BfN: Internationale Tagung zum Insektenrueckgang – Starke Rueckgaenge in untersuchten Insektengruppen

Bereits 2017 hatte eine Publikation zu den langjährigen Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld (EVK) zum Insektenrückgang für Aufsehen gesorgt. Am 7. und 8. November stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun einem internationalen Fachpublikum in Bonn erste artbezogene Auswertungen vor und diskutieren über die Ursachen und Ausmaße der dramatischen Entwicklungen.

Starke Rückgänge sind demzufolge in allen bislang untersuchten Insektengruppen der Hautflügler, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge in Schutzgebieten zu verzeichnen. Eingeladen haben das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und der Entomologische Verein Krefeld (EVK). Die Tagung im Zoologischen Forschungsmuseum Koenig–Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere(ZFMK) ist Bestandteil eines Forschungsvorhabens, das vom BfN mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert und begleitet wird, um die Insektenrückgänge und deren Ursachen umfassender zu analysieren.

Bereits seit drei Jahrzenten sammeln die Krefelder Entomologen Insekten nach einer standardisierten wissenschaftlichen Methode und bewahren alle Proben auf. Auf diesen Untersuchungen basiert bereits die erschreckende Botschaft der ersten Publikation zu diesem Datensatz im Wissenschaftsmagazin PLoS ONE  (Hallmann, Sorg et al. 2017): Im Zeitraum von 27 Jahren sind die Biomassen der Insekten um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen. Das Besondere daran: Erstmals wurden diese enormen Rückgänge für überwiegend Naturschutzgebiete und Natura 2000-Flächen quantitativ belegt. Im laufenden Projekt des EVK werden diese Daten seit 2016 neben einer Ermittlung der Biomassen der Insekten auch artbezogen ausgewertet. Außerdem werden im laufenden Projekt zahlreiche Probestellen erneut untersucht, Zeitreihen ergänzt und Hintergrunddaten recherchiert.

„Die einwandfrei erfasste und sorgfältig gepflegte Probensammlung des EVK ist von unschätzbarem Wert. Damit dieser bundesweit einzigartige Datenschatz sukzessive tiefer analysiert und ergänzt werden kann, haben wir 2016 das Forschungsprojekt ‚Biodiversitätsverluste in FFH-Lebensraumtypen des Offenlandes‘ an den Krefelder Entomologischen Verein vergeben“, sagt BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel. „Die Tagung und die Ergebnisse dieses laufenden Vorhabens werden dabei helfen, dem Verlust der Biodiversität gezielter entgegenzuwirken und Natura 2000-Gebiete und andere Kernflächen des Naturschutzes besser zu sichern.

Erkenntnisse aus den Studien können auch in die Entwicklung eines bundesweiten Insektenmonitorings mit einfließen.“ Vor dem Hintergrund des Insektenrückgangs, den die Roten Listen Deutschlands für die Vielfalt der Insektenarten über längere Zeiträume bundesweit belegen, betont die

BfN-Präsidentin: „Wenn selbst Naturschutzgebiete und europäische Natura 2000-Flächen nicht mehr in der Lage sind, als Rückzugsräume die Defizite der Artenvielfalt in der ‚normalen‘ Landschaft auszugleichen, ist eine dringende Umsteuerung in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik geboten.“

Die ersten Ergebnisse der artspezifischen Analysen zeigen ein differenziertes Bild, berichtet Dr. Martin Sorg, Vorstandsmitglied des Entomologischen Vereins Krefeld: „Früher schon seltene Arten sind teilweise noch vorhanden, teilweise fehlen Nachweise in den neueren Proben ganz. Häufige Arten sind meist noch nachweisbar, allerdings überwiegend in deutlich geringeren Anzahlen. Diese Daten sprechen in Fallbeispielen für eine Zunahme der regionalen Bestandsgefährdung bestimmter Arten. Außerdem zeigt sich, dass die Rückgänge nicht überall gleich hoch sind. Betrachtet man verschiedene Biotope und Situationen in der Landschaft zeichnet sich ein differenziertes Bild ab. In ersten Fallbeispielen zu Standorten, die beispielsweise durch Wald abgeschirmt sind oder aufgrund der Geländesituation begünstigt sind, sind die Abnahmen bei den Insekten von Biomassen, den Individuenzahlen vieler Arten sowie der Artenzahlen geringer bis deutlich geringer.“

Durch die detailliertere Auswertung und Vervollständigung der Daten im weiteren Verlauf des Projektes sind auch Aussagen zu den Veränderungen verschiedener Ökosystemleistungen, etwa den Bestäubungsleistungen einzelner Arten, zu erwarten. Sorg weiter: „Wichtig ist, das wir hier erstmals zu einer umfangreicheren Übersicht zur Bewertung der Entwicklungen über eine Auswahl von Standorten kommen. Dies lässt natürlich keine direkten Schlüsse auf das zu, was in völlig anderen Lebensraumtypen oder anderen Faunenregionen passiert. Im Projekt werden vor allem Offenlandbiotope und keine Waldstandorte ausgewertet, der Probenschwerpunkt liegt im Norddeutschen Tiefland. Die Zahl der bisher vollständig ausgewerteten Proben ist außerdem noch zu gering.“

