ForestFinance: Interview mit Günter Mitlacher vom WWF "Es gipfelt wieder: Rio und die Artenvielfalt"

    Der Grundstein für die heute wichtigsten internationalen Umweltabkommen wurde 1992 in Rio de Janeiro beim ersten „Erdgipfel” der Vereinten Nationen gelegt. Zwei Nachfolgekonferenzen fanden 1997 in New York und 2002 in Johannesburg statt. Im Sommer 2012 ist es wieder soweit: Rio+20 soll sich mit Umwelt und einer grüneren Wirtschaft befassen. ForestFinest-Redakteurin Kristin Steffan fragte Günter Mitlacher vom WWF (World Wide Fund For Nature) was der Erdgipfel mit Artenvielfalt zu tun hat und was es mit dem Weltbiodiversitätsrat auf sich hat.

    In Sachen Biodiversität ist die Agenda für den Rio+20-Gipfel bislang noch vage. Was sollte unbedingt beschlossen werden?
    Auf dem Rio+20-Gipfel soll es ja um Wege in eine Grüne Wirtschaft (Green Economy) gehen, damit die Übernutzung der natürlichen Ressourcen nicht zu einem Kollaps der Erde führt. Der WWF stellte in seinem letzten „Living Planet Report“ 2010 fest, dass die Menschheit mit ihrem Konsum die Biokapazität der Erde schon überschritten hat. Wir verbrauchen weltweit heute bereits 1,5 Planeten. Rio+20 muss hier eine Trendwende einleiten hin zu einer Wirtschaftsweise, die Ökosysteme nicht weiter plündert, sondern biologische Vielfalt erhält und fördert. Es müssen umweltschädliche Subventionen beseitigt und positive Anreize für nachhaltiges Wirtschaften beschlossen werden. Ein neues Indikatorensystem zur Wohlstandsmessung muss auch die Messung des „ökologischen Fußabdrucks“ mit einbeziehen.

    Rio+20 soll bilanzieren, inwieweit die Biodiversitätskonvention seit dem letzten Erdgipfel von 1992 umgesetzt wurde. Was wurde hier bereits erreicht und wo herrscht noch Nachholbedarf?
    Die Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) war eines der drei Abkommen, die auf dem ersten Erdgipfel beschlossen wurde. Anfänglich konzentrierte man sich auf das Schutzziel der CBD und entwickelte Arbeitsprogramme zu Schutzgebieten, Wald-, Meeres-, Gebirgs-, Gewässer- und Inselschutz. Mittlerweile sind Aktivitäten für das zweite Konventionsziel, das heißt zur nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt stärker betont worden, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bioenergieproduktion. Erst 18 Jahre nach Rio ist das dritte Ziel auf gutem Wege, umgesetzt zu werden. Im Jahr 2010 wurde nämlich das Nagoya-Protokoll verabschiedet, das den Zugang zu genetischen Ressourcen und den fairen Ausgleich für deren Nutzung regelt. Die CBD steht vor gewaltigen Herausforderungen, den neuen Strategischen Plan bis 2020 konsequent umzusetzen, unter anderem die Steigerung der Schutzgebietsfläche an Land von circa 10 Prozent heute auf 17 Prozent, auf den Meeren von circa 1 Prozent auf 10 Prozent; alle land- und forstwirtschaftlichen Flächen sollen nachhaltig bewirtschaftet werden, die Verlustrate von natürlichen Gebieten, insbesondere Naturwälder, soll halbiert und 15 Prozent degradierter Gebiete, darunter vor allem Waldflächen, sollen wieder renaturiert werden.

    Das hört sich in der Tat nach einer großen Herausforderung an. In welchen Regionen der Welt muss am dringendsten gehandelt werden, um dem Artensterben Einhalt zu gebieten?
    Besonders wichtig zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Minderung der Erderwärmung sind die großen Regenwaldgebiete im Amazonas, in Zentralafrika und in Hinterindien. Auch die großen Flüsse Amazonas und Mekong sind durch Staudammprojekte in ihrer natürlichen Dynamik und Vielfalt gefährdet. Die Küstengebiete mit Korallenriffen sowie Hohe See stehen auch ganz oben auf der Prioritätenliste.

    Was erwartet der WWF dabei vom UN-Biodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), der im April 2012 gegründet werden soll?                             Die Einrichtung des Weltrats für Biodiversität wird vom WWF sehr unterstützt, weil damit im Wesentlichen zwei wichtige Aufgaben erfüllt werden sollen: Einerseits soll die heterogene Wissenschaftsgemeinschaft intensiver und enger zusammenarbeiten, um die Staaten mit regionalen und globalen Zustandsbewertungen zu beraten, um bessere politische Entscheidungen zu treffen. Andererseits soll erreicht werden, dass Biodiversitätsschutz in Öffentlichkeit und Politik stärker beachtet wird, wie dies durch die Berichte des Weltklimarates zu beobachten ist.

