Dr. Elsa Cardona Santos forscht zu Umweltschutz mithilfe ökonomischer Instrumente

Sehr geehrte Frau Cardona Santos, Sie arbeiten als Doktorandin am Lehrstuhl Ressourcen- und Umweltökonomik an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Diese Spezialisierung erfordert Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen. Könnten Sie uns kurz Ihren beruflichen Werdegang beschreiben.

Cardona Santos: Ich kam nach Deutschland um Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg zu studieren, weil ich dieses System, in dem wir alle eingebettet sind, verstehen wollte. Im letzten Jahr meines Studiums besuchte ich eine Vorlesung zum Thema Umweltökonomie. Mir war bis dahin nicht klar, dass man durch ökonomische Instrumente etwas Gutes für die Umwelt tun könnte. Dieses Gebiet faszinierte mich und deshalb entschied ich mich für ein Master Programm an der Universität Bonn, wo ich mich auf dieses Fachgebiet spezialisieren konnte. Ich lernte, unter anderen, die verschiedenen ökonomischen Ansätze zum Management natürlicher erneuerbarer und nicht erneuerbaren Ressourcen und die ökonomische Instrumente zur Internalisierung externer Effekte (Umweltverschmutzung z.B.). Während der Promotion beschäftigte ich mich mit den so genannten „Payments for Environmental Services“: ein marktbasiertes Instrument, was z.B. für die Erhaltung von Biodiversität eingesetzt werden kann. Wie Sie vielleicht gemerkt haben, geht es in meinem Fachbereich hauptsächlich um Ansätze aus der Ökonomie, und er ist somit  weniger interdisziplinär als er klingen mag.

In Hinblick auf die Fridays for Future Bewegung und deren Forderungen – welches aktuelle agrar- bzw. umweltpolitische Thema würden Sie gerne weiter in den Fokus aktueller wissenschaftlicher Debatten rücken?

Cardona Santos: Im Rahmen der Fridays for Future Bewegung wurden mehrere Forderungen an die Politik bezüglich des Klimawandels und der Ziele des Pariser Klimaabkommens gestellt. In Deutschland fordert beispielsweise diese Bewegung, dass bis 2035 nur die Menge Treibhausgase ausgestoßen wird, die durch natürliche Prozesse wiederaufgenommen werden kann, und dass die Energieversorgung ausschließlich aus erneuerbaren Ressourcen stammt. In der Klimaschutzdebatte gibt es darüber Meinungsverschiedenheiten wie die Ziele des Pariser Klimaabkommenserreicht werden können. Meiner Meinung nach, sollte der Fokus der aktuellen wissenschaftlichen Debatte darauf liegen, einen Weg zu finden wodurch ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sichergestellt werden könnten. Die Linderung des Klimawandels impliziert gegenwärtige Kosten, um potentiell höhere Kosten in der Zukunft zu vermeiden. In diesem Sinne müsste man sich fragen wer diese Kosten zu tragen hätte. Man geht davon aus, dass verschiedene Regionen unterschiedlich stark vom Klimawandel betroffen sein könnten. Des Weiteren wird auch diskutiert, dass der Klimawandel eine besondere Gefahr für ärmere Länder darstellen könnte, da die Menschen dort stärker von ihrer natürlichen Umwelt abhängig sind und es dort weniger Ressourcen für die Bewältigung klimatischer Veränderungen gibt. Jede politische Maßnahme erzeugt Gewinner und Verlierer. Ein großes Problem, das ich an der Klimadebatte erkenne, ist die Verteilung der Nutzen und Kosten der entsprechenden Maßnahmen.

Sie forschen unter anderem zu marktbasierten Agrar-umweltmaßnahmen, die die Auswirkungen menschlichen Handelns im Ökosystem ausgleichen sollen. Können Sie uns ein konkretes Beispiel dieser Maßnahmen erläutern?

