GIZ: akzente | Die Welt gesund ernähren

Millionen Menschen gehen Abend für Abend hungrig zu Bett. Das müsste nicht sein, die Welt könnte alle ernähren. Die afrikanische Wissenschaftlerin Jemimah Njuki erklärt im Magazin akzente der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), was nötig ist, um diesen Zustand zu ändern, und warum Frauen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Im September dieses Jahres trifft sich die Welt zum ersten UN-Gipfel zu Ernährungssystemen. Und dieses Treffen wird unter anderem zeigen, dass unser Ernährungssystem kaputt ist und repariert werden muss! Ungerecht, nicht nachhaltig und unfähig, die Welt zu ernähren – diese Worte beschreiben den aktuellen Zustand unserer Ernährungssysteme ziemlich gut. Der Gipfel soll mit Lösungen und Verpflichtungen der Teilnehmenden aufwarten, um dafür zu sorgen, dass wir allen Menschen eine gesunde Ernährung und eine angemessene Existenzgrundlage bieten können.

Im Augenblick ist das nicht der Fall. Tatsächlich leben wir in Parallelwelten – zu viele hungern, während immer mehr an Übergewicht leiden. Zwei Milliarden Menschen, beinahe 26 Prozent der Weltbevölkerung, haben im Jahr 2019 Hunger gelitten oder regelmäßig nicht genug und zu wenig nahrhaftes Essen bekommen; 690 Millionen Menschen sind unterernährt. In absoluten Zahlen leben die meisten dieser Unterversorgten zwar in Asien, doch die Prognosen sehen für das Jahr 2030 den größten Anteil unterernährter Menschen in Afrika voraus. Gleichzeitig geht weltweit etwa ein Drittel aller Lebensmittel zwischen Acker und Teller durch Verlust oder Verschwendung verloren.

Mehr Macht für Frauen

Dass dieses System nicht funktioniert, hat viele Gründe. Fehlende Geschlechtergerechtigkeit ist einer davon. Frauen haben ein um 13 Prozent höheres Risiko mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit als Männer. Eine weitere große Herausforderung ist der Zugang zu gesunder Nahrung, die eine ausreichende Versorgung mit Kalorien und Nährstoffen sowie Lebensmittel aus unterschiedlichen Nahrungsgruppen bietet. Eine solche Ernährung kostet im Durchschnitt fünf Mal so viel wie Essen, das nur genügend Kalorien liefert. Allein rund 965 Millionen der 1,3 Milliarden Afrikanerinnen und Afrikaner können sich eine gesunde Ernährung nicht leisten.

Ironischerweise hungern am meisten diejenigen, die unsere Nahrung produzieren. Weltweit gibt es 500 Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen. Sie erzeugen etwa 80 Prozent der Lebensmittel für Asien und Subsahara-Afrika. Frauen stellen 43 Prozent der Arbeitskräfte in diesen kleinen landwirtschaftlichen Betrieben. Trotz ihres enorm wichtigen Beitrags leiden Kleinbäuerinnen, -bauern und Landarbeitende oft unter Mangelernährung und haben keinen Zugang zu gesunden Lebensmitteln. Sie hungern buchstäblich neben ihren Feldern.

Außerdem gibt es Grund zur Sorge über die wachsende Ungerechtigkeit im weltweiten Ernährungssystem. Kleine Kakaobäuerinnen und -bauern in Côte d’Ivoire sind zum Beispiel heute ärmer als in den 1970er oder 1980er Jahren, obwohl die Schokoladenindustrie jährlich mindestens 40 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Kleinbäuerliche Betriebe bekommen nur etwa sechs Prozent des Branchenumsatzes, obwohl sie einen Großteil der Ernten produzieren.

Schädlich für das Klima

Das derzeitige Ernährungssystem läuft auch dem Umwelt- und Klimaschutz zuwider. Tatsächlich trägt die Landwirtschaft zehn bis 14 Prozent zu den menschengemachten Treibhausgasemissionen bei. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt die sozialen Kosten der Emissionen, die auf unsere derzeitigen Ernährungsgewohnheiten zurückzuführen sind, auf unglaubliche 1,7 Billionen US-Dollar pro Jahr bis 2030.

Aber das ist noch nicht alles: Dieses beschädigte System ist zusätzlich durch die Corona-Pandemie belastet, die sowohl das Angebot als auch die Nachfrage weltweit nachhaltig erschüttert hat. Auf Angebotsseite verschlechtern abgeschnittene Vertriebswege zwischen und innerhalb von Ländern, die Schließung von Märkten und der Mangel an Arbeitskräften den Zugang zu Nahrungsmitteln. Auf der Nachfrageseite verringern Arbeitsplatzverluste sowie zunehmende häusliche Pflege- und Sorgearbeit vor allem für Frauen (zum Beispiel durch Homeschooling) die Kaufkraft der Menschen.