    Wie stehen Sie zu der Aussage von Carsten Rahbek, Direktor des Zentrums für Makroökologie, Evolution und Klima der Universität Kopenhagen, dass die Bewahrung der Artenvielfalt eine größere Herausforderung sei als der Klimawandel?
    Ich würde sagen, dass die Bewahrung der Artenvielfalt und die bislang kostenfrei gelieferten Ökosystemleistungen vergleichsweise schwieriger politisch zu organisieren und durchzusetzen sind, denn es geht ja nicht nur um Schutzgebiete. Selbst mit 50 Prozent Schutzgebietsfläche würde man den Artenverlust kaum aufhalten können. Wir leben ja wie selbstverständlich von unserem „Naturkapital“, das heißt den Leistungen der Ökosysteme mit ihrer jeweiligen Artenzusammensetzung: sei es die Bestäubungsleistung von Insekten oder Vögeln, sei es die Trinkwasserversorgung durch Flüsse oder Gletscher, sei es die Klimaregulierung durch Wälder. Klimawandel und Ökosystemnutzung hängen räumlich und zeitlich eng zusammen und müssen als zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden.

    Was raten Sie Verbrauchern fernab der großen Umweltpolitik, die selbst etwas zur Bewahrung der Artenvielfalt beitragen möchten?
    Jeder Einzelne kann durch sein Verhalten einen Beitrag leisten, in seiner Wohnumgebung, in seiner Freizeit oder beim Konsum. Wer ein Haus hat, kann im Garten eine Blumenwiese, eine Natursteinmauer oder einen Teich anlegen. Bei sportlichen Aktivitäten in der freien Landschaft soll man Schutz – gebiete respektieren und nicht mutwillig Natur zerstören. Beim Einkaufen sollte man darauf achten, Lebensmittel aus dem Ökolandbau, Fisch und Meeresfrüchte aus nachhaltigem Fang oder Holz aus nachhaltiger Produktion mit dem FSC-Siegel zu kaufen.

    Günter Mitlacher ist Leiter Biologische Vielfalt beim WWF

    Das Interview ist in der Ausgabe 1/2012 von ForestFinest – das Magazin für weltweite Waldwirtschaft erschienen. Titelthema: Biodiversität oder – Ich bin dann mal weg!

     Der Grundstein für die heute wichtigsten internationalen Umweltabkommen wurde 1992 in Rio de Janeiro beim ersten „Erdgipfel” der Vereinten Nationen gelegt. Zwei Nachfolgekonferenzen fanden 1997 in New York und 2002 in Johannesburg statt. Im Sommer 2012 ist es wieder soweit: Rio+20 soll sich mit Umwelt und einer grüneren Wirtschaft befassen. ForestFinest-Redakteurin Kristin Steffan fragte Günter Mitlacher vom WWF (World Wide Fund For Nature) was der Erdgipfel mit Artenvielfalt zu tun hat und was es mit dem Weltbiodiversitätsrat auf sich hat.

    In Sachen Biodiversität ist die Agenda für den Rio+20-Gipfel bislang noch vage. Was sollte unbedingt beschlossen werden?
    Auf dem Rio+20-Gipfel soll es ja um Wege in eine Grüne Wirtschaft (Green Economy) gehen, damit die Übernutzung der natürlichen Ressourcen nicht zu einem Kollaps der Erde führt. Der WWF stellte in seinem letzten „Living Planet Report“ 2010 fest, dass die Menschheit mit ihrem Konsum die Biokapazität der Erde schon überschritten hat. Wir verbrauchen weltweit heute bereits 1,5 Planeten. Rio+20 muss hier eine Trendwende einleiten hin zu einer Wirtschaftsweise, die Ökosysteme nicht weiter plündert, sondern biologische Vielfalt erhält und fördert. Es müssen umweltschädliche Subventionen beseitigt und positive Anreize für nachhaltiges Wirtschaften beschlossen werden. Ein neues Indikatorensystem zur Wohlstandsmessung muss auch die Messung des „ökologischen Fußabdrucks“ mit einbeziehen.

