DIE | Das Meer als Rettungsanker für die Zukunft des Planeten

Der 11. UN-Welttag der Ozeane am 8. Juni erinnert uns daran, dass ein nachhaltiger Umgang mit dem Meer und seinen Ressourcen zu den großen globalen Herausforderungen zählt. Die Agenda 2030 verankert die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Meere explizit im Ziel 14. Die bevorstehende UN-Dekade der Ozeanforschung von 2021-2030 befasst sich mit dem Meer als globalem Gemeingut. Zurecht rückt das Meer zunehmend in den Fokus der nachhaltigen Entwicklung, erfüllt es doch eine Reihe von unverzichtbaren Rollen.

Das Meer dient als Transport-, Interaktions- und Kooperationsfläche sowie als Lieferant biologischer und mineralischer Rohstoffe. Wie diese Ressourcen aufgeteilt und wie das Meer als globales Gemeingut verwaltet werden soll, wird multilateral erst seit Ende der 1950er Jahre im Rahmen des UN-Systems reflektiert. Das Prinzip des ‚Gemeinsamen Erbes der Menschheit‘, das für einen nachhaltigen und international verhandelten Umgang Sorge tragen soll, ist im Seerechtsabkommen von 1982 völkerrechtlich verankert. Doch der Vertrag bezieht sich ausschließlich auf den Meeresboden und seine mineralischen Ressourcen jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Der Überfischung oder dem Unterwasser-Bergbau in Schelfregionen wird hierdurch keine Grenze gesetzt.

Unser Weltmeer ist globaler Klimaregulator, ein Ort für Biodiversität und zentrale Proteinquelle für menschliche Ernährung. Es bindet Kohlenstoff in großen Mengen und produziert etwa die Hälfte des in der Atmosphäre enthaltenen Sauerstoffs. Fischerei und marine Aquakulturen stellen, laut Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), Grundlage der Lebens- und Einkommenssicherungssysteme von etwa zwölf Prozent der Weltbevölkerung dar. Gerade in vielen Entwicklungsländern dienen Fisch und Meeresfrüchte als wesentliche Proteinquellen.

Gleichzeitig leidet das Meer zunehmend unter den Abflüssen, die vom Land ins Meer gespült werden. Überdüngung und Versauerung gehen einher mit globaler Erwärmung und führen in den Weltmeeren zu sich ausbreitenden sauerstoffarmen Zonen – sogenannten ‚Todeszonen‘, etwa im Golf von Oman. Gerade in den fischreichen Schelf- und Küstengebieten der Tropen und Subtropen sind die Folgen für lokale Systeme der Lebenssicherung sowie den Küstenschutz stark spürbar. Der Rückgang von Fischbeständen und anderen Meeresfrüchten geht einher mit Küstenerosion, die durch Sandabbau und Unterwasser-Bergbau, sowie Meeresspiegelveränderung verstärkt werden.

Die sozialwissenschaftliche Entwicklungsforschung, die deutsche und europäische Entwicklungspolitik und internationale Zusammenarbeit nehmen sich dieser Herausforderungen bisher zu wenig an. Die strategische Relevanz des Meeres und seiner Ressourcen als Gegenstand geopolitischer Machtverhältnisse und Aushandlungsprozesse, zum Beispiel bei der Internationalen Meeresbodenbehörde, wird unterschätzt. Soziale Ungleichheit und eine global wie sektoral sehr unterschiedlich verteilte Verhandlungsmacht tragen dazu bei, dass EU-Fischereiabkommen zu Lasten von Einkommen und Ernährung sozial schwacher Gruppen in Entwicklungsländern gehen. Für das lokale und das globale Gemeinwohl ist es daher fundamental, solche Verhandlungen empirisch solide wissenschaftlich zu begleiten. Entwicklungspolitik und -forschung müssen die laufenden Prozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Vermessung und Aufteilung des Ozeans ernst nehmen, sich ihrer unmittelbaren lokalen und globalen Auswirkungen annehmen und Maßnahmen in folgenden Bereichen treffen.

Zum Ernährungssystem der Zukunft: Die seit Jahrzehnten zunehmende Konkurrenz zwischen Klein-, Küsten- und Industriefischerei führt zu massiven Verarmungsprozessen in der Arbeitsplatz-intensiven Kleinfischerei, zur Überfischung und ökologischem Raubbau durch Industriefangflotten. Regionale Produktions- und Lieferketten brechen in Teilen Westafrikas, Lateinamerikas und Südostasiens zusammen. Die sozialen Auswirkungen sind nach Geschlecht, Altersgruppen und Ethnie unterschiedlich verteilt, der Übergang in den offenen Arbeitsmarkt aufgrund mangelnder Schulbildung selten möglich. Hier müssen die Risikokaskaden in regionalen Lieferketten erforscht und Maßnahmen, etwa zur Stärkung der Kleinfischerei, wissenschaftlich begleitet werden. In diesem Jahr verhandelt die EU ihr vom Finanzvolumen her größtes Fischereiabkommen mit Mauretanien neu, diese Aushandlung gilt es evidenzgestützt zu beraten.

Zum Umgang mit Küstenveränderungen: Wir benötigen Ansätze, die soziale Ungleichheiten und lokale Machtverhältnisse bedenken und gezielt Klima- und Küstenschutz verbinden. Diese reichen von Ökosystem-basierten Ansätzen mariner Raumplanung (inklusive Meeresschutzgebiete) und Anpassung an Meeresspiegelanstieg bis hin zur Teilhabe am globalen Emissionshandel mittels Kohlendioxid konsumierender Mangrovenwälder.

Wissen & Wissenskooperationen für nachhaltige Ocean Governance: Die Verhandlungsmacht von Meeresanrainerstaaten muss bei regionalen und multilateralen Blue-Economy-Debatten zum Schutz der Ökosysteme und zur Schaffung von Arbeitsplätzen gestärkt werden. Dafür müssen regionale Netzwerke zwischen Politik und Wissenschaft aufgebaut und gepflegt, lokale Wissenschaftssysteme im Bereich Ocean Governance unterstützt und Meeres-bezogene Wissenscommunities mit bestehenden Netzwerken der Forschung und Politikberatung im Bereich der Nachhaltigkeits-, Klima- und Entwicklungsforschung) gezielt vernetzt werden.

Richten wir den globalen Blick wieder mehr auf das Meer: für eine gemeinsame und nachhaltige Zukunft unseres Planeten!

Mehr Informationen

Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, 08.06.2020