Wir erleben also eine schwere Krise, die nicht erst durch Covid-19 entstanden ist, aber dadurch noch verschlimmert wurde. Doch was kann helfen? Was muss wirklich getan werden, um den Hunger und andere Formen der Mangelernährung zu beenden und gleichzeitig das System so zu verändern, dass es allen Menschen auf nachhaltige Weise erschwingliche und gesunde Ernährung bietet?

Auf dem Minimum bestehen

Eine Studie namens „Ceres2030“ zeigt, dass Veränderungen in der Landwirtschaft nur funktionieren können, wenn einige grundlegende Minimalanforderungen erfüllt werden: Die Produzierenden müssen über ein Mindesteinkommen und eine gewisse Mindestbildung verfügen; sie brauchen Zugang zu Netzwerken und Beratungsdiensten sowie eine stabile Infrastruktur einschließlich verbesserter Märkte und Straßen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoller, vielfältige Maßnahmen zu ergreifen, als mit isolierten Eingriffen Einzelziele zu verfolgen. Das bedeutet zum Beispiel, die Existenzgrundlage der Bäuerinnen und Bauern zu verbessern, indem man Feldfrüchte fördert, die von den Verbrauchern verlangt werden und zugleich resistenter gegen Klimaeinflüsse und Schädlinge sind, während man gleichzeitig Zugänge zu Märkten erleichtert. In Kenia gibt es zum Beispiel eine steigende Nachfrage nach Sorghumhirse, nicht zuletzt durch Brauereien. Sorghum ist nährstoffreicher als Mais und außerdem klimaresistenter. Dennoch wird es im Land nur wenig angebaut.

Untersuchungen zeigen auch, dass die Mitgliedschaft in Landwirtschaftsverbänden das bäuerliche Einkommen erhöht. Bei einem Vergleich von Daten aus 24 Ländern, größtenteils in Afrika, waren solche Mitgliedschaften in 57 Prozent der untersuchten Fälle mit positiven Einkommensentwicklungen verbunden. Aber sie müssen mit wichtigen Serviceleistungen wie Beratungsdiensten einhergehen, die auf die Bedürfnisse verschiedener Landwirte, Frauen inklusive, abgestimmt sind. Dazu sollten auch Marktanalysen wie Preisprognosen sowie Wettervorhersagen gehören – alles, was den Umgang mit Produktionsrisiken erleichtert. Und ganz wichtig: Solche Dienstleistungen müssen für die Produzierenden erschwinglich sein.

Allerdings sollten die Veränderungen und Investitionen, die im Ernährungssystem notwendig sind, über die Landwirtschaft hinausgehen. Einer von der FAO in Auftrag gegebenen Studie zufolge geht etwa ein Drittel (oder 1,3 Milliarden Tonnen) aller Lebensmittel jährlich verloren oder wird verschwendet. Es gibt klare Hinweise, dass bessere Lagerung, wie die Verwendung luftdichter Säcke oder Behälter, den Verlust nach der Ernte bei Getreide und Hülsenfrüchten deutlich reduzieren könnte. Andere Techniken können die Schäden bei Obst und Gemüse mindern, vor allem lokale Weiterverarbeitung, vorsichtigere Behandlung, verbesserte Verpackung, sorgfältigere Wahl der Erntezeit und Kühllagerung.

Die Verwendung von Plastikkisten, von gepolsterten oder von kleineren Behältern bei Verpackung und Transport von Tomaten, Guaven und Kohl könnte die Schäden um 30 bis 60 Prozent vermindern, wie Untersuchungen gezeigt haben. Solche technologischen Verbesserungen müssen Hand in Hand gehen mit dem Aufbau lokaler Ernährungssysteme, die den Weg von den Produzierenden zu den Verbrauchenden verkürzen, zum Beispiel durch den Bau von Märkten und verarbeitender Industrie in der Nähe der Anbaugebiete.

Sozialtransfer zu den ländlichen Armen

Auch soziale Schutzmaßnahmen sind von entscheidender Bedeutung, weil sie die Kaufkraft gefährdeter Bevölkerungsschichten erhöhen. Dann können sie sich eher gesundes Essen leisten. Soziale Absicherung in Form von direkten Finanzhilfen, Lebensmittelmarken oder Gutscheinen für von Hunger betroffene Menschen sind Beispiele für Schritte in diese Richtung.

Im globalen Süden sind kleine und mittlere Betriebe sehr verbreitet und spielen eine entscheidende Rolle im Ernährungssystem. Es wird zwar in Bezug auf Entwicklungsländer oft vom „fehlenden Mittelstand“ gesprochen, doch der ist durchaus vorhanden, besonders aktiv und dynamisch in der Lebensmittelindustrie. Und darin steckt ein noch größeres Potenzial: Millionen Arbeitskräfte werden für den Transport oder die Weiterverarbeitung benötigt und dabei lässt sich die arme Bevölkerung vom Land gut einbeziehen.

