Dr. Keith Ulrich über gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit im Weinbau

Sehr geehrter Herr Dr. Ulrich, Sie sind Vorstandsvorsitzender des Fair and Green e.V. Was ist das Ziel des Vereins?

Ziel des Fair and Green e.V. ist es, die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, ausgehend vom Weinbau, zu fördern und zu verstärken. Dafür bietet der Fair and Green e.V. ein Zertifizierungssystem, das Auskunft darüber gibt, wie nachhaltig Betriebe bereits wirtschaften. Gleichzeitig werden die Betriebe durch Beratung weiterentwickelt, so dass sie ökologisch und ökonomisch zukunftsfähig bleiben. Schließlich geht es darum, eine Umwelt zu hinterlassen, die es auch den nachfolgenden Generationen ermöglicht, Landwirtschaft zu betreiben.

Mit Ihrer Firma Athenga GmbH beraten Sie Firmen, wie sie ihre Produktion auf nachhaltiges Wirtschaften umstellen.
An welchen Stellschrauben muss in der Landwirtschaft gedreht werden, um diese nachhaltiger zu gestalten?

Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr vielschichtig und umfasst drei wesentliche Bereiche: die gesellschaftliche, die ökologische und die ökonomische Nachhaltigkeit. Ganzheitliche Nachhaltigkeit muss deshalb alle drei Bereiche einbeziehen.

Für die ökonomische Nachhaltigkeit ist relevant, wie Betriebe oder Unternehmen gesteuert werden, wie diversifiziert und mit welchen wirtschaftlichen Kennzahlen sie bereits arbeiten. Wir geben Empfehlungen, welche weiteren Kennzahlen zusätzlich erhoben werden sollten, um ein Unternehmen langfristig erfolgreicher zu gestalten.

Im Hinblick auf die ökologische Nachhaltigkeit sind für landwirtschaftliche Betriebe u.a. der CO2-Fußabdruck, die Ressourcen- und Energieeffizienz, Wassereinsparungspotenziale und das Abfallmanagement ausschlaggebend. Da hilft externe Unterstützung, um zukunftsorientiert arbeiten können.

Für die gesellschaftliche Nachhaltigkeit ist es z.B. wichtig, dass Mitarbeiter*innen und Erntehelfer*innen der Weinbaubetriebe Arbeitsverträge erhalten, die schriftlich und zusätzlich in der jeweiligen Sprache der Arbeitnehmer*innen verfasst sind. Zudem ist es für einen gesunden betrieblichen Ablauf wichtig, dass es vernünftige Unterkünfte für Mitarbeiter*innen gibt. Für die FAIR’N GREEN-Zertifizierung prüfen wir daher, welche Kriterien Betriebe bereits erfüllen und welche Aspekte noch verbessert werden können.

Wir beraten die Betriebe in allen Bereichen, so dass sie weiterhin erfolgreich, zukunftsfähig und gesellschaftlich verantwortungsbewusst handeln können.

Fair and Green e.V. wurde 2013 gegründet. Wie hat sich der Verein seitdem entwickelt?

Ursprünglich war der Fair and Green e.V. ein Projekt, das von Winzer*innen umgesetzt wurde, die das Thema Nachhaltigkeit in der Weinwirtschaft stärker verankern wollten. Seitdem ist der Verein gewachsen und hat sich weiterentwickelt. Mittlerweile haben wir über 80 Betriebe zertifiziert und sind als einziges Nachhaltigkeits-Siegel in Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien und neuerdings auch in Israel aktiv. Das ist eine sehr positive Entwicklung.

Darüber hinaus haben wir verschiedene große Projekte in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern initiiert, um die Nachhaltigkeit stärker in der Betriebspraxis zu etablieren. Dazu zählt das Biodiversitätsprojekt AmBiTo, das wir gemeinsam mit der Hochschule Geisenheim umsetzen. Des Weiteren bemühen wir uns im Rahmen der Save Climate-Initiative zusammen mit den Weingütern darum, die jeweiligen CO2-Fußabdrücke zu reduzieren.

Wir setzen unsere Projekte immer gemeinsam mit den Mitgliedsbetrieben um. Wir legen großen Wert auf praxisrelevante Lösungen. Weinbaubetriebe benötigen von Projektbeginn an realisierbare und für die Zukunft relevante Handlungsalternativen, mit denen sie sich identifizieren können. Wenn wir die Betriebe von Anfang an einbinden und dazu motivieren können, einen positiven Beitrag z.B. zum Klimaschutz zu leisten, dann ist das der Schlüssel zum Erfolg.

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

Mich motiviert seit langem, dass wir Projekte machen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben und dazu führen, „Wirtschaften“ neu zu denken. Dass man nachhaltiger wirtschaftet und nachfolgenden Generationen den Planeten in einem guten und lebenswerten Zustand übergibt. Deswegen haben wir uns schon sehr früh mit Klimawandel und Biodiversitätsverlust beschäftigt. Und wenn ich morgens ins Büro komme und weiß, heute gibt es wieder neue interessante Ergebnisse, die wir in einem Projekt z.B. zur Biodiversität oder zum Artenschutz erzielt haben, dann ist das für mich sehr motivierend und treibt mich an. Dann kann ich auch abends, wenn ich nach Hause gehe, zu mir selbst sagen, dass wir etwas bewegt haben, das in die richtige Richtung geht.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

Ich würde gerne einmal eine Frage gestellt bekommen, die das Thema Landwirtschaft positiv betrachtet. Meist wird der Fokus auf die negativen Aspekte der Landwirtschaft gelegt, z.B. warum der Pflanzenschutz so negative Auswirkungen hat. Was Landwirt*innen allerdings heute schon Positives tun, wird selten betrachtet. Ich glaube das ist etwas, was man häufig bei Fragestellungen vergisst. Welche positiven Aspekte trägt die Landwirtschaft zu unserem täglichen Leben bei? Denn viele Betriebe sehen sich in ihrer Rolle durchaus als Landwirte, aber auch als Naturschützer. Und das findet in der öffentlichen Diskussion wenig Raum.

Weitere Informationen zu Fair and Green e.V.

Das Interview führte Verena Hammes