Cardona Santos: Klar! Ich hatte bereits erwähnt, dass ich zu den Payments for Environmental Services (PES) forsche.  Das Konzept der „Environmental Services“ (oder Ökosystemdienstleistungen) wurde vom Millenium Ecosystem Assessment (2003) auf die politische Agenda gebracht. Es soll uns erlauben anzuerkennen, dass das Wohlbefinden unserer Gesellschaft stark von ökologischen Systemen abhängt, und dass wir deshalb zu der Erhaltung und Wiederherstellung dieser Ökosysteme beitragen sollten. In diesem Sinne wurden verschiedene Funktionen der Ökosysteme als Dienstleistungen charakterisiert und monetär bewertet. Somit wird versucht diese in den Markt zu integrieren. Viele dieser Dienstleistungen werden nämlich nicht durch den Markt bereitgestellt. Man kann (zumindest noch) keine saubere Luft kaufen. Solche Dienstleistungen werden als „öffentliche Güter“ bezeichnet. Das bedeutet, dass keiner von deren Konsum ausgeschlossen werden kann, und dass es keine Rivalität in deren Konsum existiert. Das Problem mit solchen Gütern ist, dass nur wenige den Anreiz haben zu deren Bereitstellung beizutragen: die Kosten der Bereitstellung werden privat getragen, obwohl der Nutzen der gesamten Gesellschaft zugute kommt. In genau solchen Situationen werden die Payments for Environmental Serviceseingesetzt. Man erkennt, dass private Landnutzer potentielle Anbieter solcher Dienstleistungen sind, und dass sie dafür durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden sollten. Obwohl es private PES Programme gibt, werden die meisten jedoch von Regierungen implementiert. Ein konkretes Beispiel wäre das Programm zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern (REDD+), wodurch der Klimawandel gelindert werden soll. Weil man den Wald als Kohlenstoffspeicher begreift, werden Landnutzer in verschiedenen Ländern in Afrika, Lateinamerika und in dem asiatisch-pazifischen Raum dafür belohnt Abholzung zu vermeiden und die Bewirtschaftung des Waldes zu verbessern. In diesem Rahmen werden z.B. Landnutzer in meinem Heimatland Mexiko seit 2004 dafür bezahlt Agrarforstsysteme, wie die cafetales de sombra, zu errichten und zu erhalten.Es handelt sich um Kaffeeplantagen, die im Schatten verschiedener Pflanzen und Obstbäumen angelegt werden. Dies soll nicht nur private Vorteile für die Landnutzer erbringen, sondern auch verschiedene Ökosystemdienstleistungen, wie die Erhaltung von Biodiversität und die Speicherung von Kohlenstoff fördern. Solche Systeme sollen außerdem resilienter gegenüber klimatischen Schwankungen sein. Für jeden Hektar dieses Agrarforstsystems sollen jährlich bis zu 3 Tonnen Kohlenstoff gespeichert werden (SEMARNAT 2013). Hierfür erhalten Landnutzer 382 Mexikanische Pesos pro Jahr (ca. 18 Euro). In 2016 waren schon 109,851 Hektar für dieses Programm registriert (CONAFOR 2018).

