[:de]Seit Juni 2013 ist Dr. Imme Scholz Mitglied des neu einberufenen Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Der Rat wurde 2001 ins Leben gerufen und unterstützt die Bundesregierung in der Implementierung und Konzeptionierung der Nachhaltigkeitsstrategie. Lesen Sie hier das Interview mit Dr. Imme Scholz in der Reihe “Bonn Voices” über Ihre Rolle im neuen Nachhaltigkeitsrat.

Bonn-Voices---Notizzettel---Dr-ScholzSehr geehrte Frau Dr. Scholz, seit Juni 2013 sind Sie Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Welche Rolle werden Sie übernehmen?

Auf der konstituierenden Sitzung des Rats haben mir viele Mitglieder gesagt, dass sie froh sind, wieder jemanden dabei zu haben, der den Blick auf die Entwicklungsländer, deren Bedürfnisse und Potenziale sowie auf unsere Beziehungen mit ihnen richtet. Diese Rolle nehme ich gerne an.

Darüber hinaus denke ich, dass es wichtig ist, stärker als bisher in den Blick zu nehmen, wie die lokale und die globale Dimension von nachhaltiger Entwicklung zusammenhängen: unsere Nachhaltigkeitsziele und Indikatoren sollten nicht nur auf die nationale Wohlfahrt ausgerichtet sein, sondern stärker die globalen und internationalen Auswirkungen unseres Handelns mit einbeziehen. Das würde bedeuten, Ziele zu benennen, mit denen z.B. die nicht nachhaltigen internationalen Folgen unserer Produktions- und Konsummuster, unserer Importe und Exporte verringert werden können. Aber auch die Managementregeln könnten aus dieser Sicht überarbeitet werden.

Inwiefern orientiert sich die Agenda des Rats an den Millennium Development Goals?

Der Rat orientiert sich stark an den VN-Konferenzen für nachhaltige Entwicklung – 1992 in Rio, 2005 in Johannesburg und 2012 wieder in Rio. Bei allen drei Konferenzen ging es darum, sozioökonomische Entwicklungsziele in Beziehung zum Umwelt- und Ressourcenschutz zu setzen. Diesem Anspruch fühlt sich auch der RNE verpflichtet. In der politischen Praxis ist es aber leider oft so gewesen, dass nachhaltige Entwicklung vor allem mit Umwelt- und Naturschutz gleichgesetzt wurde – genauso, wie die MDGs vor allem mit der Bekämpfung von Armut und Hunger identifiziert wurden, weil die Umweltdimension nur im Ziel 7 genannt wurde, ohne sie mit befriedigenden Indikatoren zu versehen (außer im Bereich Wasser).

In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie spielen die MDGs eher indirekt eine Rolle: im Bereich „internationale Verantwortung“ wird das 0,7%-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit genannt – die MDGs sind bei der Schwerpunktsetzung des BMZ relevant. Explizit wird im letzten Fortschrittsbericht von 2012 im Bereich nachhaltiger Wasserpolitik das Ziel 7 mit Blick auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser genannt.

 

Welche Aspekte der globalen Nachhaltigkeit gilt es in Zukunft besonders zu betonen?

Entscheidend wird es sein, die VN-Prozesse für eine globale Agenda nach 2015 (wenn die MDGs auslaufen) und die neuen Sustainable Development Goals zu unterstützen und in die Überarbeitung der deutschen Nachhaltigkeitsagenda einzubeziehen. Im Vordergrund steht dabei, universelle globale Ziele zu formulieren, die für alle VN-Mitgliedstaaten gelten und deren nationale Politiken orientieren sollen – mit Blick auf Probleme, die gemeinsames abgestimmtes Handeln erfordern, wie der Umbau der Energiesysteme von fossilen auf erneuerbare Technologien oder die Ernährungssicherung, und mit Blick auf Probleme, die wir alle gemeinsam haben, wie der Abbau der Einkommensungleichheit und die Bewältigung des demographischen Wandels.

In der Konsequenz bedeutet dies, viel stärker als bisher nationale Politiken mit globalen Anstrengungen zu verzahnen und insgesamt die internationale Kooperation bei der Suche nach Problemlösungen und bei ihrer Umsetzung zu verstärken.

 

In einem Interview haben Sie einmal die Wichtigkeit der globalen Kooperation im Sinne der Nachhaltigkeit hervorgehoben. Welche Schwierigkeiten begegnen Ihnen auf diesem Wege?

Schwierigkeiten gibt es viele!