In Afrika und Südasien bilden mittelständische Unternehmen bereits einen beträchtlichen Teil des Agrar- und Ernährungssektors, von 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Ländern wie Ruanda bis hin zu 60 Prozent in Schwellenländern mittleren Einkommens wie Ägypten oder Indonesien. Und in Afrika werden bis zu 64 Prozent der heimischen Lebensmittelversorgung vor allem von kleinen und mittleren Betrieben geleistet.

Wichtig für die Ernährung der Welt ist auch Geschlechtergerechtigkeit – einerseits aus Sicht der Menschenrechte, denn Frauen haben den gleichen Anspruch auf angemessene Ernährung wie Männer. Und zweitens, weil sich das System nur reparieren lässt, wenn die Rolle der Frau in der Landwirtschaft gestärkt wird, weil Frauen die Produktion bei gleichen Rechten entscheidend steigern können. Die Zukunft muss also gerecht und gleichberechtigt sein.

Gemeinden, Haushalte und Einzelpersonen müssen genug Nahrung für die eigene Bevölkerung umweltfreundlich produzieren und zugleich am lokalen, regionalen und globalen Lebensmittelhandel teilhaben können. Handelsverträge wie das neue Afrikanische Freihandelsabkommen beinhalten eine geschlechtsspezifische Zielsetzung, die auf die volle, gleichberechtigte und sinnvolle Teilhabe von Frauen am integrierten kontinentalen Markt hinarbeitet. Das ist ein ermutigendes Signal für den Kampf gegen den Hunger.

Gleiche Bezahlung und Zugang zu Finanzdienstleistungen
Entscheidend ist auch, Frauen das Recht auf Grundbesitz zu garantieren, die Finanzsysteme so umzubauen (über die Vergabe von Mikrokrediten hinaus), dass sie auch Kleinbäuerinnen, Kleinunternehmerinnen und anderen Akteurinnen im Ernährungssystem dienen. Für Lohnarbeiterinnen in der Lebensmittelindustrie braucht es Gleichstellungsstandards, das Recht auf Würde am Arbeitsplatz und gleiche Bezahlung, gepaart mit Überwachungs- und Sanktionierungsmechanismen. In den USA haben Frauen in der lebensmittelverarbeitenden Industrie im Jahr 2019 nur 74 Cent für die Arbeit bekommen, die Männern mit einem US-Dollar vergütet wurde. In den meisten Ländern ist die Lage ähnlich. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch kontraproduktiv.

Das Machtgefälle im Ernährungssystem, vor allem zwischen global agierenden Unternehmen und den lokalen Produzierenden, muss ausgeglichen werden, so dass mehr Wertschöpfung bei denen verbleibt, die den größten Teil der Arbeit leisten, um die Welt zu ernähren. Das kann durch faire Bezahlung von Kleinbäuerinnen und -bauern geschehen sowie durch offene und transparente Handelssysteme zwischen Ländern und verschiedenen Marktteilnehmern.

Auch Konsumentinnen und Konsumenten können eine große Rolle spielen. Die Ernährungssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verändern sich derzeit rasend schnell von traditionell zu modern. Das trifft zum Beispiel auf die meisten afrikanischen Länder zu. Bei diesem Wandel sind Lebensmittelinformationen und Bildungskampagnen zu gesunder Ernährung von entscheidender Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kampagne „Wir sind, was wir essen“ in Tansania, die auf verschiedenen Kommunikationskanälen die Bevölkerung zu gesundem Essen zu motivieren versucht. Genauso wichtig ist die Rolle von Ernährungsempfehlungen. Gefördert durch das Programm „Landwirtschaft zur Ernährung“ der Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR) hat etwa Äthiopien zum ersten Mal überhaupt Ernährungsrichtlinien herausgegeben. Sie enthalten konkrete Empfehlungen zu Nahrungsmitteln und Lebensmittelgruppen, die regelmäßig verzehrt werden sollten, um die Gesundheit zu erhalten und chronische Krankheiten zu vermeiden.

Mehr Geld investieren

Und nicht zuletzt braucht der Kampf gegen den Hunger größere Investitionen. Der „Ceres2030“-Bericht empfiehlt im Durchschnitt zusätzliche 14 Milliarden US-Dollar jährlich, um den Hunger bis 2030 zu beenden und die Einkommen von Kleinproduzierenden in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verdoppeln. Das erscheint vor allem im Vergleich zu den Billionenprofiten der Lebensmittelindustrie eine bescheidene Summe.

Es ist mehr als offensichtlich, dass die Art, wie wir derzeit Nahrung produzieren und konsumieren, weder der Weltbevölkerung noch der Umwelt dient. Es braucht dringend Veränderung. Aber die gute Nachricht lautet: Wandel ist möglich. Wir haben die Mittel und Kenntnisse, das jetzige dysfunktionale Ernährungssystem umzuformen. Gehen wir es an. In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts sollten Hunger und Mangelernährung ein für alle Mal besiegt werden, denn sie sind der größte vermeidbare Skandal unserer Zeit. Der Ernährungsgipfel im September bietet die beste Gelegenheit dazu, die Dinge endlich ins Rollen zu bringen.

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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), akzente 1/21, 29.03.2021