entia: "Diese Dinge lächeln." Nachhaltige Produkte aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung

entia ist ein Online-Versandhaus für hochwertige Handwerksprodukte aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung und hat seinen Sitz in Much im Rhein-Sieg-Kreis. entia wurde vor wenigen Tagen mit dem Qualitätssiegel “Werkstatt N” 2013 ausgezeichnet, das jährlich an ausgewählte Projekte, Initiativen und Unternehmen vom Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) vergeben wird. Wir haben mit Michael Ziegert, Gründer von entia gesprochen.

Sehr geehrter Herr Ziegert, Ihr Online-Handel hat sich auf Produkte aus Behindertenwerkstätten spezialisiert. Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Firma.

entia ist ein junges Versandhaus, das sich auf Produkte aus sozialen Einrichtungen spezialisiert hat. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) ein enormes Potential haben – es selber aber kaum nutzen. Die Produkte werden in einer hohen handwerklichen Qualität hergestellt, die man so kaum noch in Deutschland findet. Denn die vielen kleinen Hersteller, die es früher einmal gab, sind häufig der Globalisierung zum Opfer gefallen – oder haben zumindest ihr Angebot drastisch verändert. Welches Unternehmen stellt beispielsweise noch Holzspielzeug her? Aus Behindertenwerkstätten kommen hingegen viele, meist auch aus heimischen Hölzern.

Michael Ziegert, entia

Was hat Sie auf die Idee gebracht?

Ich war vor einigen Jahren mit einem Freund auf einer Messe auf der viele Behindertenwerkstätten ihre Produkte präsentierten. Ich ging sehr unvorbelastet dort hin – sprich: voller Klischee-Vorstellungen. Bis dahin hatte ich eher naiv gedacht, in den Werkstätten würden Dinge

gebastelt, die man nur aus Goodwill erwerben möchten. Dann aber fand ich eine große Anzahl hochwertiger, sehr professionell gearbeiteter Dinge vor, die aber häufig nur im eigenen Werkstattladen oder in der Region vermarktet wurden. Das weckte meinen unternehmerischen Ehrgeiz. Sollte es nicht möglich sein, so tolle Produkte zu vermarkten, ohne an das Mitleid zu appellieren – was an dieser Stelle auch völlig deplatziert wäre. Schließlich stellen die Menschen mit Behinderung tolle Dinge her, mit verblüffender Qualität in Verarbeitung, Material und Gestaltung.

Bis dahin arbeitete ich in einem ganz anderen Bereich. Mit pixum.com hatte ich zuvor einen Online-Fotoservice gegründet, der heute zu den führenden in Europa zählt. 2010 überließ ich die Führung einem Mitgründer und stürzte mich mit Begeisterung auf die neue Aufgabe. Seit der Gründungsphase wächst entia enorm. Heute präsentieren 55 Werkstätten fast 1000 Produkte im Internet-Shop unter www.entia.de.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei Ihrem Versand?

Für jede Unternehmung gilt: Man kann nicht erst starten, wenn man alles weiß – denn dann startet man nie. Zu den Dingen, die mir vorab nicht klar waren, gehört, dass sämtliche Produkte im Sortiment von entia nachhaltig sind – sozial nachhaltig und meist auch ökologisch und ökonomisch.

Die ökologische Nachhaltigkeit ist sehr einfach zu erklären – beginnend mit dem Ur-Beispiel des Waldes, in dem man nur so viele Bäume fällen sollte wie nachwachsen. Mit dem Begriff der sozialen Nachhaltigkeit beschäftigen sich allerdings vergleichsweise wenige Menschen, denn so leicht ist die soziale Nachhaltigkeit nicht erklärt. Ein wesentlicher Punkt ist die Chancengleichheit, also dass man allen Menschen die Möglichkeit gibt, sich am Wirtschaftskreislauf sinnvoll zu betätigen. Und dass man die Arbeitsplätze dort schafft, wie die Menschen sind, die die Produkte benötigen, und nicht die Produktion nach Belieben über den Erdball dorthin verlagert, wo die Arbeitskraft besonders billig ist.

Und alle Menschen an diesem sinnhaften Kreislauf zu beteiligen bedeutet eben auch, Menschen mit Behinderung einen optimalen Arbeitsplatz zu bieten. Für Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ist eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung optimal, da sie das nötige psychosoziale Umfeld bieten, das diese Menschen benötigen.

Würden Sie sich als Social Entrepreneur oder Ihr Unternehmen als Sozialunternehmen bezeichnen?

