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In Uganda arbeiten Bürgerinnen und Bürger erstmals an der Neuausrichtung der Energiepolitik mit. Die Juristin Claudia Apio ist unterwegs in den Dörfern, damit Wandel kein leeres Wort bleibt.

Eine Baraza im Norden Ugandas. Zu dieser Gemeindeversammlung haben sich vierzig Interessierte aus den umliegenden Dörfern in die Schulbänke der Grundschule von Amuca gequetscht. So wie alle paar Wochen in dem Ort gut 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kampala. An diesem Dienstag führt die Vorsitzende in das aktuelle Thema ein: Energie und Umwelt. Dann steht eine Frau von ihrem Plastikstuhl am Rand des Klassenzimmers auf und geht nach vorne.

Claudia Apio stellt sich kurz vor. Sie ist Leiterin des „Lira NGO Forum“, einem Dachverband von Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental organizations, NGOs) im Distrikt Lira. Die Augen sind auf die energetische Frau gerichtet, die alle in ihren Bann zieht. „Es ist wichtig, dass wir über eure Anliegen informiert sind“, ruft die 37-Jährige in die Runde. „Nur so können wir die Politik beeinflussen, damit die Energieprojekte euch, den Gemeinden, zugutekommen.“ Sie fordert die Leute auf, für ihre Interessen einzustehen. „Erinnert ihr euch an die Petition, die ihr an die Distriktbehörden gesandt hattet? Ihr brauchtet eine neue Straße und sie wurde gebaut. In der Energiepolitik solltet ihr das Gleiche tun!“ Die Anwesenden nicken zustimmend.

An der Baraza haben auch Anna Peter (48) und ihr Mann Benson Apita (56) teilgenommen. Sie wohnen keine drei Minuten zu Fuß von der Schule entfernt. Auf ihrem Hof, der sich über eine Fläche von etwa einem halben Fußballfeld erstreckt, bauen sie unter anderem Mais, Erdnüsse und die Wurzelknolle Cassava an. Vor kurzem hat Anna die Orangenernte verkauft und bald sollen erstmals auch Kaffeebohnen marktreif sein. Daneben halten sie Schweine, Kühe, Ziegen und Hühner. Von ihren sechs Kindern sind noch zwei im Schulalter.

„Wir gehen, wenn immer möglich, zu den Barazas“, sagt der Kleinbauer. „Wir bekommen wichtige Informationen, können unsere Bedürfnisse äußern und auch unser eigenes Wissen weitergeben.“ Bei Umwelt und Energie etwa gibt es noch Aufklärungsbedarf. Wie die meisten im Dorf kochten sie immer noch mit Holzkohle, sagt Anna Peter: „Wir sollten besser eine Biogasanlage anschaffen, das wäre langfristig billiger und schützt die Wälder.“ Die beiden haben eine kleine Solaranlage, mit der sie einen Raum beleuchten, das Mobiltelefon laden und Radio hören können. Für Geräte, die mehr Energie benötigen, müssten sie ihr Haus an das Stromnetz anschließen. „Die Leitung geht direkt bei unserem Haus vorbei“, sagt Benson Apita. „Aber die Strompreise sind für uns immer noch zu hoch.“

Seine Frau hofft, dass die Strompreise bald sinken – nicht zuletzt durch den Einsatz von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Interessen der Menschen vertreten. Nun, da sie älter würden, wünscht sich Anna Peter ein elektrisches Bügeleisen und einen Fernseher. Vor allem könnten sie mit einem Stromanschluss einfacher und günstiger die Maisernte zu Mehl verarbeiten. Bisher müssen sie fürs Schälen und Mahlen einen Stromgenerator mieten.

Claudia Apio war es, die 2015 begann, in ihrer Region bei den traditionellen Gemeindeversammlungen – bei denen schon immer lokale Anliegen und die Umsetzung von Politik verhandelt wurden – die Rechenschaftspflicht des Staats ins Zentrum zu stellen. „Wir alle sind dafür verantwortlich, was wir tun“, sagt Apio in ihrem Büro in der Distriktstadt Lira, „die Bürgerinnen und Bürger, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und vor allem die Vertreter des Staates. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Steuern richtig verwendet werden.“ Bei den Versammlungen sind inzwischen zunehmend lokale nichtstaatliche Organisationen dabei und unterstützen die Bürgerinnen und Bürger. Apio nimmt vor allem dann teil, wenn ein konfliktreiches Thema ansteht. Etwa, wenn es um eine Auseinandersetzung zwischen der Armee und der Dorfbevölkerung geht.

