Der Anbau von Orangen unterliegt einem harten Preisdruck und hohen Anforderungen. Anbaubedingungen in Südafrika und Italien zeigen: Dies geht oft zulasten migrantischer Erntehelfer*innen, die unzureichend vor ausbeuterischen Strukturen geschützt werden.
Die weltweite Produktion von Orangen liegt für das Wirtschaftsjahr 2020/21 (Okt. bis Sept.) geschätzt bei 48,6 Mio. Tonnen. Knapp 30 Mio. Tonnen werden dabei für den direkten Konsum produziert und etwa 19 Mio. Tonnen für die Weiterverarbeitung, z. B. zu Orangensaft. Die größten Produzenten frischer Orangen sind Brasilien und China, gefolgt von der Europäischen Union; Südafrika liegt mit 1,65 Mio. Tonnen auf Platz sieben. Innerhalb der EU sind Spanien und Italien die größten Anbau-Regionen. Bei Orangenexporten rangiert Südafrika mit einem Umsatz von 699 Million (Dollar oder Euro) auf Platz zwei der Weltrangliste – bei einem Marktanteil von 14,7 Prozent – direkt hinter Spanien.
Um das ganze Jahr hindurch Orangen anbieten zu können, wechseln die Importeure Regionen und Sorten nach jeweiligem Reifegrad der Früchte. Über die Wintermonate finden sich in Deutschland Orangen aus dem europäischen Raum in den Supermärkten und Discountern. Von April bis Oktober füllen die Zitrusfrüchte aus Südafrika die Regale.
Ausbeutung im italienischen Orangenanbau – Das Beispiel Rosarno
In Italien bietet die Ebene von Giora Tauro nahe der Stadt Rosarno günstige Bedingungen für den Orangenanbau. Für die meist von Mitte Oktober bis Ende März dauernde Erntesaison kommen für die Arbeit auf den Zitrusplantagen über 2.000 afrikanische Arbeitsmigranten – fast ausschließlich Männer ‑ in die Region. Als Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltsstatus und/oder mangelnder Unterstützung sind sie gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, die sich ihnen bietet. Längst nicht alle Beschäftigten finden einen Platz in offiziellen Unterkünften. Wie der Ethnologe Gilles Reckinger dokumentiert, leben die Erntehelfer während der Saison in irregulären Siedlungen, teils auch in überfüllten Wohnungen oder schlafen in verlassenen Autos oder Bauernhäusern. Tagelöhner warten früh morgens im Stadtzentrum auf Möglichkeiten ihres Einsatzes. Allerdings: Ohne eine Beziehung zu einem Arbeitsvermittler ist es kaum möglich, Arbeit zu finden, denn die Konkurrenz ist groß.
Klappt es, nimmt ein Mittelsmann (Capo) sie in engen Lieferwagen mit zur Plantage. Von ihrem ohnehin geringen Einkommen müssen die Arbeiter dann Fahrtkosten an den Capo bezahlen: pro Person oft 3 bis 5 Euro. Nach einem 10 bis 15-stündigen Arbeitstag zählt der Capo die von den jeweiligen Beschäftigten gefüllten Boxen und hat die Aufgabe, ihnen den daran bemessenen Lohn auszuzahlen. Oft werden Lohnzahlungen aber über einen längeren Zeitraum einbehalten oder bleiben aus. Finanzielle Not und die damit verbundene Angewiesenheit auf jedwede Einkommensquelle, örtliche Abgeschiedenheit, mangelnde alternative Beschäftigungsmöglichkeiten sowie begrenzter Zugang zu Informationen. All dies macht es den irregulären Arbeitern so gut wie unmöglich, sich gegen die Willkür in den Lohnzahlungen und andere Missstände zu wehren. Auch Bemühungen der italienischen Regierung, eine Veränderung zu bewirken ‑ z. B. über das 2016 verabschiedetet Anti-Sklaverei-Gesetz oder Möglichkeiten der Legalisierung irregulärer Arbeitsverhältnisse im Kontext der Corona-Pandemie ‑ zeigten nur sehr begrenzte Erfolge.