Ja, durchaus. Denn ein wesentliches Unternehmensziel von entia ist es, Menschen zu unterstützen. Und die Finanzierung von Behindertenwerkstätten ist keineswegs so sicher, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Zahl der Menschen, die dort arbeiten, ist seit der Jahrtausendwende von rund 200.000 auf fast 300.000 Menschen angestiegen. Dabei steigen die Zahlen die Menschen mit geistiger Behinderung nur vergleichsweise geringfügig, hingegen werden es immer mehr Menschen, die in unserer (Arbeits-)Gesellschaft nicht mehr zurecht kommen, etwa weil sie dem wachsenden Leistungsdruck nicht mehr gerecht werden, oder weil sie als Kinder und Jugendliche nicht angemessen sozialisiert wurden und den Anforderungen des Allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gerecht werden.

Die „Öffentliche Hand“ muss nun also immer mehr Geld für solche Einrichtungen ausgeben und erhöht entsprechend den Druck zur Profitabilität. Auf Dauer müssen die Werkstätten also viel mehr Geld als in der Vergangenheit selbst erwirtschaften. Ein Baustein dazu soll entia sein.

Was möchten Sie den Lesern vom Bonn Sustainability Portal mit auf den Weg geben?

Auch wenn das Wort immer mehr von Politikerinnen und Politikern zur Worthülse gemacht wird, bedenken Sie immer: Nachhaltigkeit ist keine Attitüde, Nachhaltigkeit ist eine gesellschaftliche Kern-Aufgabe.

Welche Frage möchten Sie gerne mal beantworten, die Sie noch nie gestellt bekommen haben?

Die Frage ist: „Welche Fortbildung würden Sie Unternehmer-Kolleginnen und -Kollegen empfehlen?“ Und die Antwort lautet: Setzen Sie sich einfach mal einen Tag lang in eine Behindertenwerkstatt und schauen zu oder arbeiten mit. Sie werden kaum einen Ort finden, an dem man so viel darüber lernen kann, wie man Mitarbeiter motiviert. Denn diese Menschen kann man ausschließlich positiv motivieren. Dazu muss man sich viele Gedanken darüber machen, wie Arbeit als sinnhaft und befriedigend wahrgenommen wird, denn nur diese Arbeit wird gerne gemacht und nur dies führt zu guter Produktivität.

Kontakt: www.entia.de

Dieser Artikel ist Teil einer Serie von Porträts nachhaltiger Initiativen in Unternehmen in der Region Bonn/Rhein-Sieg, siehe auch das Dossier hierzu.

entia ist ein Online-Versandhaus für hochwertige Handwerksprodukte aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung und hat seinen Sitz in Much im Rhein-Sieg-Kreis. entia wurde vor wenigen Tagen mit dem Qualitätssiegel “Werkstatt N” 2013 ausgezeichnet, das jährlich an ausgewählte Projekte, Initiativen und Unternehmen vom Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) vergeben wird. Wir haben mit Michael Ziegert, Gründer von entia gesprochen.

 

Sehr geehrter Herr Ziegert, Ihr Online-Handel hat sich auf Produkte aus Behindertenwerkstätten spezialisiert. Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Firma.

entia ist ein junges Versandhaus, das sich auf Produkte aus sozialen Einrichtungen spezialisiert hat. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) ein enormes Potential haben – es selber aber kaum nutzen. Die Produkte werden in einer hohen handwerklichen Qualität hergestellt, die man so kaum noch in Deutschland findet. Denn die vielen kleinen Hersteller, die es früher einmal gab, sind häufig der Globalisierung zum Opfer gefallen – oder haben zumindest ihr Angebot drastisch verändert. Welches Unternehmen stellt beispielsweise noch Holzspielzeug her? Aus Behindertenwerkstätten kommen hingegen viele, meist auch aus heimischen Hölzern.

Michael Ziegert, entia

Was hat Sie auf die Idee gebracht?

Ich war vor einigen Jahren mit einem Freund auf einer Messe auf der viele Behindertenwerkstätten ihre Produkte präsentierten. Ich ging sehr unvorbelastet dort hin – sprich: voller Klischee-Vorstellungen. Bis dahin hatte ich eher naiv gedacht, in den Werkstätten würden Dinge

gebastelt, die man nur aus Goodwill erwerben möchten. Dann aber fand ich eine große Anzahl hochwertiger, sehr professionell gearbeiteter Dinge vor, die aber häufig nur im eigenen Werkstattladen oder in der Region vermarktet wurden. Das weckte meinen unternehmerischen Ehrgeiz. Sollte es nicht möglich sein, so tolle Produkte zu vermarkten, ohne an das Mitleid zu appellieren – was an dieser Stelle auch völlig deplatziert wäre. Schließlich stellen die Menschen mit Behinderung tolle Dinge her, mit verblüffender Qualität in Verarbeitung, Material und Gestaltung.

