DIE | Internationale Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen MENA-Ländern im Kontext von COVID-19

Die Regierungen im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA) begegnen der Pandemie auf unterschiedliche Weise, dabei sehen sich viele durch schwache Sozialsysteme und wachsende gesellschaftliche Frustrationen herausgefordert. In relativ wohlhabenden Ländern – wie Libanon, Ägypten und Irak – haben führende Politiker die Pandemie als Vorwand benutzt, um berechtigte Proteste gegen ihr fehlendes Verantwortungsbewusstsein und ihr Versagen bei der Bereitstellung der Grundversorgung zu unterdrücken. Für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, die das Funktionieren legitimer, rechenschaftspflichtiger Regierungen und widerstandsfähiger Gesellschaften unterstützt, stellt dies eine große Herausforderung dar – wie der Fall des Libanon derzeit zeigt.

In scheinbar endlosen Krisen haben die zyklischen Gewaltkonflikte im Jemen, in Syrien und Libyen zu höchst fragilen, rudimentären Gesundheits- und Sozialsystemen geführt, die von der Pandemie überfordert sind. Sie werden durch große, zunehmende Ungleichheiten und politische Instabilität geschwächt. Wie immer sind die Schwächsten am härtesten betroffen – die Zivilbevölkerung und insbesondere Frauen, Kinder, Vertriebene und Flüchtlinge.

Tunesien dagegen, wirtschaftlich schwach und politisch keineswegs stabil, fällt in der Region auf, weil es das Virus entschlossen bekämpft. Tunesien hat frühzeitige und drastische Maßnahmen ergriffen, um zunächst seine Bevölkerung und damit längerfristig auch seine Wirtschaft zu schützen.

Trotz der großen Herausforderungen in der Region erinnerte UN-Generalsekretär António Guterres kürzlich die arabischen Führer daran, dass die Pandemie auch Chancen für Konfliktlösungen und ein building back better bietet, namentlich durch die Überwindung struktureller Schwächen und die Stärkung der Gesellschaftsverträge.

Guterres schlägt einen Paradigmenwechsel vor, wenn er feststellt, dass „niemand sicher ist, bis alle sicher sind“. Dies bringt unsere wechselseitige Verwundbarkeit zum Ausdruck und verlangt eine ganzheitlichere und umfassendere Sichtweise der Bedrohungen der kollektiven ‚menschlichen Sicherheit‘. Letztere ist integral mit Umweltsicherheit verknüpft, die den Mittelpunkt unseres globalen Denkens und Handelns bilden muss.

Es liegt im vitalen Interesse verantwortungsbewusster Regierungen, internationale Organisationen weiter zu stärken anstatt sie zu zerschlagen oder finanziell auszutrocknen. Denn sie versuchen, die wechselseitigen Gefährdungen menschlicher Sicherheit – darunter tiefe strukturelle und horizontale Ungleichheiten innerhalb von und zwischen Ländern sowie scheiternde Gesellschaftsverträge – zu bekämpfen. Es müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft zu verstehen, Hindernisse zu überwinden und Mittel und Wege zu finden, nationale Gesellschaftsverträge zu schließen.

Die Volksaufstände des Arabischen Frühlings und die verschiedenen Reaktionen darauf haben im vergangenen Jahrzehnt die Gesellschaftsverträge und die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft bestimmt. Tunesien, Katalysator der Veränderungen, hat echte politische Reformen eingeleitet. Nach einem äußerst integrativen Übergangsprozess hat das Land u.a. einen ständigen trilateralen Dialog zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierung eingeführt. Das gewonnene Vertrauen der Öffentlichkeit hat dazu beigetragen, dass die Gesellschaft die COVID-19-Regeln der Regierung befolgt.

Für Syrien, den Jemen, Libyen und den Irak, die auf eine lange Geschichte gescheiterter Gesellschaftsverträge und anhaltender gewaltsamer Konflikte und Krisen zurückblicken, verlangen die Pandemie und ihre sich abzeichnenden Folgen radikale Maßnahmen. Es ist entscheidend, die Pfadabhängigkeiten und Zyklen von Gewalt und staatlicher Fragilität zu durchbrechen. Dies ist leichter gesagt als getan, wenn regionale und internationale Akteure Teil des Konflikts sind. Eine länderübergreifende Analyse tief gespaltener Gesellschaften macht deutlich, wie wichtig es ist, nationale politische Regelungen an tragfähige und integrative institutionelle Arrangements zu binden, die strukturelle Konfliktursachen transformieren und die Einhaltung von Zusagen gewährleisten können. Wesentlich ist, dass wachsender sozialer Zusammenhalt – eine Voraussetzung für einen inklusiven Gesellschaftsvertrag – eng mit Fortschritten in diesen Bereichen verbunden ist.

Im Zentrum sozialen Zusammenhalts stehen der Aufbau von Vertrauen und die Erfüllung der materiellen Bedürfnisse und politischen Erwartungen von Gesellschaften. Größeres Vertrauen ist der Kern von tragfähigeren Gesellschaftsverträgen. Internationale Unterstützung durch politisch-normative, finanzielle und technische Zusammenarbeit ist in solchen Kontexten unerlässlich, um nationalen Akteuren bei der Einrichtung von Multi-Stakeholder-Dialogen und der Umsetzung tragfähiger Vereinbarungen zu helfen.

Die internationalen Akteure müssen sicherstellen, dass eine koordinierte Unterstützung keinen Schaden anrichtet – damit der Frieden unter den nationalen Gegebenheiten letztlich organisch wachsen kann. Die Bemühungen um die Bekämpfung der Pandemie in und zwischen fragilen und von Gewaltkonflikten betroffenen Ländern müssen sich auf diese Prioritäten und Verfahren einstellen, wenn die Idee des building back better verwirklicht werden soll. Dies ist keine Hexerei mehr, denn diverse Institutionen haben wegweisende Erkenntnisse über Best Practices in der internationalen Zusammenarbeit gewonnen – auch in Zeiten einer Pandemie.

Über die Autoren

Erin McCandless ist außerordentliche Professorin an der School of Governance der Witwatersrand University in Südafrika und leitet ein Forschungs- und politisches Dialogprojekt zur Schaffung widerstandsfähiger Gesellschaftsverträge in Ländern, die sich von Konflikten und Autoritarismus abwenden.

Bernhard Trautner ist Politikwissenschaftler und Forscher im Forschungsprogramm Transformation politischer (Un-) Ordnung am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Erin McCandless, Bernhard Trautner, 24.08.2020