DIE: Entwicklung und Freiheit

Es ist ja nun leider so, dass sich in den letzten Jahren eine ziemlich materialistische Vorstellung von Entwicklung breit gemacht hat. Bekämpfung von Armut und Hunger, bessere medizinische Versorgung, Zugang zu Bildung etc. – im Überschwang der Jahrtausendwende nannte man das die „Millennium-Entwicklungsziele“ und man schwor sich feierlich, dieselben bis zum Jahr 2015 verwirklichen zu wollen. Dafür wurde sogar das alte Gerede vom 0,7%-Anteil am Bruttonationaleinkommen für die Entwicklungshilfe wieder aufgewärmt. Jetzt, wo deutlich wird, dass diese Ziele kaum zu erreichen sind, ist der Katzenjammer groß.

Die gleiche Misere zeichnet sich übrigens auch für den Klimawandel ab. Mehr als zwei Grad zusätzlich sollen es keinesfalls werden, und die Experten rechnen uns vor, wie viel Abgase unsere Autos und wie viel Methan unsere Rindviecher noch in die Atmosphäre entlassen dürfen. Viele aufgeklärte und wohlmeinende Menschen hoffen nun, dass sich unsere Regierungen auf das Zwei-Grad-Ziel verständigen mögen, bevor es zu spät ist.

Warum eigentlich? Damit am Ende wieder alle enttäuscht sind, wenn es doch nicht klappt? Nullkommasieben Prozent, Armutshalbierung, zwei Grad Welterwärmung – wir machen uns und anderen vor, dass globaler Fortschritt sich als Abfolge hochfliegender Versprechungen vollzieht, und sind dann tief bestürzt, wenn die Bürger von den ständigen Erklärungen, Entschuldigungen und Nachbesserungen irgendwann die Nase voll haben.

Die globale Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem – nicht erst seit gestern. Aber früher war alles viel einfacher. Wir erinnern uns: Der Kalte Krieg! Das war die Zeit, wo es noch um wirkliche Werte ging, nicht um Prozentzahlen, und die Entwicklungspolitik saß tapfer mit im Schützengraben. Auch der schlimmste Diktator konnte zum edlen Alliierten graduieren, wenn er seine Bevölkerung vor der Geißel des Sowjetimperialismus bewahrte (oder wenigstens die freie Welt mit Rohstoffen versorgte).

Klar, kaum jemand will den Kalten Krieg wieder zurück, nicht einmal im Binnenverhältnis einer Regierungskoalition. Aber wie schaffen wir es, die Entwicklungspolitik von ihrer einseitigen Fixierung auf Konkretes und Messbares zu lösen? Ein Mosquitonetz hier, eine Schule dort – das kann es doch nicht sein. Wir müssen wieder Mut zu ideellen Botschaften entwickeln. Nur welche?

Einen ersten Ansatzpunkt liefert – wie so häufig – das große Hollywoodkino: „Sie können uns das Leben nehmen“, ruft der Schotte William „Braveheart“ Wallace, „aber nicht die Freiheit!“ Eine klare win-win-Situation und auf viele Entwicklungsländer anwendbar, wenn alle Seiten sich mit diesem Arrangement zufrieden geben. Zurzeit wird der Ansatz u.a. in Afghanistan erprobt. Aus entwicklungspolitischer Sicht wäre es allerdings nicht nachhaltig, wenn irgendwann zuviel Freiheit auf zu wenig Leben treffen sollte.

Vielleicht müssen wir uns erst nochmal Gedanken darüber machen, was für einen Typ von Freiheit wir entwicklungspolitisch überhaupt fördern wollen. Es gibt ja die „Freiheit von“ (von Zwang, zum Beispiel) und die „Freiheit zu“ (dazu, etwas tun zu können). Muss es denn unbedingt gleich die Guttenberg-Variante sein, „Freiheit von und zu“? Womöglich wäre ja für die Entwicklungsländer ein etwas bescheidenerer Ansatz besser.

Wie wär’s mit diesem: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will“, meint Jean-Jacques Rousseau. Das scheint doch ein gutes Leitprinzip für die Entwicklungspolitik zu sein, denn für die Menschen im Süden ist es ja bestimmt in Ordnung, nicht das zu können, was sie wollen, solange wir sie davor bewahren, etwas tun zu müssen, von dem wir wissen, dass sie es nicht können. Im Austausch nehmen wir uns dafür die Freiheit, nicht wollen zu müssen, was wir können sollten. In der Vergangenheit hat das doch immer ganz gut geklappt, oder nicht?

