Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes, sie ist eine Leerstelle und zugleich eine Herausforderung. Für die Friedensarbeit genauso wie für die Politik und die Gesellschaft. Bei einem virtuellen Studientag wurde sich dem Thema gestellt. Und auch wenn von vielen Teilnehmenden dabei darauf verwiesen wurde, dass die Sensibilität für diese Fragen gewachsen ist, so wurde doch auch deutlich, dass für die Kirchen, die Friedensarbeit und die Politik noch viel zu tun ist.
„Der Kolonialismus ist in den Köpfen der Menschen verankert, die nicht gleichberechtigten Beziehungen zwischen Nord und Süd verschärfen dies noch und das koloniale Erbe erschwert die Friedensarbeit der Kirchen“, machte Dr. Diyah Ayu Krismawati, die Leiterin der Abteilung Asien der Vereinten Evangelischen Mission, beim Studientag deutlich. Eine Einschätzung, die der Theologe Professor Dr. Fernando Enns von der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg, unterstützte: „Das koloniale Erbe ist in der Gegenwart wirkmächtig und reicht in alle Lebensbereiche. Es ist eine Geschichte von Ausgrenzung und Eingrenzung“, meinte er.
Diese Auseinandersetzung sei so alt wie der Kolonialismus, betonte Dr. Jörg Lüer, der Geschäftsführer der Deutschen Kommission Justitia et Pax, beim Studientag. „Diese Diskussion knüpft an alte Debatten über eine gewaltbelastete Vergangenheit an und sie ist auch heute nicht zu trennen von den Gewalterfahrungen in den früheren Kolonien“, meinte er. Für ihn sei hier ein gemeinsames Nachdenken und Handeln wichtig, auch wenn Lüer gleichzeitig einräumt: „Wir brauchen hier weniger einen großen Plan als aktive Geduld.“
Mary Ajith vom Catholic Radio Network South Sudan warnte beim Studientag aber: „Die Probleme der Kolonialzeit wiederholen sich immer wieder.“ Darum seien hier gerade auch die Kirchen gefordert, alles dafür zu tun, dass sich Geschichte nicht erneut wiederhole. Denn beispielsweise in ihrem Land hätten Menschen ein großes Vertrauen in die Kirchen, darum könnten und müssten diese vor allem lokale Dialoge weiterführen und so die koloniale Vergangenheit aufarbeiten, betonte Mary Ajith.
Gerade für Kirchen, die sich auf den Weg des gerechten Friedens begeben hätten, bestünde hier eine besondere Pflicht zur Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit, wurde immer wieder beim Studientag angemahnt. Doch was heißt das, wenn die Beziehungen zwischen den Partnern nicht gleichwertig sind, wenn bewusst oder unbewusst an Überlegenheitsvorstellungen festgehalten oder die Kolonisierung als System von Macht und Gewalt als alternativlos angesehen wird, wurde genauso gefragt.
„Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Und darum müssen wir uns klar und bewusst machen, dass die Beziehungen zwischen Nord und Süd nicht ohne Probleme sind“, unterstrich Diyah Ayu Krismawati. „Es geht eben nicht nur um eine Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit, sondern um die ehrliche Auseinandersetzung mit und in der Gegenwart. Darum brauchen wir eine postkoloniale Analyse“, machte Fernando Enns klar.
Dies gelte nicht nur für die Friedensarbeit, das gelte auch für die Friedenspolitik, betonten dabei die Teilnehmenden aus Politik und Gesellschaft an einer Podiumsdiskussion auf dem Studientag. Unisono wurde begrüßt, dass seitens der neuen Bundesregierung im Koalitionsvertrag erstmals die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte betont werde. „Dies ist eine klare Verpflichtung, nun muss sich aber auch zeigen, wie diese umgesetzt wird“, meinte Dr. Volker Jacoby, der Gründungsdirektor des Europäischen Kompetenzzentrums für Ziviles Krisenmanagement.
Und das hier noch einiges zu tun ist, wurde rasch klar. „Die koloniale Vergangenheit und deren Folgen für die Gegenwart spielen in der Entwicklungspolitik eine untergeordnete Rolle“, räumte Karin Kortmann, die Vorsitzende der Justitia-et-Pax-Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes und ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein. Hier gebe es keinen durchgängigen Ansatz, auch wenn in den vergangenen Jahren einiges entwickelt wurde. „Das koloniale Erbe ist bei Einsätzen im Rahmen eines Zivilen Krisenmanagements nur Stückwerk“, bekannte auch Volker Jacoby. Das Thema Kolonialismus tauche selten auf, doch durch den Koalitionsvertrag hoffe er hier auf neue Möglichkeiten und Ressourcen, meinte er.
Auf eine neue Qualität der Partnerschaft zwischen Europa und Afrika hofft auch Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Ko-Präsidentin der Anti-Racism and Diversity Intergroup des Europäischen Parlamentes. „Wir müssen wegkommen von den Machtstrukturen eines Geldgebers und eines Geldnehmers. Partner gehen da anders miteinander um“, erklärte sie mit Blick auf den kommenden EU-Afrika-Gipfel.
Daran hat Dr. Boniface Mabanza Bambu, der Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika, seine Zweifel. „Partnerschaft auf Augenhöhe ist angesichts der bestehenden unterschiedlichen Kräfteverhältnisse nicht möglich“, meinte er beim Studientag. Er sei, als er nach Europa kam, schockiert gewesen von der Ignoranz über afrikanische Kontexte. „In der Schule spielt dies keine Rolle, an den Hochschulen auch nicht. Woher soll denn jetzt das Wissen über Kolonisation herkommen?“, fragte er in die Runde.
Das solche Studientage aber dazu beitragen könnten, hier Erfahrungen und Erwartungen miteinander zu teilen, das wurde auch immer wieder betont. „Es bleiben offene Anfragen, zu wenig wurde das Gespräch mit ökumenischen Partnern gesucht, solche Veranstaltungen sollen dies angehen“, betonten die Veranstalter. Mit dem Ziel, Leerstellen aufdecken, sie kritisch reflektieren und so für eine post-koloniale Friedenspraxis sensibilisieren. Bei diesem Studientag, zu dem die Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD, die Evangelische Akademie zu Berlin und die Deutsche Kommission Justitia et Pax eingeladen hatte, wurde dazu einiges getan.
Quelle: Pressemitteilung vom 2.2.2022 der Evangelischen Friedensarbeit