DIE: Die Weltbank sagt: die weltweite Armut hat sich seit 1990 halbiert – wirklich?

Haben wir eine einzigartige Erfolgsgeschichte verpasst? Aktuelle Prognosen der Weltbank von Ende Februar legen nahe, dass sich der Anteil der Armen weltweit im Zeitraum 1990–2010 halbiert hat, und das trotz Finanzkrise. Das bedeutet nichts anderes, als dass das erste und bekannteste Millennium-Entwicklungsziel bereits 2010 erreicht wurde, fünf Jahre vor der gesetzten Frist. Wir erinnern uns, im Jahr 2000 haben die Vereinten Nationen acht Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) verabschiedet, die bis zum Jahr 2015 erreicht werden sollen. Konkrete und messbare Ziele sind u. a. den Anteil der Menschen zu halbieren, die hungern und in Armut leben.

Hat die Welt also einen einzigartigen Grund zum Feiern verschlafen? Was besagen die Zahlen der Weltbank-Forscher genau? Gemessen an einer Armutsgrenze von 1,25 USD am Tag hat sich die Zahl der Armen im Zeitraum 1990 bis 2008 von 1,91 Milliarden Menschen auf 1,29 Milliarden reduziert. Die Aussage, das erste Millennium-Entwicklungsziel sei auf globaler Ebene wahrscheinlich bereits 2010 erreicht worden, beruht lediglich auf ersten groben Hochrechnungen der Weltbank auf Grundlage der wenigen Datensätze, die für das Jahr 2010 derzeit zur Verfügung stehen.

Eine chinesische Erfolgsgeschichte
Darüber hinaus ist der Erfolg regional sehr ungleich verteilt. Er geht ganz überwiegend auf China zurück. Von den etwa 620 Millionen Menschen, die seit 1990 über die 1,25 USD-Grenze gehoben wurden, leben 510 Millionen in China. Mit anderen Worten: klammert man China aus, wird ein Rückgang in den absoluten Armutszahlen von knapp 110 Millionen erzielt – über einen Zeitraum von achtzehn Jahren. In Sub-Sahara Afrika zum Beispiel lebten 2008 386 Millionen Menschen in extremer Armut, das sind etwa 96 Millionen mehr als noch 1990. Doch bei aller Mahnung zur Vorsicht wäre natürlich allein das Ergebnis, dass etwa 620 Millionen Menschen weniger in Armut leben als noch vor achtzehn Jahren, ein triftiger Grund zum Feiern. Doch bevor die Champagnerkorken knallen und wir, unseres schlechten Gewissens entledigt, befreit auf den neuen allgemeinen Wohlstand anstoßen, seien noch ein paar Worte an diejenigen gerichtet, die sich des unguten Gefühls nicht erwehren können, gerade ein Déjà-Vu zu erleben.

Ein Déjà-Vu
Und tatsächlich, schon einmal knallten die Korken, im April 2007, als die Zahl der weltweit Armen erstmals seit Beginn der internationalen Armutsmessung unter eine Milliarde sank und die Erreichung des ersten Millenniumsziels in greifbare Nähe rückte. Allerdings war die Freude nur von kurzer Dauer. Es folgte der „Schwarze Montag“ der Armutsbekämpfung, der 26. August 2008, als wir in einer Welt aufwachten, in der schlagartig 430 Millionen Menschen mehr in Armut lebten als noch am Tag zuvor. Nicht etwa aufgrund einer verheerenden Katastrophe, sondern weil die Weltbank nach anhaltender und zunehmend lauter werdender Kritik ihre Armutsgrenze neu berechnet hat.

Die damals gültige Armutsgrenze von 1,08 USD basierte auf dem Durchschnitt der nationalen Armutsgrenzen von acht der ärmsten Länder. Man muss keine Expertin oder Experte sein, um zu erkennen, dass diese Zahl für die Berechnung einer internationalen Armutsgrenze viel zu gering ist. Die neue, derzeit gültige Armutsgrenze von 1,25 US Dollar beruht auf dem Durchschnitt der nationalen Armutsgrenzen der ärmsten 15 Länder. Die Neuberechnung sowie eine Aktualisierung der Kaufkraftparitäten, die die internationale Vergleichbarkeit von Waren und Dienstleistungen trotz unterschiedlicher Preise und Währungssysteme gewährleisten sollen, führte zu der besagten Korrektur der Armutszahlen nach oben und offenbarte, dass die weltweite Armut bis zu diesem Zeitpunkt radikal unterschätzt worden war.