Missachtete Arbeitsrechte auf den Orangenplantagen Südafrikas
Auch im südafrikanischen Orangenanbau sind Menschenrechtsverstöße an der Tagesordnung. Die NGO Khanyisa stellte bei einer Untersuchung mehrerer Orangenfarmen am Ostkap massive Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen fest. Mangelnder Zugang zu Trinkwasser während der Schichten, schwere Vergiftungen durch Pestizide und Schikanen gegenüber Gewerkschaftsvertreter*innen gehören zum Alltag der Arbeiter*innen. Für den Zitrusanbau am Ostkap werden zum erheblichen Teil migrantische Arbeitskräfte rekrutiert. Sie kommen z. B. aus Mosambik, Lesotho oder Simbabwe und haben es in ihrer sozialen Isolation schwerer, ihre Rechte zu kennen und deren Achtung einzufordern. Ungleiche Besitzverhältnisse von Land bestehen zudem noch Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid weiter – 2019 waren von den 300.000 Hektar Gesamtproduktionsfläche an Zitrusfrüchten nur 8.100 Hektar im Besitz von Schwarzen Farmer*innen.
In den letzten 15 Jahren wuchs in Südafrika die Übermacht privatwirtschaftlich definierter Arbeitsstandards gegenüber staatlichen Vorgaben und Kontrollen. Die Produzent*innen entwickelten beispielsweise den Verhaltenskodex SIZA (Sustainability Initiative of South Africa). Dass der private Standard und die in ihm verankerten Prüfverfahren es nicht schaffen, die Arbeiter*innen in ihrer Situation zu stärken, zeigte die oben erwähnte Untersuchung. Alle untersuchten Farmen waren durch den Standard zertifiziert.
Unternehmerische Verantwortung ‑ Die Rolle des Groß- und Einzelhandels
Auswirkungen auf die Situation der Beschäftigten haben auch die Machtverhältnisse in den Lieferketten: Deutsche Supermarktketten etwa verlangen zwar zunehmend höhere Umwelt-, Sozial-, Qualitäts- und Hygienestandards. Aber sie sind oft nicht bereit, einen entsprechend höheren Preis zu zahlen, was massiven Druck auf die Löhne ausübt. Vier Supermarktkonzerne dominieren hierzulande 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels. Sie arbeiten meist langfristig mit großen Importeuren zusammen. Da die Supermarktketten bei den verderblichen Zitrusfrüchten auf kurzfristige Lieferungen angewiesen sind und Kosten für die Lagerung gering halten wollen, ordern sie Ware oftmals kurzfristig und ohne einen schriftlichen Vertrag. Preise werden wochenweise nachverhandelt und Zahlungen erfolgen oft erst nach Erhalt der Ware. Importunternehmen wälzen die damit verbundenen Risiken auf die Produzenten ab und kaufen z. B. Früchte oft auf Kommission. Ungleiche Machtverhältnisse spiegeln sich in der Preisgestaltung wider. So etwa geht nur ein Viertel des Preises, den wir an der Supermarktkasse zahlen, an die Erzeuger*innen in Südafrika und nur wenige Cent davon an die Farmarbeiter*innen auf den Plantagen. Handelskontrollen und unabhängige Siegel oder Zertifikate ändern daran bisher wenig.
Im Sinne ihrer Pflicht zur menschenrechtlichen Sorgfalt sind Supermarktkonzerne und Importunternehmen mitverantwortlich für würdige Arbeitsbedingungen. Gerade für die erste Stufe der Lieferkette‑ den Anbau und die Ernte der Orangen ‑müssen menschenrechtliche Standards vertraglich eingefordert und kontrolliert werden. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Rekrutierungspraktiken der Plantagenbetreiber*innen zu legen. Ebenso wichtig wie die Kontrolle der Lieferkette sind Geschäftsmodelle, die einkalkulieren, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen nicht zu Dumpingpreisen zu erhalten sind. Die Gestaltung der Lieferbeziehung muss den landwirtschaftlichen Betrieben Planung und die Zahlung existenzsichernder Löhne ermöglichen. Das setzt die Vereinbarung von Preisen und eine langfristige, auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerichtete Zusammenarbeit voraus. Mit dem im Juni beschlossenen Lieferkettengesetz sind große Supermarktketten und Importeure in Deutschland ab 2023 bzw. 2024 verpflichtet, bekannt menschenrechtliche Risiken zu adressieren. Die zuständige staatliche Behörde ebenso wie Zivilgesellschaft wird ein wachsames Auge darauf haben müssen, dass Unternehmen dies auf wirksame Weise tun.
Quelle: SÜDWIND e.V., EU-Afrika Blog, Vera Dwors, Eva-Maria Reinwald, 09.12.2021