DEval | Überlegungen zur Schnelligkeit der internationalen Covid-19-Hilfe

Angesichts ihrer zahlreichen Folgewirkungen zeigt die Covid-19-Pandemie besonders deutlich, wie wichtig internationale Solidarität und schnelle humanitäre Hilfe sind. Sobald die Infektionsraten ansteigen, müssen die Regierungen schnell handeln, um eine Überlastung ihrer Gesundheitssysteme zu vermeiden. Zudem müssen Länder, die auf internationale Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe zügig erhalten, um ihre Wirksamkeit sicherzustellen. Was ist aktuell über die Geschwindigkeit der internationalen humanitären Hilfsleistungen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie bekannt? Welche allgemeinen Erkenntnisse können wir aus Untersuchungen zur Geschwindigkeit von Nothilfe gewinnen?

In welchem Umfang wurde Hilfe im Zusammenhang mit Covid-19 geleistet?

Die Daten des Financial Tracking System (FTS) des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Hilfe (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UNOCHA, 2020) ermöglichen Schätzungen zum Umfang der weltweiten humanitären Hilfsleistungen. Das FTS erfasst alle registrierten Beiträge der globalen humanitären Hilfe im Rahmen von Covid-19, wozu unter anderem der Covid-19 Global Humanitarian Response Plan (GHRP) gehört. Die laufend aktualisierten Zahlen belegen, dass in der ersten Jahreshälfte 2020 weltweit mehr als 2,8 Milliarden US-Dollar (Zahlungen oder Zahlungszusagen) zur Bewältigung der Auswirkungen der Infektionskrankheit bereitgestellt wurden. Etwa 77 Prozent dieser Finanzmittel brachten einzelne Regierungen auf. Wie die Weltkarte unten (Abbildung 1) zeigt, sind nahezu alle Länder der Welt Empfänger und/oder Geber von Covid-19-Hilfe. Die Vereinigten Staaten sind der weltweit größte Geber (464 Millionen US-Dollar), gefolgt von Japan (392 Millionen US-Dollar) und Deutschland (373 Millionen US-Dollar). Ein Großteil dieser Beiträge wurde Ländern im globalen Süden, insbesondere in Afrika und im Nahen Osten, zur Verfügung gestellt.

Wie schnell erfolgten die Hilfsleistungen?

Schnelligkeit ist der entscheidende Faktor bei der Nothilfe. Daher unterstützen zahlreiche Geber Grundsätze, die eine schnelle Bereitstellung von Hilfe in Krisensituationen in den Vordergrund stellen. Das schnelle Einsetzen der Hilfsleistungen ist dementsprechend in den 24 Grundsätzen der Geberinitiative Good Humanitarian Donorship (GHD) verankert.

Der erste Aufruf zur Corona-Nothilfe erfolgte am 10. März 2020 durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (The UN Refugee Agency, UNHCR). Dies geschah einen Tag, bevor die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch als Pandemie feststellte. Basierend auf über 1.400 im FTS erfassten zugesagten oder ausgezahlten Hilfsleistungen zeigt Abbildung 2 die Verteilung dieser Covid-19-Hilfsmaßnahmen im ersten Halbjahr 2020. Trotz der Dringlichkeit der Hilfe setzten die Hilfsströme langsam ein und erreichten ihren Höhepunkt erst Ende Mai. Der sichtbare Rückgang im Juni ist mit Vorsicht zu bewerten, da möglicherweise die Daten zu den jüngsten Hilfslieferungen noch nicht übermittelt wurden. Wenn man die Daten der Hilfsströme hinsichtlich des Spendenvolumens betrachtet, erreichten die Gesamtbeiträge erst am 24. April die Marke von einer Milliarde US-Dollar.

Des Weiteren bestehen große Unterschiede in der Schnelligkeit der Hilfsleistungen der einzelnen Geber, selbst bei den drei größten Gebern. Die Vereinigten Staaten verpflichteten sich am 1. März und Japan am 5. März zu den ersten Hilfsleistungen, wohingegen Deutschland fast zwei weitere Wochen für die erste erfasste Spendenzusage benötigte, die dann am 16. März erfolgte. In allen drei Fällen war der erste Empfänger die WHO.

Beeinflussen politische und wirtschaftliche Interessen die Schnelligkeit der Nothilfe?

Bisherige Studien zu humanitärer Hilfe zeigen, dass politische Interessen, Handelsbeziehungen und Medienberichterstattung das Vergabemuster humanitärer Hilfsleistungen beeinflussen (Eisensee und Strömberg, 2007; Fink und Redaelli, 2010; Raschky und Schwindt, 2012). Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Schnelligkeit der Hilfe im Zusammenhang mit Covid-19 neben dem tatsächlichen Bedarf und den lokalen Gefährdungen offenbar auch von strategischen Interessen der Geber getrieben wird. So zeigt sich etwa in Serbien, einem EU-Beitrittskandidaten, der in den letzten Jahren auch Moskau und Peking hofiert hat, die Schnittmenge konkurrierender diplomatischer Aktivitäten sehr deutlich. Die im April 2020 gewährten medizinischen Hilfsgüter seitens der Regierungen Chinas, Deutschlands und Russlands wurden als Konkurrenz um geopolitische Einflussnahme interpretiert und erhielten viel Aufmerksamkeit in den Medien.

