Die erste Lesung des geplanten Entwicklungsetats für 2023, die Anfang September im Bundestag stattfand, hat einen besorgniserregenden Zustand parlamentarischer Debatten zur deutschen Entwicklungspolitik offengelegt. Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, plädierte unter Verweis auf die Verantwortung Deutschlands bei der Bewältigung regionaler und globaler Krisen für mehr Mittel. Diese Forderung wiederholte sie einige Tage später in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel („[…] natürlich brauchen wir mehr Geld“). Vertreter*innen der meisten Parteien im Bundestag beklagten fast einstimmig die geplante Kürzung der öffentlichen Mittel und warfen sich dabei gegenseitig vor, falsche Prioritäten zu setzen. Aber ob sie nun für Schulzes avisierte „feministische“ Agenda einstanden, globale Ernährungssicherheit oder den Schutz der biologischen Vielfalt forderten – bis auf eine Ausnahme schwiegen die Vortragenden zur Frage der Wirksamkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ).
Dabei hatten Regierungen aus aller Welt bereits vor über zwanzig Jahren einen politischen Meilenstein erreicht: Sie erkannten an, dass mehr Entwicklungshilfe allein nicht ausreicht, um das Leben von Milliarden Menschen im globalen Süden zu verbessern. Der Konsens von Monterrey aus dem Jahr 2002 wurde zu einer Grundlage für ein neues Verständnis der internationalen EZ im neuen Jahrtausend. Es räumt Wirksamkeit Vorrang vor dem bloßen Volumen der finanziellen Zusagen bilateraler und multilateraler Geber ein. Der Konsens diente als Fundament für eine bahnbrechende internationale Erklärung drei Jahre später in Paris, deren Unterzeichner*innen die wichtigsten Grundsätze für eine erfolgreiche EZ anerkannten: Erfolg sollte letztlich an erzielten Ergebnissen und nicht an den bereitgestellten Mitteln gemessen werden. Dazu dürfen Geber sich jedoch nicht nur an Budgets orientieren, sondern müssen sich verpflichten, qualitativ bessere Arbeit zu leisten. Es ist höchste Zeit, sich diesen Konsens wieder in Erinnerung zu rufen.
Angesichts der geplanten Kürzung des Entwicklungsetats für 2023 um rund zehn Prozent—circa 1,27 Milliarden Euro weniger—sollte sich die Bundesregierung dringend darauf besinnen, dass es auf Ergebnisse ankommt. Nur so kann Deutschland seinem Anspruch als verlässlicher Partner und Vordenker in der internationalen EZ gerecht werden. Das in der Debatte mehrfach vorgebrachte Argument, sinkende Budgets seien ein beunruhigendes Signal in Richtung der anderen G7-Staaten, trifft nur einen Teil der Wahrheit. Es stellt internationale Sichtbarkeit in den Vordergrund, also das Ansinnen, aus höheren Staatsausgaben politisches Kapital auf globalen Bühnen zu schlagen. Dabei wird eine Tatsache verkannt, auf die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) seit Jahren hinweisen: Das deutsche EZ-System produziert keine ausreichenden Wirkungen.
Höhere Wirksamkeit als Chance
Die Bundesregierung kann auch in Zeiten begrenzter Budgets viel bewegen, wenn sie einen Fokus auf die Förderung und Einforderung organisationalen Lernens und dadurch höherer Wirksamkeit ihrer technischen und finanziellen Zusammenarbeit legt. Dieses Vorgehen würde überzeugendere Argumente für eine erneute Aufstockung des Entwicklungsetats in den kommenden Jahren liefern. Es würde zudem dazu beitragen, dass Deutschland international sichtbarer eigene Impulse setzen kann, anstatt multilaterale Prioritäten lediglich mitzufinanzieren.
Mit weniger mehr zu erreichen, ist zweifellos eine anspruchsvolle Aufgabe. Jahrzehntelang haben verschiedene Bundesregierungen versucht, durch die Zuteilung von Milliarden von Steuergeldern an zwei Durchführungsorganisationen—GIZ und KfW—ihre politischen Ideen und Sonderinitiativen umzusetzen. Im Rahmen ihrer Arbeit in über hundert Partnerländern haben diese beiden Hauptakteure der deutschen EZ einen enormen Erfahrungsschatz angesammelt. Dieses Fachwissen müssen sie in Zeiten von Mittelkürzungen nutzen und unter Einbeziehung internationaler Forschung daran arbeiten, wirkungsvollere – und nicht einfach nur größere – Projekte umzusetzen. Natürlich ist es unrealistisch, von der GIZ und KfW zu erwarten, dass sie selbst für Sparmaßnahmen eintreten. Doch Unternehmensinteressen müssen jetzt hintenangestellt werden. Die geplanten Kürzungen im deutschen Entwicklungsetat stellen eine Herausforderung dar, aber sie sind auch eine Chance, um bestehende Ansätze zu überdenken und mehr Wirkung pro ausgegebenem Euro zu erzielen.
Alle, die bereit sind, ihre Kräfte zu bündeln, um die Konzeptions- und Umsetzungsqualität der deutschen EZ zu steigern, können sich auf eine Fülle fundierter Erkenntnisse und Empfehlungen stützen. Neben den Berichten der OECD, des DEval und des Bundesrechnungshofs (BRH)—zuletzt im Jahr 2021—fassen Online-Datenbanken die Ergebnisse Tausender für die deutsche EZ relevanter Studien zusammen. Das deutsche EZ-System kann durch eine systematischere Einbeziehung dieses Wissens in seine Ausgestaltung bilateraler Projekte und multilateraler Partnerschaften zum Vorreiter in evidenzorientierter EZ werden. Die Daten dafür sind vorhanden. Woran es seit Jahren mangelt, ist die Nachfrage nach entwicklungspolitischer Wirksamkeit. Doch genau so könnten Bundestagsabgeordnete Verbesserungen im Leben von Milliarden Menschen bewirken – indem sie Bundesministerin Schulze auffordern, jene Projekte und Partnerschaften zu priorisieren, die nachweislich am wirksamsten sind.
Esser, Daniel
Die aktuelle Kolumne (2022)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS),
(Die aktuelle Kolumne vom 26.09.2022)