Stadt Bonn: Den Geflüchteten eine Stimme geben – Bonner Pilotprojekt der Otto-Benecke-Stiftung

Geflüchtete zu mehr Mitbestimmung und Eigenverantwortung zu ermutigen – das ist das Ziel eines bisher deutschlandweit einzigartigen Projektes der Otto-Benecke-Stiftung (OBS), das jetzt in Bonn vorgestellt wurde.

Mit Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und mit Förderung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen geht es kommende Woche an den Start. Ziel ist es, politische Bildung zu vermitteln und die gesellschaftliche Partizipation der Geflüchteten zu stärken, unabhängig vom dauerhaften Verbleib der Betroffenen in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften oder in Deutschland.

Wie Dr. Lothar Theodor Lemper, Geschäftsführender Vorsitzender der OBS, mitteilte, verfolgt das Modellprojekt das Ziel, die Entwicklung von demokratischen Mitbestimmungs- und Partizipationsmöglichkeiten Geflüchteter zu fördern, indem Möglichkeiten der aktiven Teilnahme an demokratischen Prozessen entwickelt werden.

Kommunikation, Beteiligungsgremien, Mitbestimmung in Kitas und Schulen

In der ersten Phase organisieren, begleiten und beraten die Projektmitarbeiter die neu gebildeten Beteiligungsgremien in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften. Dazu werden zunächst Infoveranstaltungen durchgeführt, die Teilnehmer der Wohnheimvertretungen durch zusätzliche Angebote und Workshops begleitend unterstützt und weitergebildet. Lemper: “Wir beginnen zunächst mit vier Unterbringungseinrichtungen und werden basierend auf den Erfahrungen im weiteren Jahresverlauf auch in die anderen Einrichtungen gehen. Zugleich sollen eigeninitiativ Kommunikationsmedien zur Vernetzung der in Bonn lebenden Geflüchteten geschaffen werden.” Auch die Teilnahme an den Mitbestimmungsgremien für Eltern in Kindertagesstätten und Schulen wird unterstützt. Langfristig könnte sich ein “Rat der Geflüchteten” für das gesamte Stadtgebiet herausbilden. Das Projekt hat einen Gesamtumfang von 310.000 Euro.

Bundesfamilienministerium fördert mit 280.000 Euro

Staatssekretär Dr. Ralf Kleindiek, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dessen Haus das Projekt mit 280.000 Euro fördert, sagte: “Demokratie macht stark. Deshalb ist es besonders wichtig, die Chancen zu kennen, die unsere offene Gesellschaft und unsere Demokratie bieten. Aktive Teilhabe und Beteiligung sind hierbei von entscheidender Bedeutung. Genau darum geht es im Modellprojekt ‘Mitbestimmung und Eigenverantwortung von Geflüchteten’. Die hier erprobte politische und soziale Partizipation von Geflüchteten kann deshalb auch Vorbildcharakter für Kommunen im ganzen Bundesgebiet haben.”

Zugehörigkeitsgefühl und Eigenverantwortung stärken

Der nordrhein-westfälische Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Dr. Joachim Stamp, unterstrich: “Partizipation und Teilhabe sind Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Diese elementaren Werte unserer freiheitlichen Grundordnung zu kennen und zu verstehen, ist ein wichtiger Baustein für eine gelingende Integration. Das Projekt eröffnet die Chance, das Zugehörigkeitsgefühl von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft sowie ihre Eigenverantwortung zu stärken.”

Initiative des Runden Tisches Flüchtlingshilfe Bad Godesberg

Ausgangspunkt für das Projekt “Mitbestimmung und Eigenverantwortung von Geflüchteten” war die Überlegung, die Struktur des ehrenamtlichen Angebots für Geflüchtete neu auszurichten und die Menschen bei der Frage, welche Hilfestellung sie benötigen, stärker einzubinden. Der Gedanke entstand am Runden Tisch Flüchtlingshilfe Bad Godesberg. Initiator Dr. Wolfgang Picken, leitender Pfarrer im Seelsorgebezirk Bonn-Bad Godesberg, sagte: “Für mich ist nicht nachvollziehbar, das in der Flüchtlingshilfe und im Asylwesen keine Form der gesetzlichen Mitbestimmung vorgesehen ist. Menschen mit gleicher Würde müssen in die Lage versetzt werden, zumal in Flüchtlingswohnheimen, selber Akteure ihrer Alltagsgestaltung zu sein.

Besonders auch weil wir Demokratiedefizite bei vielen Flüchtlingen feststellen, dürfte es in unserem Land hier keinen demokratiefreien Raum geben”. Strukturen der Partizipation hätten aus seiner Sicht zudem den Vorteil einer stärkeren Identifikation und Förderung der Selbstorganisation, was zur Entlastung staatlicher Fürsorge beitragen könnte.

Mitbestimmen heißt Diskutieren, Kompromisse suchen, gemeinsam Lösungen finden

Für die Stadt Bonn, die 11 000 Euro beisteuert, begrüßte Oberbürgermeister Ashok Sridharan das Projekt. Es sei ein wichtiger Schritt, um Flüchtlinge als eigenständige Akteure wahrzunehmen und sie zu aktivieren, sich im Wohnheim und darüber hinaus konkret einzubringen: “Wir müssen uns klar sein, dass die Flüchtlinge in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen sind und sehr heterogene Hintergründe haben. Hier für eine gedeihliche Kommunikation zu sorgen, ist eine Herausforderung. Denn Mitbestimmung heißt eben auch: Diskutieren, Meinungen anhören und akzeptieren, Kompromisse suchen und Lösungen finden und sich selbst auch einmal zurücknehmen.”

Die Stadt ist bereits mit einem mehrsprachigen Gesprächsformat in Flüchtlingswohnheimen unterwegs. Die Stabsstelle Integration, das Amt für Soziales und Wohnen und die Ehrenamtler wirken dabei zusammen. Sridharan: “Daran kann die Otto-Benecke-Stiftung anknüpfen.”

Quelle: Pressemitteilung Stadt Bonn, 04.01.2017