Im Rahmen unseres laufenden Forschungsprojekts (Fuchs und Siewers, 2020) untersuchen wir generell die Geschwindigkeit humanitärer Hilfe nach plötzlich auftretenden Krisen oder Katastrophen. Im Einzelnen analysieren wir dabei die Zusagen von 49 Geberländern im Verlauf von fast 500 Naturkatastrophen im Zeitraum von 2000 bis 2016. Die Ergebnisse der ökonometrischen Analysen belegen, dass die Reaktionsgeschwindigkeit der Geber auf Notsituationen von ihren strategischen Interessen abhängt. Das heißt, dass die Reaktionsgeschwindigkeit der Geberländer mit wachsender Intensität der bilateralen Handelsbeziehungen steigt. Bei gleicher Ausgangslage erhält ein Land, das als Exportzielland (Importquelle) von doppelt so hoher wirtschaftlicher Bedeutung ist, die Hilfe um rund 4,5 Prozent (3,1 Prozent) schneller. Außerdem erhalten betroffene Länder, die politisch mit dem Geber weniger eng verbunden sind (bei Betrachtung der Übereinstimmung des Abstimmungsverhaltens in der UN-Vollversammlung), schneller Hilfe. In Übereinstimmung mit vorangegangenen Untersuchungen zum Vergabemuster humanitärer Hilfe (z.B. Fink und Redaelli, 2011) werden humanitäre Hilfsleistungen von Gebern offenbar dazu genutzt, sich in den Ländern strategisch zu positionieren, in denen sie politisch schwächer verankert sind. Die jüngsten Vorwürfe einer „Maskendiplomatie“ (vor allem gegenüber China) und die Lieferung medizinischer Hilfsgüter an Italien und die Vereinigten Staaten („Liebesgrüße aus Moskau“) passen durchaus in dieses Muster.

Darüber hinaus zeigen unsere Untersuchungen, dass ein wesentlicher Faktor bei der zeitlichen Abwicklung der Hilfsmaßnahmen die Konkurrenz unter den Gebern selbst ist. Im Kontext des Coronavirus bedeutet dies im Kern, dass die Geberländer nicht nur auf der Grundlage der Infektionskurven der Empfängerländer entscheiden, wann sie Hilfe leisten, sondern auch danach, welche (und wann) andere Geber, insbesondere ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Rivalen, einem bestimmten Empfängerland bereits Unterstützung gewährt haben. Das serbische Beispiel verdeutlicht diese Zusammenhänge sehr gut.

Was können wir daraus lernen?

Konkret bedeutet das: Wir brauchen mehr humanitäre Hilfe und das schnell. Vor dem Hintergrund unserer Untersuchungsergebnisse sind zwei Merkmale des aktuellen Coronavirus-Ausbruchs erkennbar, die genutzt werden können, um die Covid-19-Hilfe wirksamer, zeitlich besser abgestimmt und weniger abhängig von egoistischen Beweggründen der Geber zu machen. Erstens: Die aktuelle Pandemie hat auch die reichen Länder nicht verschont. Wenngleich dies den Wettbewerb um knappe Ressourcen verstärken kann, führt die Tatsache, dass Menschen weltweit gleichzeitig der gleichen Bedrohung ausgesetzt sind, möglicherweise zu einem deutlichen Anstieg der öffentlichen Zustimmung zu einer bedarfsgerechteren und schnelleren Hilfe. Diese Annahme ist allein schon aufgrund des Wesens einer Pandemie in einer globalisierten Welt sehr wahrscheinlich, da das Auftreten von Ansteckungsherden im Ausland schnell zu einem Anstieg lokaler Infektionen führen kann. Das impliziert, dass „niemand sicher ist, bis alle sicher sind“ und dass „die Welt nur so stark wie das schwächste Gesundheitssystem ist“ (UN, 2020, S. 3, eigene Übersetzung).

Zweitens besteht vor dem Hintergrund empirischer Belege für die oftmals unzureichende Koordinierung unter bilateralen Gebern (z.B. Fuchs et al., 2015) ein dringender Bedarf an gut etablierten und einflussreichen internationalen Organisationen, wie zum Beispiel der WHO und UNOCHA. Trotz ihrer zahlreichen Defizite, die sich in den vergangenen Monaten gezeigt haben, sollte anstelle des Abbaus der begrenzt verfügbaren multilateralen Infrastruktur die Krise genutzt werden, um die Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung zu vertiefen. Schließlich ist eine effizientere Geberkoordinierung der Schlüssel dafür, die Wirksamkeit von Hilfsmaßnahmen zu steigern. Folglich können die Reaktionsmechanismen auf die Pandemie durch die Schärfung des weltweiten Bewusstseins und erweitere Optionen für Zusammenarbeit zwischen den Regierungen verbessert werden. Gleichzeitig kann sich dies auch langfristig vorteilhaft auf die Umsetzung humanitärer Hilfe insgesamt und zukünftiger globaler Krisen auswirken.

Weitere Informationen

Quelle: Deutsches Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), Andreas Fuchs, Samuel Siewers, 23.08.2020