Das Problem der Kaufkraftparitäten
Doch die Kritik an den Zahlen der Weltbank richtete sich nicht allein gegen die Herleitung der internationalen Armutsgrenze sondern auch gegen die Verwendung besagter Kaufkraftparitäten (KKP). Mit einem KKP-Dollar soll theoretisch in jedem Land der Welt die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen erwerbbar sein. Um die internationale Vergleichbarkeit ihrer Armutsgrenze zu gewährleisten, verwendet auch die Weltbank KKP-Dollar. Dieses Vorhaben ist höchst umstritten. Die Berechnung des KKP-Dollar beruht auf internationalen Warenkörben, die mit dem Konsumverhalten der Armen wenig zu tun haben. Ein wenig polemisch formuliert: ein indischer Haushalt könnte arm werden, weil sich die Preise für Konditoreiprodukte in Hong-Kong verändert haben. Tatsächlich ist das Vorgehen der Weltbank so abenteuerlich, dass die Wissenschaftler Thomas Pogge und Sanjay Reddy zu einer Studie mit dem aussagekräftigen Titel „Wie man die Armen nicht zählen sollte“ inspiriert wurden.

Ein böses Erwachen?
Vor diesem Hintergrund wird man angesichts des derzeitigen Optimismus unweigerlich von einem unguten Gefühl beschlichen. Früher oder später wird die Weltbank auch auf diese zunehmend lauter werdende Kritik reagieren und ihre Zahlen korrigieren müssen. Insbesondere in Hinblick auf die Preisexplosion der Lebensmittelpreise in jüngster Zeit könnte dies gravierende Auswirkungen haben. Um wie viel, ist derzeit nicht absehbar. Wichtige Daten wie die Kaufkraftparitäten werden nur in aggregierter Form zur Verfügung gestellt, so dass Prognosen nur sehr bedingt möglich sind. Die Begründung der Weltbank? Die Kaufkraftparitäten sind nur auf aggregierter Ebene verlässlich, da sich die Messfehler in den einzelnen Waren- und Dienstleistungsgruppen gegenseitig eliminieren. Allein Aussagen dieser Art sind mit der derzeit vorgespiegelten Präzision in den Zahlen der Weltbank kaum vereinbar. Die Weltbank wäre gut beraten, ihre Berechnungen transparenter zu gestalten und zusätzlich zu ihren Zahlen auch Prognosen über die Spielräume abzugeben, in denen sich diese Zahlen bewegen. Andernfalls ist zu befürchten, dass wir erneut unverhofft in einer Welt erwachen, in der die Zahl der Armen über Nacht in die Höhe geschnellt ist. Nicht aufgrund realer Veränderungen, sondern weil die Weltbank erneut eine folgenschwere Korrektur ihrer Berechnungen vornehmen musste.

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Hat die Welt also einen einzigartigen Grund zum Feiern verschlafen? Was besagen die Zahlen der Weltbank-Forscher genau? Gemessen an einer Armutsgrenze von 1,25 USD am Tag hat sich die Zahl der Armen im Zeitraum 1990 bis 2008 von 1,91 Milliarden Menschen auf 1,29 Milliarden reduziert. Die Aussage, das erste Millennium-Entwicklungsziel sei auf globaler Ebene wahrscheinlich bereits 2010 erreicht worden, beruht lediglich auf ersten groben Hochrechnungen der Weltbank auf Grundlage der wenigen Datensätze, die für das Jahr 2010 derzeit zur Verfügung stehen.

Eine chinesische Erfolgsgeschichte
Darüber hinaus ist der Erfolg regional sehr ungleich verteilt. Er geht ganz überwiegend auf China zurück. Von den etwa 620 Millionen Menschen, die seit 1990 über die 1,25 USD-Grenze gehoben wurden, leben 510 Millionen in China. Mit anderen Worten: klammert man China aus, wird ein Rückgang in den absoluten Armutszahlen von knapp 110 Millionen erzielt – über einen Zeitraum von achtzehn Jahren. In Sub-Sahara Afrika zum Beispiel lebten 2008 386 Millionen Menschen in extremer Armut, das sind etwa 96 Millionen mehr als noch 1990. Doch bei aller Mahnung zur Vorsicht wäre natürlich allein das Ergebnis, dass etwa 620 Millionen Menschen weniger in Armut leben als noch vor achtzehn Jahren, ein triftiger Grund zum Feiern. Doch bevor die Champagnerkorken knallen und wir, unseres schlechten Gewissens entledigt, befreit auf den neuen allgemeinen Wohlstand anstoßen, seien noch ein paar Worte an diejenigen gerichtet, die sich des unguten Gefühls nicht erwehren können, gerade ein Déjà-Vu zu erleben.