Außerdem: Wer sagt denn, dass Freiheit stets nach einem absoluten Maß bewertet werden muss? Vielleicht ist Freiheit ähnlich relativ wie Wohlstand: Im Kreis der Superreichen fühlt sich auch ein Millionär oft als armer Schlucker. Kein Wunder, dass er dann z. B. mittels grenzüberschreitender Finanztransaktionen dafür sorgt, dass wenigstens der Abstand nach unten gewahrt bleibt. Niemand hat den relativitätstheoretischen Freiheitsbegriff eindrücklicher auf den Punkt gebracht als der Wiener Chansonier Georg Kreisler: „Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein – Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!“ Man muss auch gönnen können, sagt der Rheinländer dazu, und ein bisschen Toleranz, Geduld und Großzügigkeit darf man ja wohl von allen Seiten erwarten, nicht immer nur von uns.

Kann man, werden nun die Bedenkenträger fragen, überhaupt frei sein, wenn die eigene Freiheit auf Kosten anderer geht? Ja, aber klar doch! Die Ökonomen nennen das Externalisierung, und ganze Wirtschaftszweige beruhen auf diesem Prinzip. Auch der Karneval funktioniert übrigens so: Jedermann externalisiert fröhlich durcheinander, internalisiert natürlich auch (Kölsch, in erster Linie) und die Rechnung wird erst präsentiert, wenn alles vorbei ist, am Aschermittwoch nämlich.

Aber nochmal zurück zur Wirtschaft: Vom Finanzsektor kann die Entwicklungspolitik zurzeit einiges über den richtigen Gebrauch von Freiheit lernen. Märkte, das sagt uns die Theorie, funktionieren am besten, wenn Informationen möglichst frei und ungehindert fließen können. Wo das nicht der Fall ist, profitieren immer nur einige wenige – jene nämlich, die privilegierten Zugang zu Informationen genießen. In der Praxis sind es aber oft gerade die vermeintlich eifrigsten Verfechter des freien Unternehmertums, welche sich energisch gegen eine größere Transparenz der globalen Finanzmärkte stemmen. Und so kommt es zu der fast schon närrischen Situation, dass die Bundesrepublik mit dem Ankauf rechtswidrig erlangter Datensätze aus der Schweiz vermutlich mehr für Freiheit und globale Entwicklung tut, als die vielen Finanzexperten, die in Davos und anderswo über die Regulierung der globalen Kapitalströme debattieren.

Von Dr. Christian von Haldenwang, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

Kolumne: hier

Es ist ja nun leider so, dass sich in den letzten Jahren eine ziemlich materialistische Vorstellung von Entwicklung breit gemacht hat. Bekämpfung von Armut und Hunger, bessere medizinische Versorgung, Zugang zu Bildung etc. – im Überschwang der Jahrtausendwende nannte man das die „Millennium-Entwicklungsziele“ und man schwor sich feierlich, dieselben bis zum Jahr 2015 verwirklichen zu wollen. Dafür wurde sogar das alte Gerede vom 0,7%-Anteil am Bruttonationaleinkommen für die Entwicklungshilfe wieder aufgewärmt. Jetzt, wo deutlich wird, dass diese Ziele kaum zu erreichen sind, ist der Katzenjammer groß.

Die gleiche Misere zeichnet sich übrigens auch für den Klimawandel ab. Mehr als zwei Grad zusätzlich sollen es keinesfalls werden, und die Experten rechnen uns vor, wie viel Abgase unsere Autos und wie viel Methan unsere Rindviecher noch in die Atmosphäre entlassen dürfen. Viele aufgeklärte und wohlmeinende Menschen hoffen nun, dass sich unsere Regierungen auf das Zwei-Grad-Ziel verständigen mögen, bevor es zu spät ist.

Warum eigentlich? Damit am Ende wieder alle enttäuscht sind, wenn es doch nicht klappt? Nullkommasieben Prozent, Armutshalbierung, zwei Grad Welterwärmung – wir machen uns und anderen vor, dass globaler Fortschritt sich als Abfolge hochfliegender Versprechungen vollzieht, und sind dann tief bestürzt, wenn die Bürger von den ständigen Erklärungen, Entschuldigungen und Nachbesserungen irgendwann die Nase voll haben.

Die globale Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem – nicht erst seit gestern. Aber früher war alles viel einfacher. Wir erinnern uns: Der Kalte Krieg! Das war die Zeit, wo es noch um wirkliche Werte ging, nicht um Prozentzahlen, und die Entwicklungspolitik saß tapfer mit im Schützengraben. Auch der schlimmste Diktator konnte zum edlen Alliierten graduieren, wenn er seine Bevölkerung vor der Geißel des Sowjetimperialismus bewahrte (oder wenigstens die freie Welt mit Rohstoffen versorgte).