Mehr Zivilgesellschaft unter einem autoritären Regime

Demokratische Errungenschaften wie Mitsprache oder Rechenschaftspflicht sind in einem Staat wie Uganda nicht selbstverständlich. Das ostafrikanische Binnenland mit fast 45 Millionen Menschen wird seit 1986 von Präsident Yoweri Museveni regiert – in zunehmend autoritärer Weise. Uganda gilt als eines der korruptesten Länder der Welt; Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung, besonders gegenüber sexuellen Minderheiten.

Claudia Apio erlebte aber in den vergangenen Jahren auch beachtliche Fortschritte: „Als ich 2003 begann, mich zivilgesellschaftlich zu engagieren, wurden viele Führungsfiguren noch regelmäßig verhaftet“, erinnert sie sich. „Sie galten als Oppositionelle, die angeblich die Regierung stürzen wollten.“ Heute habe die Zivilgesellschaft eine deutlich stärkere Position gegenüber dem Staat. „Wir erhalten mittlerweile sogar Geld von der Regierung, um etwa Bauprojekte zu kontrollieren“, sagt Apio. Doch noch immer werden Leute aus der Zivilgesellschaft verhaftet, wenn sie sich politisch exponieren. „Immerhin informieren mich in solchen Fällen die Sicherheitskräfte; dann kann ich die Polizeistation anrufen und verhandeln.“

Als Kind den Terror der LRA-Extremisten überlebt

Wenn Claudia Apio irgendwo ein Problem sieht, will sie es lösen. Und sie zweifelt keine Sekunde daran, dass es für alles eine Lösung geben muss. Vielleicht hat ihr diese Einstellung schon als Kind geholfen, überhaupt zu überleben. Apio wuchs im Norden Ugandas mitten im Krieg auf, den die „Lord’s Resistance Army“ (LRA) 1987 gegen den damals neuen Präsidenten Museveni zu führen begann. Die vom christlichen Extremisten Joseph Kony angeführte Guerilla-Armee entführte Tausende von Kindern, um sie als Soldaten oder Sexsklavinnen zu missbrauchen.

Ihre Kindheit verbrachte Apio in einem „geschützten Dorf“, wie es offiziell genannt wurde, das auch Vertriebene aufnahm und von rund 250 Soldaten bewacht wurde. Trotzdem gelangten immer wieder LRA-Truppen ins Dorf. „Vier Mal wäre ich beinahe entführt worden“, erzählt Apio. „Ich habe die Männer jedes Mal ausgetrickst, versteckte mich im Haus oder rannte davon.“

Später, als die LRA nach und nach aus Uganda vertrieben wurde, wollte die junge Frau dazu beitragen, dass Kony und seine Kommandeure für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden: „Also habe ich Jura studiert.“ Als Studentin gründete Apio ihre erste zivilgesellschaftliche Organisation. Nach dem Uni-Abschluss arbeitete sie für den deutschen Arbeiter-Samariter-Bund und hatte ein großes Ziel: Hunderttausenden Vertriebenen in über 150 Lagern zu ermöglichen, in ihre Dörfer zurückzukehren. „Dazu mussten wir nicht nur die Infrastruktur neu aufbauen; die Leute mussten auch wieder lernen, sich selbst zu versorgen“, erinnert sich Apio. „Es ging nun nicht mehr um humanitäre Hilfe, sondern um Entwicklung, und dazu musste ich den Leuten Zugang zum politischen Prozess verschaffen.“

Sprachrohr der Bevölkerung

Diesen Weg verfolgt Apio bis heute. Sie stieg 2014 beim „Lira NGO Forum“ ein. Seither unterstützt sie die siebzig Mitgliedsorganisationen dabei, ihre Rolle als Sprachrohr der Bevölkerung besser wahrzunehmen. Sie organisiert etwa Ausbildungen im Finanzmanagement oder im Bereich Interessenvertretung und Lobbyarbeit. Und sie fördert die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, etwa bei den Barazas.

Hierbei wird das „Lira NGO Forum“ von der GIZ im Auftrag des BMZ und der Europäischen Union gefördert. „Dabei steht für mich nicht das Geld im Vordergrund“, sagt Apio. „Wichtiger sind die neuen Möglichkeiten, die durch den Austausch von Ideen und den Zugang zu Informationen und Netzwerken entstehen.“ So ist Claudia Apio inzwischen zusammen mit anderen NGO-Kolleginnen und -Kollegen auch direkt an der Neuausrichtung der nationalen Energiepolitik beteiligt.

Für Claudia Apio ist das ein vielversprechender Anfang – wenn auch noch kein demokratischer Wandel. Aber wo ein Problem ist, muss auch eine Lösung sein. Nach der Energiedebatte in der Gemeindeversammlung in der Grundschule von Amuca ruft sie den Leuten zu: „Es ist eure Pflicht, Politiker zu wählen, die euch dienen. Registriert euch für die kommende Wahl und fordert eure Nachbarn auf, es euch gleichzutun!“

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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), akzente 1/20