[:de]Frau Prof. Dr. Katja Bender forscht am Internationalen Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zu den Schwerpunkten wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Zuvor war die studierte Volkswirtin am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik der Ruhr-Universität Bochum und für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (damals GTZ) tätig.

 

Bonn Sustainability Portal: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Bender, was ist ihr aktuelles Forschungsfeld?

Prof. Dr. Bender: Polit-ökonomische Analyse von Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungsländern.

Welche Relevanz hat das Themengebiet „Soziale Sicherung“ in der Entwicklungsforschung?

Mit der zunehmenden politischen Relevanz scheint auch die wissenschaftliche Relevanz zuzunehmen. In der internationalen wissenschaftlichen Debatte ist das Thema kein exotisches Randthema mehr. In Deutschland sieht das allerdings noch tendenziell etwas anders aus.

Welchen Bezug hat das Thema zur Armutsreduzierung?

Soziale Sicherung hat eine Doppelfunktion in Bezug auf Armutsreduzierung. Zum einen schützt soziale Sicherung Individuen vor den negativen finanziellen Folgen spezifischer Lebensrisiken (z.B. Krankheit, Alter, Unfall). Damit beugt soziale Sicherung der Entstehung neuer Armut sowie einer Verstärkung bestehender Armut vor. Zum anderen ermöglicht soziale Sicherung investive Tätigkeiten und stärkt die Selbsthilfefähigkeit armer Haushalte und trägt auch auf diese Weise zur Armutsreduzierung bei. Ein Beispiel ist die soziale Absicherung im Krankheitsfall. Krankheit sowie die mit Krankheit verbundenen hohen Kosten stellen eine der Hauptursachen für Armut dar. Maßnahmen zur sozialen Absicherung im Krankheitsfall tragen zur Armutsminderung bei, indem sie die Menschen im Krankheitsfall vor ruinösen Gesundheitsausgaben und Einkommensverlust schützen und zugleich armen Bevölkerungsgruppen einen gesicherten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen. Maßnahmen zur sozialen Absicherung im Krankheitsfall sind damit gleichzeitig eine Investition zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung eines Landes.

Welche positiven Tendenzen und Beispiele gibt es in diesem Bereich?

Egal ob in Asien, Afrika oder Mittel- und Lateinamerika – viele Länder reformieren derzeit ihre sozialen Sicherungssysteme. Diese Reformen erfolgen nicht nur in Schwellenländern wie z.B. Brasilien, China und Mexiko, sondern auch in Ländern mit einem mittleren bzw. niedrigen Einkommen wie z.B. Indonesien, Vietnam, Ghana und Sambia. Dabei geht es insbesondere um die Inklusion einkommensschwacher Bevölkerungsschichten sowie effizientere Formen der Leistungserbringung. Auch im Kontext der internationalen Zusammenarbeit hat die Relevanz des Themas in den letzten 10 Jahren stark zugenommen, was an der steigenden Anzahl der involvierten Geber, Strategiepapiere oder Gipfelerklärungen festgemacht werden kann.

Welche bisherige Arbeits- und Forschungserfahrung hat Sie besonders geprägt?

Da gibt es mehrere Erfahrungen. Eine frühe – und vermutlich daher auch sehr prägende – berufsbegleitende Erfahrung habe ich während eines Praktikums in Delhi kurz nach meinem Abitur gemacht. Ich wohnte zu Beginn übergangsweise im Gästehaus der Botschaft eines europäischen Landes. Dort arbeitete ein Zimmermädchen, Bushpa, welches nur 2 Jahre älter als ich war. Trotz Sprachschwierigkeiten haben wir uns angefreundet. Als sie mich zum ersten Mal zu sich nach Hause einlud, musste ich feststellen, dass sie in einem Slum lebte. Unerfahren wie ich damals war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass man bei einem internationalen Arbeitgeber aus einem „reichen“ Land beschäftigt war und trotzdem unter so schlechten Bedingungen leben muss. Wichtig war aber für mich nicht nur die Erfahrung, dass ich Glück gehabt habe, in Verhältnisse hineingeboren zu werden, die mir viele materielle, politische und kulturelle Freiheiten ermöglichen. Vielmehr war es für mich besonders prägend, dass wir trotz unserer extrem unterschiedlichen Lebensbedingungen im Grunde viele Gemeinsamkeiten hatten.

Was hätten/würden Sie tun, wenn Sie sich nicht im Bereich Entwicklungsökonomie und Soziale Sicherung arbeiten würden?

Entweder wäre ich Meeresarchäologin oder Fresken-Restauratorin – sofern mir überhaupt der schwierige Einstieg in diese Berufszweige gelungen wäre. Da hat man es als Volkswirtin leichter.