Klar, kaum jemand will den Kalten Krieg wieder zurück, nicht einmal im Binnenverhältnis einer Regierungskoalition. Aber wie schaffen wir es, die Entwicklungspolitik von ihrer einseitigen Fixierung auf Konkretes und Messbares zu lösen? Ein Mosquitonetz hier, eine Schule dort – das kann es doch nicht sein. Wir müssen wieder Mut zu ideellen Botschaften entwickeln. Nur welche?

Einen ersten Ansatzpunkt liefert – wie so häufig – das große Hollywoodkino: „Sie können uns das Leben nehmen“, ruft der Schotte William „Braveheart“ Wallace, „aber nicht die Freiheit!“ Eine klare win-win-Situation und auf viele Entwicklungsländer anwendbar, wenn alle Seiten sich mit diesem Arrangement zufrieden geben. Zurzeit wird der Ansatz u.a. in Afghanistan erprobt. Aus entwicklungspolitischer Sicht wäre es allerdings nicht nachhaltig, wenn irgendwann zuviel Freiheit auf zu wenig Leben treffen sollte.

Vielleicht müssen wir uns erst nochmal Gedanken darüber machen, was für einen Typ von Freiheit wir entwicklungspolitisch überhaupt fördern wollen. Es gibt ja die „Freiheit von“ (von Zwang, zum Beispiel) und die „Freiheit zu“ (dazu, etwas tun zu können). Muss es denn unbedingt gleich die Guttenberg-Variante sein, „Freiheit von und zu“? Womöglich wäre ja für die Entwicklungsländer ein etwas bescheidenerer Ansatz besser.

Wie wär’s mit diesem: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will“, meint Jean-Jacques Rousseau. Das scheint doch ein gutes Leitprinzip für die Entwicklungspolitik zu sein, denn für die Menschen im Süden ist es ja bestimmt in Ordnung, nicht das zu können, was sie wollen, solange wir sie davor bewahren, etwas tun zu müssen, von dem wir wissen, dass sie es nicht können. Im Austausch nehmen wir uns dafür die Freiheit, nicht wollen zu müssen, was wir können sollten. In der Vergangenheit hat das doch immer ganz gut geklappt, oder nicht?

Außerdem: Wer sagt denn, dass Freiheit stets nach einem absoluten Maß bewertet werden muss? Vielleicht ist Freiheit ähnlich relativ wie Wohlstand: Im Kreis der Superreichen fühlt sich auch ein Millionär oft als armer Schlucker. Kein Wunder, dass er dann z. B. mittels grenzüberschreitender Finanztransaktionen dafür sorgt, dass wenigstens der Abstand nach unten gewahrt bleibt. Niemand hat den relativitätstheoretischen Freiheitsbegriff eindrücklicher auf den Punkt gebracht als der Wiener Chansonier Georg Kreisler: „Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein – Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!“ Man muss auch gönnen können, sagt der Rheinländer dazu, und ein bisschen Toleranz, Geduld und Großzügigkeit darf man ja wohl von allen Seiten erwarten, nicht immer nur von uns.

Kann man, werden nun die Bedenkenträger fragen, überhaupt frei sein, wenn die eigene Freiheit auf Kosten anderer geht? Ja, aber klar doch! Die Ökonomen nennen das Externalisierung, und ganze Wirtschaftszweige beruhen auf diesem Prinzip. Auch der Karneval funktioniert übrigens so: Jedermann externalisiert fröhlich durcheinander, internalisiert natürlich auch (Kölsch, in erster Linie) und die Rechnung wird erst präsentiert, wenn alles vorbei ist, am Aschermittwoch nämlich.

Aber nochmal zurück zur Wirtschaft: Vom Finanzsektor kann die Entwicklungspolitik zurzeit einiges über den richtigen Gebrauch von Freiheit lernen. Märkte, das sagt uns die Theorie, funktionieren am besten, wenn Informationen möglichst frei und ungehindert fließen können. Wo das nicht der Fall ist, profitieren immer nur einige wenige – jene nämlich, die privilegierten Zugang zu Informationen genießen. In der Praxis sind es aber oft gerade die vermeintlich eifrigsten Verfechter des freien Unternehmertums, welche sich energisch gegen eine größere Transparenz der globalen Finanzmärkte stemmen. Und so kommt es zu der fast schon närrischen Situation, dass die Bundesrepublik mit dem Ankauf rechtswidrig erlangter Datensätze aus der Schweiz vermutlich mehr für Freiheit und globale Entwicklung tut, als die vielen Finanzexperten, die in Davos und anderswo über die Regulierung der globalen Kapitalströme debattieren.

Von Dr. Christian von Haldenwang, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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