    Rio+20 soll bilanzieren, inwieweit die Biodiversitätskonvention seit dem letzten Erdgipfel von 1992 umgesetzt wurde. Was wurde hier bereits erreicht und wo herrscht noch Nachholbedarf?
    Die Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) war eines der drei Abkommen, die auf dem ersten Erdgipfel beschlossen wurde. Anfänglich konzentrierte man sich auf das Schutzziel der CBD und entwickelte Arbeitsprogramme zu Schutzgebieten, Wald-, Meeres-, Gebirgs-, Gewässer- und Inselschutz. Mittlerweile sind Aktivitäten für das zweite Konventionsziel, das heißt zur nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt stärker betont worden, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bioenergieproduktion. Erst 18 Jahre nach Rio ist das dritte Ziel auf gutem Wege, umgesetzt zu werden. Im Jahr 2010 wurde nämlich das Nagoya-Protokoll verabschiedet, das den Zugang zu genetischen Ressourcen und den fairen Ausgleich für deren Nutzung regelt. Die CBD steht vor gewaltigen Herausforderungen, den neuen Strategischen Plan bis 2020 konsequent umzusetzen, unter anderem die Steigerung der Schutzgebietsfläche an Land von circa 10 Prozent heute auf 17 Prozent, auf den Meeren von circa 1 Prozent auf 10 Prozent; alle land- und forstwirtschaftlichen Flächen sollen nachhaltig bewirtschaftet werden, die Verlustrate von natürlichen Gebieten, insbesondere Naturwälder, soll halbiert und 15 Prozent degradierter Gebiete, darunter vor allem Waldflächen, sollen wieder renaturiert werden.

    Das hört sich in der Tat nach einer großen Herausforderung an. In welchen Regionen der Welt muss am dringendsten gehandelt werden, um dem Artensterben Einhalt zu gebieten?
    Besonders wichtig zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Minderung der Erderwärmung sind die großen Regenwaldgebiete im Amazonas, in Zentralafrika und in Hinterindien. Auch die großen Flüsse Amazonas und Mekong sind durch Staudammprojekte in ihrer natürlichen Dynamik und Vielfalt gefährdet. Die Küstengebiete mit Korallenriffen sowie Hohe See stehen auch ganz oben auf der Prioritätenliste.

    Was erwartet der WWF dabei vom UN-Biodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), der im April 2012 gegründet werden soll?                             Die Einrichtung des Weltrats für Biodiversität wird vom WWF sehr unterstützt, weil damit im Wesentlichen zwei wichtige Aufgaben erfüllt werden sollen: Einerseits soll die heterogene Wissenschaftsgemeinschaft intensiver und enger zusammenarbeiten, um die Staaten mit regionalen und globalen Zustandsbewertungen zu beraten, um bessere politische Entscheidungen zu treffen. Andererseits soll erreicht werden, dass Biodiversitätsschutz in Öffentlichkeit und Politik stärker beachtet wird, wie dies durch die Berichte des Weltklimarates zu beobachten ist.

    Wie stehen Sie zu der Aussage von Carsten Rahbek, Direktor des Zentrums für Makroökologie, Evolution und Klima der Universität Kopenhagen, dass die Bewahrung der Artenvielfalt eine größere Herausforderung sei als der Klimawandel?
    Ich würde sagen, dass die Bewahrung der Artenvielfalt und die bislang kostenfrei gelieferten Ökosystemleistungen vergleichsweise schwieriger politisch zu organisieren und durchzusetzen sind, denn es geht ja nicht nur um Schutzgebiete. Selbst mit 50 Prozent Schutzgebietsfläche würde man den Artenverlust kaum aufhalten können. Wir leben ja wie selbstverständlich von unserem „Naturkapital“, das heißt den Leistungen der Ökosysteme mit ihrer jeweiligen Artenzusammensetzung: sei es die Bestäubungsleistung von Insekten oder Vögeln, sei es die Trinkwasserversorgung durch Flüsse oder Gletscher, sei es die Klimaregulierung durch Wälder. Klimawandel und Ökosystemnutzung hängen räumlich und zeitlich eng zusammen und müssen als zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden.

    Was raten Sie Verbrauchern fernab der großen Umweltpolitik, die selbst etwas zur Bewahrung der Artenvielfalt beitragen möchten?
    Jeder Einzelne kann durch sein Verhalten einen Beitrag leisten, in seiner Wohnumgebung, in seiner Freizeit oder beim Konsum. Wer ein Haus hat, kann im Garten eine Blumenwiese, eine Natursteinmauer oder einen Teich anlegen. Bei sportlichen Aktivitäten in der freien Landschaft soll man Schutz – gebiete respektieren und nicht mutwillig Natur zerstören. Beim Einkaufen sollte man darauf achten, Lebensmittel aus dem Ökolandbau, Fisch und Meeresfrüchte aus nachhaltigem Fang oder Holz aus nachhaltiger Produktion mit dem FSC-Siegel zu kaufen.

    Günter Mitlacher ist Leiter Biologische Vielfalt beim WWF

    Das Interview ist in der Ausgabe 1/2012 von ForestFinest – das Magazin für weltweite Waldwirtschaft erschienen. Titelthema: Biodiversität oder – Ich bin dann mal weg!