Ein Déjà-Vu
Und tatsächlich, schon einmal knallten die Korken, im April 2007, als die Zahl der weltweit Armen erstmals seit Beginn der internationalen Armutsmessung unter eine Milliarde sank und die Erreichung des ersten Millenniumsziels in greifbare Nähe rückte. Allerdings war die Freude nur von kurzer Dauer. Es folgte der „Schwarze Montag“ der Armutsbekämpfung, der 26. August 2008, als wir in einer Welt aufwachten, in der schlagartig 430 Millionen Menschen mehr in Armut lebten als noch am Tag zuvor. Nicht etwa aufgrund einer verheerenden Katastrophe, sondern weil die Weltbank nach anhaltender und zunehmend lauter werdender Kritik ihre Armutsgrenze neu berechnet hat.

Die damals gültige Armutsgrenze von 1,08 USD basierte auf dem Durchschnitt der nationalen Armutsgrenzen von acht der ärmsten Länder. Man muss keine Expertin oder Experte sein, um zu erkennen, dass diese Zahl für die Berechnung einer internationalen Armutsgrenze viel zu gering ist. Die neue, derzeit gültige Armutsgrenze von 1,25 US Dollar beruht auf dem Durchschnitt der nationalen Armutsgrenzen der ärmsten 15 Länder. Die Neuberechnung sowie eine Aktualisierung der Kaufkraftparitäten, die die internationale Vergleichbarkeit von Waren und Dienstleistungen trotz unterschiedlicher Preise und Währungssysteme gewährleisten sollen, führte zu der besagten Korrektur der Armutszahlen nach oben und offenbarte, dass die weltweite Armut bis zu diesem Zeitpunkt radikal unterschätzt worden war.

Das Problem der Kaufkraftparitäten
Doch die Kritik an den Zahlen der Weltbank richtete sich nicht allein gegen die Herleitung der internationalen Armutsgrenze sondern auch gegen die Verwendung besagter Kaufkraftparitäten (KKP). Mit einem KKP-Dollar soll theoretisch in jedem Land der Welt die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen erwerbbar sein. Um die internationale Vergleichbarkeit ihrer Armutsgrenze zu gewährleisten, verwendet auch die Weltbank KKP-Dollar. Dieses Vorhaben ist höchst umstritten. Die Berechnung des KKP-Dollar beruht auf internationalen Warenkörben, die mit dem Konsumverhalten der Armen wenig zu tun haben. Ein wenig polemisch formuliert: ein indischer Haushalt könnte arm werden, weil sich die Preise für Konditoreiprodukte in Hong-Kong verändert haben. Tatsächlich ist das Vorgehen der Weltbank so abenteuerlich, dass die Wissenschaftler Thomas Pogge und Sanjay Reddy zu einer Studie mit dem aussagekräftigen Titel „Wie man die Armen nicht zählen sollte“ inspiriert wurden.

Ein böses Erwachen?
Vor diesem Hintergrund wird man angesichts des derzeitigen Optimismus unweigerlich von einem unguten Gefühl beschlichen. Früher oder später wird die Weltbank auch auf diese zunehmend lauter werdende Kritik reagieren und ihre Zahlen korrigieren müssen. Insbesondere in Hinblick auf die Preisexplosion der Lebensmittelpreise in jüngster Zeit könnte dies gravierende Auswirkungen haben. Um wie viel, ist derzeit nicht absehbar. Wichtige Daten wie die Kaufkraftparitäten werden nur in aggregierter Form zur Verfügung gestellt, so dass Prognosen nur sehr bedingt möglich sind. Die Begründung der Weltbank? Die Kaufkraftparitäten sind nur auf aggregierter Ebene verlässlich, da sich die Messfehler in den einzelnen Waren- und Dienstleistungsgruppen gegenseitig eliminieren. Allein Aussagen dieser Art sind mit der derzeit vorgespiegelten Präzision in den Zahlen der Weltbank kaum vereinbar. Die Weltbank wäre gut beraten, ihre Berechnungen transparenter zu gestalten und zusätzlich zu ihren Zahlen auch Prognosen über die Spielräume abzugeben, in denen sich diese Zahlen bewegen. Andernfalls ist zu befürchten, dass wir erneut unverhofft in einer Welt erwachen, in der die Zahl der Armen über Nacht in die Höhe geschnellt ist. Nicht aufgrund realer Veränderungen, sondern weil die Weltbank erneut eine folgenschwere Korrektur ihrer Berechnungen vornehmen musste.

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