[:en]DIE: Die aktuelle Kolumne | Wie die neue deutsche Regierung die europäische Entwicklungspolitik gestalten könnte[:de]DIE: Die aktuelle Kolumne | Wie die neue deutsche Regierung die europäische Entwicklungspolitik gestalten könnte[:]

Nach wochenlangen Spekulationen hat die „Ampel“-Koalition ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. Darin legt sie auch dar, wie sie die globale Entwicklung fördern will. Es ist gut, dass die Vereinbarung auf ein stärkeres globales Engagement Deutschlands, die Stärkung der Europäischen Union und ihrer Rolle in der Welt, ein kohärenteres außenpolitisches Engagement sowie die Beibehaltung und voraussichtliche Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit hinweist. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist erwartungsgemäß stark pro-europäisch eingestellt; so hat sie Änderungen der EU-Verträge sowie eine Reform des Europäischen Auswärtigen Dienstes und des Asylsystems in Aussicht gestellt. Konkrete Maßnahmen, wie „mehr Europa“ in den Außenbeziehungen erreicht werden soll, bleiben jedoch vage und müssen von den neuen Minister*innen festgelegt werden. So tritt die neue Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ihr Amt zu einer Zeit an, in der aufeinanderfolgende Krisen Deutschland und die EU von einem kohärenten und strategischen Ansatz haben abweichen lassen. Die Entwicklungspolitik ist vielmehr zu einem „Tausendsassa“ geworden, bei dem die Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Mittelpunkt stehen. Die EU-Entwicklungspolitik hat so neben ihren „traditionellen“ Zielen – wie der Bekämpfung von Armut, Ungleichheit, Klimawandel und Umweltzerstörung sowie der Förderung guter Regierungsführung – ein breites Spektrum an Themen in ihr Portfolio aufgenommen, die von ungesteuerter Migration über gewaltsame Konflikte bis hin zu Korruption und politischer Unterdrückung reichen. Die COVID-19-Pandemie hat diese Komplexität zusätzlich erhöht, da sie sowohl gesundheitliche und wirtschaftliche Sofortmaßnahmen als auch langfristige Wiederaufbaumaßnahmen notwendig macht, die die Welt auf den 1,5-Grad-Celsius-Pfad des Pariser Abkommens lenken.

Seit Beginn der Pandemie hat die EU die Ressourcen von EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und Investitionsbanken mobilisiert und gebündelt, um unter der Bezeichnung „Team Europe“ eine international ausgerichtete europäische Antwort auf COVID-19 zu geben. Der Team-Europe-Ansatz wird in Brüssel und den europäischen Hauptstädten positiv bewertet. Diesen Einschätzungen zufolge zeigt „Team Europe“ Einigkeit, erhöht die Sichtbarkeit Europas und demonstriert Stärke in geopolitischen Auseinandersetzungen. Im Gegensatz zu früheren Initiativen für eine stärkere Koordinierung stehen die Mitgliedstaaten dem Ansatz offen gegenüber, da sie von einem ausgedehnten Netz diplomatischer und außenpolitischer Dienste profitieren und – entsprechend ihrem eigenen Gewicht – zu gemeinsamen Initiativen beitragen können ohne Brüssel mehr Macht oder Zuständigkeiten übertragen zu müssen. Auf strategischer Ebene herrscht allerdings weniger Einigkeit, und die Entwicklungspolitik der EU ist noch nicht mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile.

Die EU und die Mitgliedstaaten haben die klare Absicht, durch die Entwicklungspolitik ihre geopolitischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen zu fördern und ihre eigenen Prioritäten als Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit ihren Partnern zu nehmen. Der Europäische Green Deal und das Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden, sind ebenfalls in den Mittelpunkt des Engagements der EU mit ihren Partnern gerückt. Das Ziel hier ist, Partner von einem ähnlichen Wiederaufbaupfad zu überzeugen, der „green transitions“ in den Vordergrund rückt. Die Entwicklungspolitik an Prioritäten auszurichten führt jedoch nicht automatisch zu einem kohärenten Ansatz und dazu, angestrebte Ziele tatsächlich zu erreichen. Es spiegelt vor allem die unterschiedlichen Interessen der europäischen Regierungen, politischen Parteien und Interessengruppen wider. Dies erklärt auch die wachsende Skepsis und die Spannungen insbesondere mit den afrikanischen Ländern und der Afrikanischen Union. Aus ihrer Sicht versucht die EU ihnen ihre Agenda aufzuzwingen, während sie Ideen und Prioritäten der Partner für den kurz- und langfristigen Aufschwung und damit auch für soziale und ökologische Ziele vernachlässigt.

Wenn die neue Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze das BMZ übernimmt, sollte sie bei richtungsweisenden Entscheidungen die europäische Perspektive von Anfang an mitdenken. Als größter Beitragszahler zum Entwicklungsbudget der EU muss Deutschland sein Gewicht nutzen, um strategische Debatten voranzutreiben und die Mitgliedstaaten hinter gemeinsamen europäischen Initiativen zu versammeln. Eine weitere Integration im Bereich der Entwicklungspolitik scheint angesichts der starken nationalen Interessen der Mitgliedstaaten ein weit entferntes Ziel. Deutschland kann jedoch eine entscheidende Rolle dabei spielen, nicht nur die Sichtbarkeit Europas zu erhöhen, sondern auch dem „Team Europe“ mehr Substanz zu verleihen. Zwei Ziele sollten im Mittelpunkt einer strategischen Vision für einen europäischen Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit stehen: Erstens, die Integration sozialer und ökologischer Ziele (und damit die vollständige Kohärenz der SDGs mit dem Pariser Abkommen). Zweitens, die Förderung demokratischer Werte. Dieser Ansatz sollte nicht nur bestehende politische Initiativen zusammenführen, sondern so formuliert sein, dass die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer gefördert und gestärkt wird.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Svea Koch, Aline Burni, Die aktuelle Kolumne, 06.12.2021