Z.B. im konzeptionellen Bereich: wie stark müssen wir auf ökonomische Effizienz setzen, in welchem Maße und wo genau müssen wir absolute Grenzen bei der Nutzung von natürlichen Ressourcen und Senken (wie der Erdatmosphäre, den Meeren) akzeptieren und definieren?

Oder mit Blick auf den Abgleich nationaler und globaler Interessen im Lauf der Zeit: wie sehr bin ich bereit, Abstriche beim kurzfristigen nationalen Wohlstand hinzunehmen, um mittelfristig gute Lebensbedingungen für alle – mich inbegriffen! – zu sichern?

Oder bei der Frage, woher Lösungen kommen werden: die gemeinsame Suche nach Antworten auf drängende Nachhaltigkeitsprobleme ist entscheidend; zumindest im Bereich der Klima- und Energiepolitik, aber auch der Landwirtschaft haben wir so wenig Zeit, dass wir nicht nur die Grundlagenforschung und die Entwicklung neuer technologischer und organisatorischer Lösungen international betreiben müssen. Es ist fundamental, auch die internationale Verbreitung und den Einsatz dieser Lösungen voranzutreiben. Und: ihre Auswirkungen gemeinsam zu erfassen und zu bewerten sowie von den Praxiserfahrungen weltweit zu lernen.

 

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

In einem Forschungsinstitut arbeiten zu können, das an diesen Fragen in Kooperation mit Partnern aus Entwicklungs- und Industrieländern dran ist, ist ungeheuer motivierend. Ich lerne viel von meinen Kolleginnen und Kollegen am DIE und an Partnerinstituten, die Einzelaspekte untersuchen und an theoretisch-konzeptionellen Fragen arbeiten, und von unseren Debatten darüber, wie in der globalen Agenda nach 2015 soziale, ökonomische und umweltpolitische Ziele verfolgt werden sollen.

Abends – ja, da stehen eher Fragen des eigenen Handelns und Lebens im Vordergrund, die vermutlich jede und jeder aus dem eigenen Alltag kennt: wie stark orientiere ich mich selbst an Nachhaltigkeitskriterien, beim Einkaufen, bei der Mobilität, in den Beziehungen zu meiner Familie und Freunden? Wie mache ich mich im Alltag verständlich? Was sind praktische Lösungen, die der Lebensfreude und dem Miteinander nicht im Wege stehen?

Das Gespräch führte Janine Dornbusch

Weitere Informationen

Rat für Nachhaltige Entwicklung[:en]Seit Juni 2013 ist Dr. Imme Scholz Mitglied des neu einberufenen Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Der Rat wurde 2001 ins Leben gerufen und unterstützt die Bundesregierung in der Implementierung und Konzeptionierung der Nachhaltigkeitsstrategie. Lesen Sie hier das Interview mit Dr. Imme Scholz in der Reihe “Bonn Voices” über Ihre Rolle im neuen Nachhaltigkeitsrat.

Bonn-Voices---Notizzettel---Dr-Scholz

Sehr geehrte Frau Dr. Scholz, seit Juni 2013 sind Sie Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Welche Rolle werden Sie übernehmen?

Auf der konstituierenden Sitzung des Rats haben mir viele Mitglieder gesagt, dass sie froh sind, wieder jemanden dabei zu haben, der den Blick auf die Entwicklungsländer, deren Bedürfnisse und Potenziale sowie auf unsere Beziehungen mit ihnen richtet. Diese Rolle nehme ich gerne an.

Darüber hinaus denke ich, dass es wichtig ist, stärker als bisher in den Blick zu nehmen, wie die lokale und die globale Dimension von nachhaltiger Entwicklung zusammenhängen: unsere Nachhaltigkeitsziele und Indikatoren sollten nicht nur auf die nationale Wohlfahrt ausgerichtet sein, sondern stärker die globalen und internationalen Auswirkungen unseres Handelns mit einbeziehen. Das würde bedeuten, Ziele zu benennen, mit denen z.B. die nicht nachhaltigen internationalen Folgen unserer Produktions- und Konsummuster, unserer Importe und Exporte verringert werden können. Aber auch die Managementregeln könnten aus dieser Sicht überarbeitet werden.

Inwiefern orientiert sich die Agenda des Rats an den Millennium Development Goals?

Der Rat orientiert sich stark an den VN-Konferenzen für nachhaltige Entwicklung – 1992 in Rio, 2005 in Johannesburg und 2012 wieder in Rio. Bei allen drei Konferenzen ging es darum, sozioökonomische Entwicklungsziele in Beziehung zum Umwelt- und Ressourcenschutz zu setzen. Diesem Anspruch fühlt sich auch der RNE verpflichtet. In der politischen Praxis ist es aber leider oft so gewesen, dass nachhaltige Entwicklung vor allem mit Umwelt- und Naturschutz gleichgesetzt wurde – genauso, wie die MDGs vor allem mit der Bekämpfung von Armut und Hunger identifiziert wurden, weil die Umweltdimension nur im Ziel 7 genannt wurde, ohne sie mit befriedigenden Indikatoren zu versehen (außer im Bereich Wasser).

