FEMNET | Coronavirus stärkt Argumente für neue EU-Textilgesetze

    FEMNET veröffentlicht mit 64 zivilgesellschaftlichen Gruppen gemeinsame Vision für den globalen Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Schuhsektor (TGLF).

    Da die Europäische Kommission in den kommenden Monaten mit der Entwicklung einer neuen  und umfassenden Strategie für Textilien beginnen will, hat heute eine Gruppe von 65 verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft ihre Vision für den globalen Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Schuhsektor (TGLF) dargelegt. Das Bündnis veröffentlichte dazu ein inoffizielles Strategie-Papier, die „Civil Society Shadow Strategy“ (zivilgesellschaftliche Schattenstrategie) (PDF-Datei) [englische Zusammenfassung, PDF-Datei], in dem es verschiedene legislative und nicht-legislative Maßnahmen vorschlägt, die die EU ergreifen kann, um zu faireren und nachhaltigeren TGLF-Wertschöpfungsketten beizutragen.

    Strategie zur globale Neugestaltung der Textilindustrie

    Der TGLF-Sektor ist seit langem durch Arbeitsrechts- und Menschenrechtsverletzungen sowie durch den immensen Druck gekennzeichnet, den er auf die Umwelt und das Klima ausübt. Das zivilgesellschaftliche Bündnis – eine breite Koalition von Verfechtern des fairen Handels, der Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie des Umwelt- und Verbraucherschutzes – fordert die Europäische Kommission, die Europaabgeordneten und die EU-Regierungen auf, eine ambitionierte Strategie zu verfolgen, die eine globale Neugestaltung der nach der Corona-Pandemie stark geschädigten Textilindustrie in Gang setzen wird.

    Die Europaparlamentarier Delara Burkhardt (SPD), Heidi Hautala (Vorsitzende der Arbeitsgruppe “Verantwortungsbewusstes Geschäftsgebaren” der Grünen/EFA) und Helmut Scholz (LINKE) forderten in einen gemeinsamen Brief alle Mitglieder des Europäischen Parlaments dazu auf, die “Civil Society Shadow Strategy’” zu teilen und zu unterstützen. In dem Brief betonen die Abgeordneten, dass “der Textilsektor aufgrund der Machtungleichgewichte zwischen seinen Akteuren und seiner schwerwiegenden strukturellen Probleme, einschließlich der von ihm verursachten Umweltschäden und Governance-Fragen, zu den am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren gehört. Er ist einer der am stärksten umweltverschmutzenden Industrien, die Quelle unzähliger Katastrophen wie der von Rana Plaza und ein Brennpunkt für Menschenrechtsverletzungen, von denen Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind”.

    Statt freiwillige Maßnahmen der Industrie: Schattenstrategie mit gebündelte Fachwissen

    Als Vertreter der Koalition sagte Sergi Corbalán, Geschäftsführer des Fair Trade Advocacy Office: “Freiwillige Maßnahmen der Industrie haben nicht zu einer fairen und nachhaltigen Textilindustrie geführt, daher ist es an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die Struktur der Branche neu gestalten”. Corbalán fügte hinzu: “Diese ‘Schattenstrategie’ bietet der Kommission das gebündelte Fachwissen von 65 Organisationen der Zivilgesellschaft, die über jahrelange Erfahrung im Umgang mit den verschiedenen Auswirkungen des Sektors verfügen. Es handelt sich nicht um ein Maßnahmenkatalog, aus dem die Kommission bestimmte Aspekte herauspicken und andere vernachlässigen kann, sondern um eine umfassende Strategie, bei der das Ergreifen von Maßnahmen in jedem Bereich die Anstrengungen in anderen Bereichen verstärkt”.

    Die zivilgesellschaftliche Vision für eine umfassende EU-Textilstrategie enthält unter anderem folgende Empfehlungen:

    • Sicherstellen, dass Unternehmen rechtlich verpflichtet sind, nicht nur für ihre eigenen Aktivitäten, sondern für ihre gesamte Lieferkette Verantwortung zu übernehmen. Ein EU-Recht zur Sorgfaltspflicht soll in allen Sektoren Anwendung finden, einschließlich spezifischer Anforderungen für den TGLF-Sektor. Die Unterzeichnung einer Multi-Stakeholder-Partnerschaft sollte Unternehmen nicht von der Verantwortung befreien.
    • Strengere Umweltvorschriften, die sich auf die Art und Weise beziehen, wie in der EU verkaufte Textilprodukte entworfen und hergestellt werden. Auch die rechtliche und finanzielle Verantwortung der Hersteller dafür, wann ihre Produkte zu Abfall werden, sowie sinnvolle Maßnahmen zur Förderung der Transparenz sollen Bestandteil der Maßgaben sein.
    • Sicherstellen, dass Marken und Einzelhändler gesetzlich verpflichtet sind, Verträge einzuhalten. In der Branche gängige unlautere Einkaufspraktiken, etwa kurzfristige Auftrags-Stornierungen ohne Bezahlung bereits gefertigter Produkte, müssen gesetzlich verankerte Strafen nach sich ziehen.
    • Politische Reformen und eine bessere Rechtsdurchsetzung in den Erzeugerländern müssen zu einem Teil der Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen in den TGLF-Wertschöpfungsketten werden.
    • Die EU muss ihre Marktmacht in der Handelspolitik nutzen, um nachhaltige Produktionspraktiken in der TGLF-Industrie zu fördern.

    Mehr Informationen und der gesamte Text der Strategie hier: http://bit.ly/TextilesEU

    Quelle: FEMNET e.V., feministische Perspektiven auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, 27.04.2020