Welche globale Herausforderung ist ihrer Meinung nach die drängendste / wichtigste / größte?

Ich denke, es gibt nicht „die“ größte Herausforderung. Im Gegenteil: Ich bin der Auffassung, dass ein derartig fokussiertes Denken und die Konzentration auf „die eine“ Herausforderung, den Blick zu stark verengt und die Gestaltung umfassender Lösungen verhindert.

Was motiviert Sie jede Morgen?

Der Gedanke an Menschen, die mir nahestehen und dass ich das Glück habe, einen Beruf auszuüben, der mir Spaß macht, mich mit vielen Menschen zusammenbringt und für mich auch auf einer „übergeordneten“ sozialen Ebene Sinn macht.

Und wie denken Sie dann abends darüber?

Genauso eigentlich, nur dass mehr Zeit für Familie und Freunde auch gut wäre… …

 

Weiterführende Informationen:
Es existieren zahlreiche Definitionen des Begriffs “Social Protection” (entspricht in etwa dem deutschen Begriff “soziale Sicherung”). Hier eine Auswahl:

  • OECD: “Social protection refers to policies and actions which enhance the capacity of poor and vulnerable people to escape from poverty and enable them to better manage risks and shocks. Social protection measures include social insurance, social transfers and minimum labour standards.” (http://www.oecd.org/dataoecd/63/10/43514563.pdf)
  • ILO: “… set of public measures that a society provides for its members to protect them against economic and social distress that would be caused by the absence or a substantial reduction of income from work as a result of various contingencies (sickness, maternity, employment injury, unemployment, invalidity, old age, and death of the breadwinner); the provision of health care; and, the provision of benefits for families with children.” http://www.ilo.org/washington/areas/social-protection/lang–en/index.htm

 

Bibliographische Angaben

  1. Asian Development Bank (2011), The Revised Social Protection Index, Manila, http://www.adb.org/sites/default/files/spi-handbook.pdf
  2. Barrientos, Armando und Hulme, David (2008), Hrsg., Social Protection for the Poor and Poorest, Concepts, Policies and Politics, Palgrave Macmillan
  3. World Health Organisation, (2010), The World Health Report – Health systems financing: The path to universal coverage, Genf, http://www.who.int/whr/2010/en/index.html

 

 

 

 [:en]Frau Prof. Dr. Katja Bender forscht am Internationalen Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zu den Schwerpunkten wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Zuvor war die studierte Volkswirtin am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik der Ruhr-Universität Bochum und für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (damals GTZ) tätig.

 

Bonn Sustainability Portal: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Bender, was ist ihr aktuelles Forschungsfeld?

Prof. Dr. Bender: Polit-ökonomische Analyse von Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungsländern.

Welche Relevanz hat das Themengebiet „Soziale Sicherung“ in der Entwicklungsforschung?

Mit der zunehmenden politischen Relevanz scheint auch die wissenschaftliche Relevanz zuzunehmen. In der internationalen wissenschaftlichen Debatte ist das Thema kein exotisches Randthema mehr. In Deutschland sieht das allerdings noch tendenziell etwas anders aus.

Welchen Bezug hat das Thema zur Armutsreduzierung?

Soziale Sicherung hat eine Doppelfunktion in Bezug auf Armutsreduzierung. Zum einen schützt soziale Sicherung Individuen vor den negativen finanziellen Folgen spezifischer Lebensrisiken (z.B. Krankheit, Alter, Unfall). Damit beugt soziale Sicherung der Entstehung neuer Armut sowie einer Verstärkung bestehender Armut vor. Zum anderen ermöglicht soziale Sicherung investive Tätigkeiten und stärkt die Selbsthilfefähigkeit armer Haushalte und trägt auch auf diese Weise zur Armutsreduzierung bei. Ein Beispiel ist die soziale Absicherung im Krankheitsfall. Krankheit sowie die mit Krankheit verbundenen hohen Kosten stellen eine der Hauptursachen für Armut dar. Maßnahmen zur sozialen Absicherung im Krankheitsfall tragen zur Armutsminderung bei, indem sie die Menschen im Krankheitsfall vor ruinösen Gesundheitsausgaben und Einkommensverlust schützen und zugleich armen Bevölkerungsgruppen einen gesicherten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen. Maßnahmen zur sozialen Absicherung im Krankheitsfall sind damit gleichzeitig eine Investition zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung eines Landes.

Welche positiven Tendenzen und Beispiele gibt es in diesem Bereich?