In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie spielen die MDGs eher indirekt eine Rolle: im Bereich „internationale Verantwortung“ wird das 0,7%-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit genannt – die MDGs sind bei der Schwerpunktsetzung des BMZ relevant. Explizit wird im letzten Fortschrittsbericht von 2012 im Bereich nachhaltiger Wasserpolitik das Ziel 7 mit Blick auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser genannt.

 

Welche Aspekte der globalen Nachhaltigkeit gilt es in Zukunft besonders zu betonen?

Entscheidend wird es sein, die VN-Prozesse für eine globale Agenda nach 2015 (wenn die MDGs auslaufen) und die neuen Sustainable Development Goals zu unterstützen und in die Überarbeitung der deutschen Nachhaltigkeitsagenda einzubeziehen. Im Vordergrund steht dabei, universelle globale Ziele zu formulieren, die für alle VN-Mitgliedstaaten gelten und deren nationale Politiken orientieren sollen – mit Blick auf Probleme, die gemeinsames abgestimmtes Handeln erfordern, wie der Umbau der Energiesysteme von fossilen auf erneuerbare Technologien oder die Ernährungssicherung, und mit Blick auf Probleme, die wir alle gemeinsam haben, wie der Abbau der Einkommensungleichheit und die Bewältigung des demographischen Wandels.

In der Konsequenz bedeutet dies, viel stärker als bisher nationale Politiken mit globalen Anstrengungen zu verzahnen und insgesamt die internationale Kooperation bei der Suche nach Problemlösungen und bei ihrer Umsetzung zu verstärken.

 

In einem Interview haben Sie einmal die Wichtigkeit der globalen Kooperation im Sinne der Nachhaltigkeit hervorgehoben. Welche Schwierigkeiten begegnen Ihnen auf diesem Wege?

Schwierigkeiten gibt es viele!

Z.B. im konzeptionellen Bereich: wie stark müssen wir auf ökonomische Effizienz setzen, in welchem Maße und wo genau müssen wir absolute Grenzen bei der Nutzung von natürlichen Ressourcen und Senken (wie der Erdatmosphäre, den Meeren) akzeptieren und definieren?

Oder mit Blick auf den Abgleich nationaler und globaler Interessen im Lauf der Zeit: wie sehr bin ich bereit, Abstriche beim kurzfristigen nationalen Wohlstand hinzunehmen, um mittelfristig gute Lebensbedingungen für alle – mich inbegriffen! – zu sichern?

Oder bei der Frage, woher Lösungen kommen werden: die gemeinsame Suche nach Antworten auf drängende Nachhaltigkeitsprobleme ist entscheidend; zumindest im Bereich der Klima- und Energiepolitik, aber auch der Landwirtschaft haben wir so wenig Zeit, dass wir nicht nur die Grundlagenforschung und die Entwicklung neuer technologischer und organisatorischer Lösungen international betreiben müssen. Es ist fundamental, auch die internationale Verbreitung und den Einsatz dieser Lösungen voranzutreiben. Und: ihre Auswirkungen gemeinsam zu erfassen und zu bewerten sowie von den Praxiserfahrungen weltweit zu lernen.

 

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

In einem Forschungsinstitut arbeiten zu können, das an diesen Fragen in Kooperation mit Partnern aus Entwicklungs- und Industrieländern dran ist, ist ungeheuer motivierend. Ich lerne viel von meinen Kolleginnen und Kollegen am DIE und an Partnerinstituten, die Einzelaspekte untersuchen und an theoretisch-konzeptionellen Fragen arbeiten, und von unseren Debatten darüber, wie in der globalen Agenda nach 2015 soziale, ökonomische und umweltpolitische Ziele verfolgt werden sollen.

Abends – ja, da stehen eher Fragen des eigenen Handelns und Lebens im Vordergrund, die vermutlich jede und jeder aus dem eigenen Alltag kennt: wie stark orientiere ich mich selbst an Nachhaltigkeitskriterien, beim Einkaufen, bei der Mobilität, in den Beziehungen zu meiner Familie und Freunden? Wie mache ich mich im Alltag verständlich? Was sind praktische Lösungen, die der Lebensfreude und dem Miteinander nicht im Wege stehen?

Das Gespräch führte Janine Dornbusch

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