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

Cardona Santos: Das ist eine gute Frage. Ich frage mich, ob diese ökonomischen Instrumente, in der Art und Weise wie sie implementiert werden, der richtige Weg sind, um die Klimaziele zu erreichen. Es gibt verschiedene Kriterien, die bei der Wahl eines Instruments berücksichtigt werden können. Beispielsweise kann man sich fragen, welches der Instrumente – auch bei unvollständiger Information – am kosteneffizientesten die erwarteten Ökosystemdienstleistungen bereitstellen könnte und ob die Instrumente langfristig die richtigen Anreize geben.  Ein weiteres Kriterium wäre, ob die Instrumente an die über die Zeit wechselnde Bedingungen angepasst werden könnten. Zudem ist die Frage, ob die dadurch verursachte Wohlfahrtsverteilung gerecht ist, ein weiterer wichtiger Aspekt. Man kann sogar darüber diskutieren, ob dieser Umgang mit dem Konzept der Ökosystemdienstleistungen zielführend ist.  Es gibt viele Forscher, die zu Bedenken geben, dass die dadurch verursachte Kommodifizierung natürlicher Ressourcen die Art und Weise verändern kann, wie Menschen die Natur betrachten und wahrnehmen, so dass es sogar für Naturschutzzwecke kontraproduktiv sein könnte. Auch wird diskutiert, dass solche marktbasierten Instrumente zu einer Modifizierung der Eigentumsrechte führen können, was natürlich auch soziale Implikationen hätte. Wie Sie sehen, stehen wir vor keiner leichten Entscheidung. Im Sinne der Umweltökonomie versucht man das Instrument zu wählen, das die soziale Wohlfahrt maximieren würde. Jedoch treten schon bei der Definition der Wohlfahrtsfunktion Schwierigkeiten auf: Was versteht man unter Wohlfahrt? Anhand welcher Indikatoren kann man Wohlfahrt bemessen? Welche Aspekte haben einen Einfluss auf die Wohlfahrt? Hierzu liefert die Glücksforschung bereits sehr interessante Ergebnisse. Nichtdestotrotz bleibt die Wahl eines Instrumentes letztlich eine ethische Frage. Im Endeffekt geht es um die Gewichtung dieser ganzen Kriterien, und leider gibt es kein mathematisches Modell, das uns die optimale Antwort dafür liefern kann. Die Klärung dieses Dilemmas ist die Motivation, mit der ich jeden Morgen aufstehe. Instrumente wie die PES Programme sind natürlich kein Allheilmittel. Auf der einen Seite geben sie uns eine Möglichkeit dem Prozeß der Entwaldung und der Schädigung von Wäldern entgegenzuwirken, auf der anderen Seite gibt es offensichtlich noch viel Verbesserungspotential. Viele soziale, ökonomische und ökologische Fragen sind noch offen. Was ich abends darüber denke? Das wir noch sehr viel zu tun haben. Wir brauchen natürlich mehr Forschung, stärkere interdisziplinäre Arbeit, und vor allem mehr Zusammenarbeit. Als Forscher sollten wir in der Lage sein unsere Konzepte zu überdenken.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

Cardona Santos: Mir fällt auf, dass ich noch nie gefragt wurde warum ich mich für Umweltschutz interessiere. Den meisten Menschen scheint die Antwort logisch zu sein. Jedoch stelle ich mir selbst diese Frage immer wieder: warum ist es wichtig die Umwelt zu schützen? Im Gegensatz zu den Naturalisten, würden die Humanisten die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stellen. Die Umweltökonomie basiert auf dem Utilitarismus: Naturschutz soll betrieben werden, solange dieser zur Steigerung der sozialen Wohlfahrt führt.

In dem Versuch den Wert der Natur zu kalkulieren, hat man alle Wege aufgelistet wodurch unsere Gesellschaft vom Naturschutz profitieren kann (TEEB 2010): man erzielt einen Nutzen durch den Konsum natürlicher Ressourcen; die Natur kann kulturelle/spirituelle Nutzen erbringen und Nutzen durch Freizeitaktivitäten; wir profitieren von den ökologischen Regulierungsmechanismen;  wir profitieren sogar vom Wissen, dass wir in der Zukunft potentiellen Nutzen erzielen könnten, wenn wir die Natur schützen; und vom Wissen, dass zukünftige Generationen auch von der Natur profitieren werden; ja, wir können sogar einen Nutzen ableiten vom Wissen selbst, dass die Natur geschützt wird.

Wenn wir also in diesem Sinne Naturschutz betreiben, müssten wir uns über die sozialen Konsequenzen des Naturschutzes bewusst werden. Das ist eine meiner Sorgen bei der Klimadebatte. Deshalb finde ich die Frage nach dem Grund für Naturschutz sehr wichtig. Was ist das ultimative Ziel der Klimapolitik? Wenn es die Steigerung der sozialen Wohlfahrt ist,  dann sollten wir auch sicherstellen, dass bestimmte soziale Schutzmaßnahmen formuliert und implementiert werden, so dass die Kosten der Linderung des Klimawandels gerecht verteilt werden.

Das Interview führte Linn Schaan