DIE: Die aktuelle Kolumne | Wie die deutsche G7-Präsidentschaft 2022 Gestaltungsmacht entfalten könnte

Wenn die neue Bundesregierung Anfang 2022 mit dem deutschen G7-Vorsitz ihre ersten internationalen Akzente setzt, kommt es nicht nur auf die Ambition der Themen an. Mindestens genauso wichtig ist die Art ihrer Bearbeitung und die politische Positionierung des G7-Prozesses selbst. Ähnlich wie bei den deutschen Vorsitzen 2007 (Heiligendamm/G8) und 2015 (Elmau/G7) könnte auch der 2022er Vorsitz an einem Wendepunkt für G7 und G20 liegen. Wird die G7 ihrer Verantwortung für das globale Gemeinwohl gerecht oder wandelt sie sich zu einem Instrument geopolitischer Selbstbehauptung?

Mit dem Heiligendamm-Prozess konnten 2007 Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika für eine erste strukturelle Öffnung der G8 gewonnen werden. Nur ein Jahr später war die Welt eine andere. In der Finanzkrise kam die G20 erstmals auf Ebene der Staats- und Regierungschef*innen und erklärte sich 2009 zum wichtigsten Forum für ihre internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das markierte das Ende der G8 als den zentralen Ort weltwirtschaftlicher Abstimmung, aber auch ihrer Erweiterung. Im Gegenteil, wenige Jahre später wurde Russland aufgrund seiner Annektierung der Krim aus der Gruppe ausgeschlossen, der Elmau-Gipfel 2015 zum ersten regulären im früheren G7-Format. Ohne zentrale wirtschaftspolitische Rolle sowie ohne die großen Schwellenländer und Russland begann die G7 sich neu zu erfinden: als Wertegemeinschaft für Freiheit und Demokratie sowie als Instrument zur Wahrung von Souveränität und territorialer Unversehrtheit. Elmau knüpfte aber auch an die Tradition eines Fokus auf das globale Gemeinwohl sowie auf Afrika an und trug dazu bei, im G7-Kreis die Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und den Abschluss des Pariser Klimaabkommens im selben Jahr vorzubereiten.

In den Folgejahren blieb aber unklar, wie sich Führungsanspruch und Themenspektrum der G7 zu den oft parallelen sowie breiter aufgestellten G20-Prozessen verhalten. Auch wurden mit dem Brexit und der Trump-Administration ernste Probleme in und zwischen den G7-Ländern deutlicher. Gipfelerklärungen verflachten, dokumentierten offen Dissens oder wurden widerrufen. 2020 kam unter US-Vorsitz ein G7-Gipfel nicht zustande. Als 2021 das Vereinigte Königreich den G7-Prozess wieder aufnahm, knüpfte es zwar an gemeinwohlorientierte Traditionen an, orchestrierte aber auch ein neues geopolitisches Setting. Mit Indien und Australien wurden neben Südkorea und Südafrika nicht nur wieder mehrere andere G20-Länder zu einem G7-Gipfel eingeladen, sondern auch der indo-pazifische Quadrilateral Security Dialogue an die G7 herangeführt. Dies lies Beobachter vom ersten Gipfel der Anti-China-Koalition sprechen, was auch durch die Anlage des dort aufgegriffenen US-Vorschlags einer neuen globalen Infrastrukturinitiative unterstrichen wird.

Der deutsche G7-Vorsitz sollte den Weg der Umgestaltung der G7 zu einer Anti-China-Allianz oder einer Blockbildung in der G20 nicht weitergehen, sondern in enger Abstimmung mit Frankreich, Italien und der EU die Verantwortung für das globale Gemeinwohl und die Stärkung der Zusammenarbeit im Rahmen von Vereinten Nationen und G20 in den Mittelpunkt zu stellen. Auch aufgrund der engen zeitlichen Abfolge seiner Vorsitze in G7 (2015) und G20 (2017) hat Deutschland gute Erfahrungen gesammelt, beide Prozesse konstruktiv aufeinander zu beziehen. Dem wäre abträglich, wiederum weitere G20-Länder als Gäste in die G7 einzuladen und damit den G20-Prozess zu untergraben. Stattdessen sollte allein Indonesien als G20-Vorsitz mit dem Ziel eingeladen werden, den G7-Prozess als Unterstützung für eine erfolgreiche G20 anzulegen. Kaum eines der Probleme unserer Zeit kann ohne China und Russland gelöst werden. Vergleichbares gilt mit Blick auf Afrika. Wichtiger als ein weiterer G7-Afrika-Outreach wäre deshalb eine Verständigung, in der G20 für die Aufnahme der Afrikanischen Union als vollwertigem Mitglied einzutreten.

Gerade weil weltweit Demokratie und soziale Gerechtigkeit unter Druck stehen und Spannungen zunehmen, dürfen die geteilten Werte der G7 nicht als Instrument geopolitischer Auseinandersetzung genutzt, sondern müssen zuallererst zuhause gestärkt und glaubwürdig in offenen Formaten gelebt werden. Dieser Herausforderung sollte sich der G7-Gipfel in einer Sitzung mit den G7 Engagement Groups widmen. Auch multilateral können die G7-Länder umso besser über Demokratie sprechen, je offener und klarer sie dies unter sich tut.

Zum globalen Gemeinwohl sollten die G7-Länder auch mit Blick auf Klima und Biodiversität vor allem durch Transformationen im Inneren beitragen. 2022 muss die G7 ihre eigenen Weichen stellen, um nach der Pandemie und vor dem SDG Summit 2023 in eine erfolgreiche Dekade der Umsetzung einzuschwenken. Dringend notwendige finanzielle Zusagen an Dritte dürfen nicht davon ablenken, auch die Wirtschaftsbeziehungen der G7-Länder untereinander zu dekarbonisieren und auf nachhaltiges Produzieren und Konsumieren umzustellen. Zwar haben bislang alle G7-Länder außer den USA mindestens einen Voluntary National Review zur Umsetzung der Agenda 2030 vorlegt, aber der Stellenwert der SDGs in ihren nationalen Politiken ist marginal geblieben. Der G7-Gipfel im Jahr 2022 sollte dies ändern. Gestaltungsmacht entfaltet sich, wenn auf Worte Taten folgen.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Adolf Kloke-Lesch, Die aktuelle Kolumne, 15.11.2021