DIE: Die aktuelle Kolumne | Wie COVID-19 die Vorteile einer Lokalisierung der Entwicklungszusammenarbeit aufzeigt

Als Nebenprodukt der Pandemie ist in der Entwicklungszusammenarbeit ein einmaliges globales Experiment in Gang gekommen. Aus vielen Länderbüros des globalen Südens wurden 2020 die internationalen Mitarbeiter*innen abgezogen und in ihre Heimatzentralen in Europa und Nordamerika zurückbeordert. Die betroffenen Entwicklungsprogramme kamen dadurch jedoch nicht unbedingt ins Stocken. In einigen Fällen ist sogar das Gegenteil zu beobachten. So zeigt eine gemeinsame Studie internationaler Nichtregierungsorganisationen und der australischen La Trobe University, dass der Rückzug internationaler Mitarbeiter*innen aus Programmen in Ozeanien den Entscheidungsspielraum für lokale Akteure erheblich erweitert hat. Die Vorteile einer solchen Lokalisierung der Entwicklungszusammenarbeit sollten in der Diskussion um zukünftige Ansätze der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden.

Der öffentliche Fokus liegt derzeit vor allem auf der Not und den wirtschaftlichen Schäden, die die COVID-19-Pandemie verursacht. So werden die Entwicklungserfolge vieler Länder des globalen Südens sowie der Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten zunichte gemacht. Auch die global vereinbarten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sind kaum noch im vorgesehenen Zeitplan zu erreichen. Trotz alledem kann die Entwicklungszusammenarbeit von den lokalen Reaktionen auf die Pandemie auch lernen. Die oben genannte Studie ist dafür ein gutes Beispiel. Sie zeigt, dass infolge des Rückzugs internationaler Mitarbeiter*innen aus Entwicklungsprogrammen lokale Expertise und Netzwerke stärker genutzt wurden, die Zusammenarbeit zwischen lokalen Akteuren zunahm, Hierarchien abgebaut wurden und die Entscheidungsfindung insgesamt dezentralisiert wurde. Über die lokalen Mitarbeiter*innen der Entwicklungsorganisationen und ihre Partnerorganisationen hinaus konnten auch Akteur*innen auf nationaler Ebene die Prioritäten wieder stärker mitbestimmen, da sie die Agenda nicht wie zuvor von internationalen Expert*innen dominiert sahen. Gemäß dieser Bestandsaufnahme haben die veränderten Rahmenbedingungen in der Pandemie, die in der Entwicklungszusammenarbeit oft schwer zu erreichende Ownership, also die nationale und lokale Verantwortung und das Engagement für Entwicklungsmaßnahmen, indirekt gestärkt.

Die Diskussion um die Vorteile dieser Lokalisierung, die in der Entwicklungszusammenarbeit meist unter dem Stichwort „Partizipation“ geführt wird, wurde in den vergangenen Jahren vor allem in der Nothilfe geführt. „Lokalisierung“ meint die stärkere Übergabe von Entscheidungsgewalt und Ressourcen von internationalen Organisationen an lokale Akteure. Eine Untersuchung von Nothilfeprojekten über einen Zeitraum von drei Jahren bestätigt, dass diese durch stärkere Lokalisierung durchaus bessere Ergebnisse erzielten. So waren lokal angeleitete Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen in Grenzregionen in Myanmar und Tunesien beispielsweise deutlich besser darin, informelle Ressourcen der Menschen wie Verwandtschafts- und Bekanntschaftsnetzwerke einzubeziehen als internationale Initiativen. Die Untersuchung zeigt darüber hinaus auf, dass viele mit einer stärkeren Lokalisierung verbundene Befürchtungen unbegründet waren und dass der wesentliche Hinderungsgrund für eine stärkere Lokalisierung die Weigerung internationaler Organisationen war, Macht abzugeben. Auch in der Entwicklungsforschung setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass eine zu starke Steuerung durch Entwicklungsorganisationen das Entstehen von Ownership verhindern und die Wirksamkeit von Projekten reduzieren kann. Daher sind neue Ansätze notwendig, die lokale Entscheidungen, das Einfließen lokaler Expertise sowie die Entwicklung lokal angepasster Lösungswege stärker ermöglichen und fördern.

Ein Ansatz, der sich in der Lokalisierung der Entwicklungszusammenarbeit bereits bewährt hat, ist Problem Driven Iterative Adaptation (PDIA; problemgeleitete schrittweise Anpassung). Dieser Ansatz basiert auf der Analyse fehlgeschlagener Entwicklungsprojekte am Harvard Center for International Development. Lokale Partner wie Ministerien werden dabei nachfrageorientiert angeleitet, eigenständig Entwicklungsprobleme zu analysieren und auf Basis ihrer lokalen Expertise Lösungsstrategien zu entwickeln, die auf den jeweiligen Kontext zugeschnitten sind. Die lokalen Partner sind in diesem Prozess auch verantwortlich für die Umsetzung der vereinbarten Lösungsschritte. In wiederkehrenden Treffen tauschen sie sich über Fortschritte und Fehlschläge aus und passen die Vorgehensweise entsprechend an. Dabei lernen sie nicht nur mehr über konkrete Reformen, sondern entwickeln auch eine grundsätzliche Problemlösungskompetenz, die sie zukünftig eigenständig anwenden können. Somit ist PDIA ein möglicher Ansatz, um die Lokalisierung der Entwicklungszusammenarbeit, deren Vorteile durch die Pandemie deutlich geworden sind, stärker zu institutionalisieren. Dadurch könnte Entwicklungszusammenarbeit künftig nicht nur wirklich partizipativer, sondern möglicherweise auch wirksamer und nachhaltiger werden.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Michael Roll, 03.05.2021