Das ZFMK bietet den optimalen Rahmen, um erste Ergebnisse und Auswertungen zu bestimmten Artengruppen und einzelnen Arten vorzustellen und zu diskutieren. „Auch das ZFMK greift auf Proben des Entomologischen Vereins Krefeld zu. Die technischen Möglichkeiten zur Probenauswertung haben sich deutlich verbessert. Über moderne genetische Methoden des ‚Next Generation sequencing‘ werden zum Beispiel Auswertungen von Mischproben ständig verfeinert, so dass auch von wissenschaftlicher Seite neue umfangreiche Beiträge zur Auswertung und Analyse der Insektenrückgänge zu erwarten sind“, sagt der Direktor des ZFMK Prof. Dr. Wolfgang Wägele.

Die im Archiv der Entomologischen Sammlungen in Krefeld bewahrten Proben stehen auch nach Jahrzehnten für weitere Auswertungen bereit. Das Forschungsvorhaben des EVK wird von 2016 bis 2021 durch das BfN mit Mitteln des BMU in Höhe von 358.000 Euro gefördert. Hinzu kommen Eigenmittel des Vereins in Höhe von 72.288 Euro sowie das jahrelange En-gagement zahlreicher Ehrenamtlicher.

Hintergrund

Von den ca. 48.000 Tierarten in Deutschland zählen mehr als 33.000 Arten – rund 70 Prozent – zu den Insekten. In allen vier artenreichen Gruppen der Hautflügler, Fliegen, Mücken und Käfer werden im Projekt derzeit umfangreiche Auswertungen zu den Insektenrückgängen durchgeführt. Die Tagung findet im Rahmen des laufenden Forschungs- und Entwicklungsvorhabens mit dem Entomologischen Verein Krefeld mit dem Titel „Biodiversitätsverluste in FFH-Lebensraumtypen des Offenlandes“ statt. Das Vorhaben hat eine Laufzeit von Mai 2016 bis Mai 2021 und wird durch das BfN mit Mitteln des BMU in Höhe von 358.000 Euro gefördert. Hinzu kommen Eigenmittel des Vereins in Höhe von 72.288 Euro.

In den Jahren 1989 bis 2016 wurden in 63 deutschen Schutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg flugfähige Insekten über ein normiertes Verfahren mittels Malaisefallen gefangen und anschließend die Biomasse (Gesamtfang) standardisiert ermittelt. Das Projekt analysiert  neben den Daten zur Insektenbiomasse (also der Gesamtmenge der Insekten)  erstmals auch auf Artniveau bestimmte Insektengruppen sowohl in historischen als auch in aktuell erhobenen Proben. Außerdem werden zahlreiche Probestellen erneut untersucht und Zeitreihen ergänzt. Die Untersuchungen erfolgen in Naturschutzgebieten und in Gebieten, die nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt sind. Erkenntnisse aus dem laufenden Projekt sollen bessere Aussagen über die grundsätzliche Ausrichtung möglicher zusätzlicher Schutz- und Kompensationsmaßnahmen erlauben, etwa Maßnahmen zur Sicherung der Biodiversität in Schutzgebieten sowie zum Schutz bestimmter Arten, und auch die potenziellen Ursachen des Rückgangs von charakteristischen Arten in FFH-Lebensraumtypen beleuchten. Nur so kann der Verschlechterung des Erhaltungszustandes im Sinne der FFH-Richtlinie entgegengewirkt werden.

Artenbezogene Auswertungen ermöglichen über die Lebensweisen und Eigenschaften der Arten auch Aussagen über Ökosystemleistungen und deren Veränderungen, sowie auch vertiefende Analysen zu den Ursachen des Insektenrückgangs.

Auch ein Leitfaden zur Verwendung der „Malaisefallen“-Methodik zum Erheben von Daten zu Insektenbeständen wurde bereits im Rahmen des Projektes verfasst und veröffentlicht. Die Publikation beleuchtet u.a. Einsatzbereiche von Malaisefallen, zu erfassbaren Artenspektren, den Potenzialen in der Auswertung und Kosten. Sie gibt praktische Hinweise zu einer standardisierten Erfassungsmethodik und vermittelt damit einen wichtigen Baustein für den künftigen Aufbau eines bundesweiten Insektenmonitorings.

Weitere Informationen:

Bundesamt für Naturschutz, Bonn:

Entomologischer Verein Krefeld e.V.:

Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig Bonn (ZFMK):

Quelle: Pressemitteilung Bundesamt für Naturschutz, 07.11.2018