IDOS: UN-Biodiversitätskonferenz 2022: Der (grüne) Kapitalismus wird die biologische Vielfalt nicht retten!

Vom 7. bis zum 19. Dezember 2022 wird die 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) im kanadischen Montreal unter dem Vorsitz von China stattfinden. Trotz der schwierigen geopolitischen Weltlage wird erwartet, dass sich die Regierungen auf ein neues „globales Rahmenabkommen für Biodiversität“ (GBF) einigen werden. Viele Beobachter*innen hoffen auf eine bahnbrechende Vereinbarung zum Schutz der biologischen Vielfalt. Manche sprechen gar von der „letzten Chance für die Natur“.

Der aktuelle Entwurf des GBF steht ganz im Zeichen der Agenda 2030 und des Pariser Abkommens, fordert er doch einen Wandel in den „Beziehungen der Gesellschaften zur biologischen Vielfalt“. Die zugehörige Erklärung von Kunming, die auf der ersten Sitzung der COP15 im Oktober 2021 in China verabschiedet wurde, betont die Notwendigkeit eines „transformativen Wandels in allen Wirtschaftssektoren und allen Teilen der Gesellschaft“ und die „Sicherstellung von Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum“. Es scheint, dass Regierungen zunehmend anerkennen, was Wissenschaftler*innen und Umweltaktivist*innen schon seit Jahrzehnten fordern: Wir müssen aus nicht nachhaltigen Formen der Produktion und des Konsums aussteigen.

Viele politische Entscheidungsträger*innen, NGOs und Naturschützer*innen sind sich zwar einig, dass tiefgreifender Wandel notwendig ist – doch der Entwurf des GBFs spiegelt dies nur in Teilen wieder. Das GBF zeichnet sich überwiegend, wie viele multilaterale UN-Dokumente auch, durch technokratische Vorgaben und Zielen aus. Das mag viele Experten*innen nicht überraschen, doch ist dies eine der wesentlichen Schwächen des künftigen GBF. Die politische Ökonomie des Naturschutzes bleibt weitestgehend außen vor. Regierungen sollten aus unserer Sicht die progressiven Elemente der Erklärung von Kunming ernst nehmen und anerkennen, dass wir eine sozial-ökologische Transformation benötigen, um den Verlust von Biodiversität zu stoppen. Wenn wir unser aktuelles Wirtschaftssystem nicht grundsätzlich infrage stellen, bleibt der Erfolg des neuen GBF höchst unwahrscheinlich.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig, alarmierend und enttäuschend. Trotz einer wachsenden Zahl von Schutzgebieten und marktorientierter Naturschutzinstrumente ist die biologische Vielfalt seit 1970 weltweit um 68 Prozent zurückgegangen. Dennoch bleibt unendliches Wirtschaftswachstum das vorherrschende Paradigma – den verheerenden Auswirkungen auf die Ökosysteme zum Trotz. Darüber hinaus machen komplexe Wertschöpfungsketten und die damit verbundene Trennung der Produktion (z.B. Holzeinschlag im Regenwald) vom Konsum, das Artensterben in unserem täglichen Leben schwer greifbar. Die Verluste finden anderswo statt und bleiben für uns unsichtbar.

Nichtmenschliche Lebewesen sind nicht Teil unserer „communities of justice“ (Gerechtigkeitsgemeinschaften). Sie sind meist nur dann relevant, wenn sie unseren Interessen dienen (z.B. als Nahrung oder zur Bestäubung), als Faktoren von Kosten-Nutzen-Rechnungen und im Rahmen von vorgeschriebenen Kompensationsmaßnahmen, etwa bei großen Infrastrukturprojekten. So warf eine große deutsche Tageszeitung Gegner*innen der Elbvertiefung und des Ausbaus der Fahrrinne einst vor, dass sie gefährdeten Arten wie dem Schierlings Wasserfenchel mehr Wert beimessen würden als Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen. Der Schutz der Artenvielfalt scheint also nur solange erwünscht, wenn er sich nicht auf unsere Volkswirtschaften auswirkt. Hier stellt sich folglich die Frage: Wie viele Arbeitsplätze ist uns das Aussterben von Arten wert?

Was ist nötig, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und den Trend umzukehren? Was müssen wir tun, um das neue GBF erfolgreich umzusetzen? Zunächst müssen wir anerkennen, dass unser Wirtschaftssystem und sein inhärentes und permanentes Streben nach Expansion zu einer verstärkten Ressourcennutzung, zur Zerstörung von Lebensräumen und zum Verlust der biologischen Vielfalt führt. Folglich erfordert das GBF eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer Wirtschaft, die ohne permanentes Wachstum von Produktion und Konsum auskommt. Das Wirtschaften in einer solchen Gesellschaft sollte nicht der Kapitalakkumulation dienen, sondern einen Zustand anstreben, in dem Wohlstand und eine intakte biologische Vielfalt vereinbar sind. Dies erfordert eine durchschnittliche Verringerung der Produktion und des Konsums in einigen Wirtschaftssektoren, während es in Bereichen wie erneuerbare Energien, Bildung, Gesundheit und Pflege Wachstum erfordert. Ein solcher Wandel würde dem Wohlergehen der Menschen, dem Bewahren der biologischen Vielfalt, Vorrang vor Kapitalakkumulation und Profit einräumen. So könnten wir einige der Ursachen für den Verlust der Artenvielfalt aus dem Weg räumen.

Zweitens müssen wir beim Schutz der Biodiversität neue Ansätze verfolgen, die über marktorientierte Instrumente, Kosten-Nutzen-Ansätze und Schutzgebiete, die den Menschen getrennt von der Natur betrachten, hinausgehen. Schutzstrategien sollten die Rolle indigener Gruppen und lokaler Gemeinschaften anerkennen und jene Akteur*innen unterstützen, die seit Jahrhunderten zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für den Naturschutz ist hier ein vielversprechendes Instrument. Es würde Menschen zugutekommen, die in Gebieten leben, in denen dem Erhalt der Biodiversität eine große Rolle zukommt. Die Zahlungen würden die Grundbedürfnisse indigener Gruppen und lokaler Gemeinschaften (IPLC) decken. Sie können außerdem als eine Form der „Wiedergutmachung“ für IPLCs angesehen werden, da sie im Zuge der Einrichtung neuer Schutzgebiete häufig von ihrem traditionellen Land vertrieben wurden.

Hein, Jonas / Jean Carlo Rodriguez
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 05.12.2022)