimawandel einzudämmen und gezielte, effektive Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen. Daher setzt das BMBF auch mit der neuen FONA-Strategie auf die verstärkte europäische Forschungszusammenarbeit. Die JPI Climate hat dafür seit ihrer Gründung 2010 insgesamt über 110 Millionen Euro an Forschungsmitteln mobilisiert, mit etwa einem Fünftel der Summe hat sich das BMBF beteiligt.

Hintergrund

Die Gemeinsame Programmplanungs-Initiative Klima – Joint Programming Initiative Climate (JPI Climate) ist eine Initiative der europäischen Mitgliedstaaten und assoziierten Mitglieder, um nationale Forschungsförderprogramme zur Klimaforschung durch gemeinsame Koordinierung und Finanzierung neuer europäischer Forschungsaktivitäten aufeinander abzustimmen. Die transnationale Koordination der Forschungsförderung zielt darauf ab, teils vorhandene Fragmentierung zu überwinden, die öffentlichen Forschungs- und Entwicklungs-Ressourcen durch Synergien besser zu nutzen und die Zusammenarbeit zwischen Spitzenwissenschaftler:innen über die nationalen Grenzen hinweg zu erleichtern. Die JPI Climate ist daher ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraumes (European Research Area, ERA). Die Initiative ist eine von zehn zwischenstaatlichen JPIs in Europa. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die JPI Climate zu einem zentralen Austauschforum für die Ausrichtung der Klimaforschung auf europäischer Ebene entwickelt – sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch mit der Europäischen Kommission.

Um Schwerpunkte und Ziele der gemeinsamen Förderung festzulegen, kommen die wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Akteur:innen Europas und der Europäischen Kommission alle zwei Jahre im Rahmen des „JPI Climate Scoping Forum Symposiums” zusammen. In diesem Jahr fand das Symposium im Rahmen der Europäischen Ratspräsidentschaft Deutschlands statt. Es steht damit in Kontinuität zum „European Forum on Science & Education for Sustainability (EFSES)” im Oktober 2020. Deutschland hatte sich 2010 federführend am Aufbau der JPI Climate Initiative beteiligt und ist heute eines der aktivsten Mitglieder. Aus der Programmplanungsinitiative sind mehrere gemeinsam finanzierte Förderprogramme hervorgegangen, einige von der EU-Kommission ko-finanziert.

Weitere Informationen

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Unterabteilung Nachhaltigkeit; Zukunftsvorsorge (FONA), 15.12.2020