Bis dahin arbeitete ich in einem ganz anderen Bereich. Mit pixum.com hatte ich zuvor einen Online-Fotoservice gegründet, der heute zu den führenden in Europa zählt. 2010 überließ ich die Führung einem Mitgründer und stürzte mich mit Begeisterung auf die neue Aufgabe. Seit der Gründungsphase wächst entia enorm. Heute präsentieren 55 Werkstätten fast 1000 Produkte im Internet-Shop unter www.entia.de.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei Ihrem Versand?

Für jede Unternehmung gilt: Man kann nicht erst starten, wenn man alles weiß – denn dann startet man nie. Zu den Dingen, die mir vorab nicht klar waren, gehört, dass sämtliche Produkte im Sortiment von entia nachhaltig sind – sozial nachhaltig und meist auch ökologisch und ökonomisch.

Die ökologische Nachhaltigkeit ist sehr einfach zu erklären – beginnend mit dem Ur-Beispiel des Waldes, in dem man nur so viele Bäume fällen sollte wie nachwachsen. Mit dem Begriff der sozialen Nachhaltigkeit beschäftigen sich allerdings vergleichsweise wenige Menschen, denn so leicht ist die soziale Nachhaltigkeit nicht erklärt. Ein wesentlicher Punkt ist die Chancengleichheit, also dass man allen Menschen die Möglichkeit gibt, sich am Wirtschaftskreislauf sinnvoll zu betätigen. Und dass man die Arbeitsplätze dort schafft, wie die Menschen sind, die die Produkte benötigen, und nicht die Produktion nach Belieben über den Erdball dorthin verlagert, wo die Arbeitskraft besonders billig ist.

Und alle Menschen an diesem sinnhaften Kreislauf zu beteiligen bedeutet eben auch, Menschen mit Behinderung einen optimalen Arbeitsplatz zu bieten. Für Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ist eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung optimal, da sie das nötige psychosoziale Umfeld bieten, das diese Menschen benötigen.

Würden Sie sich als Social Entrepreneur oder Ihr Unternehmen als Sozialunternehmen bezeichnen?

Ja, durchaus. Denn ein wesentliches Unternehmensziel von entia ist es, Menschen zu unterstützen. Und die Finanzierung von Behindertenwerkstätten ist keineswegs so sicher, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Zahl der Menschen, die dort arbeiten, ist seit der Jahrtausendwende von rund 200.000 auf fast 300.000 Menschen angestiegen. Dabei steigen die Zahlen die Menschen mit geistiger Behinderung nur vergleichsweise geringfügig, hingegen werden es immer mehr Menschen, die in unserer (Arbeits-)Gesellschaft nicht mehr zurecht kommen, etwa weil sie dem wachsenden Leistungsdruck nicht mehr gerecht werden, oder weil sie als Kinder und Jugendliche nicht angemessen sozialisiert wurden und den Anforderungen des Allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gerecht werden.

Die „Öffentliche Hand“ muss nun also immer mehr Geld für solche Einrichtungen ausgeben und erhöht entsprechend den Druck zur Profitabilität. Auf Dauer müssen die Werkstätten also viel mehr Geld als in der Vergangenheit selbst erwirtschaften. Ein Baustein dazu soll entia sein.

Was möchten Sie den Lesern vom Bonn Sustainability Portal mit auf den Weg geben?

Auch wenn das Wort immer mehr von Politikerinnen und Politikern zur Worthülse gemacht wird, bedenken Sie immer: Nachhaltigkeit ist keine Attitüde, Nachhaltigkeit ist eine gesellschaftliche Kern-Aufgabe.

Welche Frage möchten Sie gerne mal beantworten, die Sie noch nie gestellt bekommen haben?

Die Frage ist: „Welche Fortbildung würden Sie Unternehmer-Kolleginnen und -Kollegen empfehlen?“ Und die Antwort lautet: Setzen Sie sich einfach mal einen Tag lang in eine Behindertenwerkstatt und schauen zu oder arbeiten mit. Sie werden kaum einen Ort finden, an dem man so viel darüber lernen kann, wie man Mitarbeiter motiviert. Denn diese Menschen kann man ausschließlich positiv motivieren. Dazu muss man sich viele Gedanken darüber machen, wie Arbeit als sinnhaft und befriedigend wahrgenommen wird, denn nur diese Arbeit wird gerne gemacht und nur dies führt zu guter Produktivität.

Kontakt: www.entia.de

Dieser Artikel ist Teil einer Serie von Porträts nachhaltiger Initiativen in Unternehmen in der Region Bonn/Rhein-Sieg, siehe auch das Dossier hierzu.