Egal ob in Asien, Afrika oder Mittel- und Lateinamerika – viele Länder reformieren derzeit ihre sozialen Sicherungssysteme. Diese Reformen erfolgen nicht nur in Schwellenländern wie z.B. Brasilien, China und Mexiko, sondern auch in Ländern mit einem mittleren bzw. niedrigen Einkommen wie z.B. Indonesien, Vietnam, Ghana und Sambia. Dabei geht es insbesondere um die Inklusion einkommensschwacher Bevölkerungsschichten sowie effizientere Formen der Leistungserbringung. Auch im Kontext der internationalen Zusammenarbeit hat die Relevanz des Themas in den letzten 10 Jahren stark zugenommen, was an der steigenden Anzahl der involvierten Geber, Strategiepapiere oder Gipfelerklärungen festgemacht werden kann.

Welche bisherige Arbeits- und Forschungserfahrung hat Sie besonders geprägt?

Da gibt es mehrere Erfahrungen. Eine frühe – und vermutlich daher auch sehr prägende – berufsbegleitende Erfahrung habe ich während eines Praktikums in Delhi kurz nach meinem Abitur gemacht. Ich wohnte zu Beginn übergangsweise im Gästehaus der Botschaft eines europäischen Landes. Dort arbeitete ein Zimmermädchen, Bushpa, welches nur 2 Jahre älter als ich war. Trotz Sprachschwierigkeiten haben wir uns angefreundet. Als sie mich zum ersten Mal zu sich nach Hause einlud, musste ich feststellen, dass sie in einem Slum lebte. Unerfahren wie ich damals war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass man bei einem internationalen Arbeitgeber aus einem „reichen“ Land beschäftigt war und trotzdem unter so schlechten Bedingungen leben muss. Wichtig war aber für mich nicht nur die Erfahrung, dass ich Glück gehabt habe, in Verhältnisse hineingeboren zu werden, die mir viele materielle, politische und kulturelle Freiheiten ermöglichen. Vielmehr war es für mich besonders prägend, dass wir trotz unserer extrem unterschiedlichen Lebensbedingungen im Grunde viele Gemeinsamkeiten hatten.

Was hätten/würden Sie tun, wenn Sie sich nicht im Bereich Entwicklungsökonomie und Soziale Sicherung arbeiten würden?

Entweder wäre ich Meeresarchäologin oder Fresken-Restauratorin – sofern mir überhaupt der schwierige Einstieg in diese Berufszweige gelungen wäre. Da hat man es als Volkswirtin leichter.

Welche globale Herausforderung ist ihrer Meinung nach die drängendste / wichtigste / größte?

Ich denke, es gibt nicht „die“ größte Herausforderung. Im Gegenteil: Ich bin der Auffassung, dass ein derartig fokussiertes Denken und die Konzentration auf „die eine“ Herausforderung, den Blick zu stark verengt und die Gestaltung umfassender Lösungen verhindert.

Was motiviert Sie jede Morgen?

Der Gedanke an Menschen, die mir nahestehen und dass ich das Glück habe, einen Beruf auszuüben, der mir Spaß macht, mich mit vielen Menschen zusammenbringt und für mich auch auf einer „übergeordneten“ sozialen Ebene Sinn macht.

Und wie denken Sie dann abends darüber?

Genauso eigentlich, nur dass mehr Zeit für Familie und Freunde auch gut wäre… …

 

Weiterführende Informationen:
Es existieren zahlreiche Definitionen des Begriffs “Social Protection” (entspricht in etwa dem deutschen Begriff “soziale Sicherung”). Hier eine Auswahl:

  • OECD: “Social protection refers to policies and actions which enhance the capacity of poor and vulnerable people to escape from poverty and enable them to better manage risks and shocks. Social protection measures include social insurance, social transfers and minimum labour standards.” (http://www.oecd.org/dataoecd/63/10/43514563.pdf)
  • ILO: “… set of public measures that a society provides for its members to protect them against economic and social distress that would be caused by the absence or a substantial reduction of income from work as a result of various contingencies (sickness, maternity, employment injury, unemployment, invalidity, old age, and death of the breadwinner); the provision of health care; and, the provision of benefits for families with children.” http://www.ilo.org/washington/areas/social-protection/lang–en/index.htm

 

 Bibliographische Angaben

  1. Asian Development Bank (2011), The Revised Social Protection Index, Manila, http://www.adb.org/sites/default/files/spi-handbook.pdf
  2. Barrientos, Armando und Hulme, David (2008), Hrsg., Social Protection for the Poor and Poorest, Concepts, Policies and Politics, Palgrave Macmillan
  3. World Health Organisation, (2010), The World Health Report – Health systems financing: The path to universal coverage, Genf, http://www.who.int/whr/2010/en/index.html

 

 

 

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