Simone Kathrin Kriesemer über das Potenzial essbarer Insekten für eine verbesserte Ernährungslage

    Sehr geehrte Frau Kriesemer, Sie leiten am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn das Projekt Production and Processing of Edible Insects for Improved Nutrition – kurz ProciNut. Was ist das Ziel des Projekts?

    Das Ziel des Projektes ist es, durch angewandte Forschung die Produktion lokaler Insekten in Myanmar und Madagaskar zu etablieren und weiterzuentwickeln, sowie die Verarbeitung zu optimieren. Dadurch können saisonale Lücken, in denen Insekten als Nahrungsmittel bisher nicht zur Verfügung stehen, geschlossen werden, zusätzliche Einkommensquellen geschaffen und hoffentlich langfristig die lokale Biodiversität geschützt werden, weil Insekten bisher meist wild gesammelt werden. Außerdem trägt das Projekt durch Fortbildungen und Politikdialoge dazu bei, über die Vorteile essbarer Insekten bezüglich Ernährung und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und praktische Verfahren der Produktion und Verarbeitung zu trainieren.

    Mit welchen Partnern arbeiten Sie im Rahmen von ProciNut zusammen?

    Als Forschungs- und Weiterbildungs-Projekt arbeiten wir mit Universitäten und nationalen Forschungseinrichtungen, sowie mit Nichtregierungsorganisationen zusammen; insbesondere mit der Universität von Antananarivo und dem Nationalen Zentrum für angewandte Forschung zu ländlicher Entwicklung (FOFIFA) in Madagaskar, mit der Yezin Agrar-Universität und Spectrum in Myanmar und mit der Mahidol Universität und der Kasetsat Universität in Thailand. Außerdem haben wir eine Projekt-Kooperation mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und tauschen uns über das „Nutrition Network“ mit Kollegen anderer Projekte aus, die ebenfalls durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung finanziert werden.

    ProciNut wurde im August 2018 ins Leben gerufen. Wie hat sich das Projekt seitdem entwickelt?

    Das Projekt wird natürlich durch die Menschen gestaltet, die daran beteiligt sind, und die sind ja seit 2020 in ihrem Handlungsradius aus bekannten Gründen eingeschränkt. Dies hat einiges an Umdenken und Umgestalten eingeleitet. Das Projekt und seine Mitarbeitenden haben sich auf eine Art und Weise entwickelt, die wir natürlich gar nicht geplant hatten. In 2018 und 2019 startete die Forschung mit einem gemeinsamen Planungs-Workshop und zwei Ex-Ante-Studien in den beiden Projektländern. Außerdem konnte eine sozio-ökonomische Umfrage in Madagaskar durchgeführt werden. In Myanmar war das leider schon nicht mehr möglich. Auch eine große Exkursion, die für März 2021 vorbereitet war, bei der ausgewählte Teilnehmer:innen aus Myanmar und Madagaskar den bereits weit entwickelten Insektensektor in Thailand besuchen sollten, musste abgesagt werden. Als nach einigen Wochen Lockdown klar wurde, dass Reisebeschränkungen für längere Zeit bestehen bleiben würden, orientierte sich das Team um. Die Umstellung auf digitale Meeting-Formate war eine Frage von Tagen. In Madagaskar konnten Aktivitäten, wie partizipative Aufzuchtversuche mit lokalen Produzenten und Schulungen durch die Teammitglieder vor Ort zwischen den Lockdowns und unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten erfolgreich durchgeführt werden. Die Forschung im Labor wurde sogar während des Lockdowns weitergeführt.

    In Myanmar wurde eine mehrtägige Schulung für interessierte Insektenproduzent:innen komplett digital durchgeführt, was nach dem Militärcoup zeitweise schon wegen der instabilen Internetverbindung eine große Herausforderung war.

    Dadurch, dass viele wissenschaftliche Konferenzen und Fachtagungen online stattfanden, konnte die Teilnahme einer größeren Zahl von interessierten Teilnehmer:innen aus den Projektländern ermöglicht werden. Dies bot zusätzliche Fortbildungsmöglichkeiten, die aus Kostengründen sonst nur wenigen Wissenschaftler:innen und Koordinator:innen vorbehalten gewesen wären.

    Insgesamt hat sich das Team bestmöglich an die schwierigen Situationen angepasst und dadurch zur Digitalisierung von Forschung und Bildungsarbeit beigetragen. Eine erfreuliche und ungeplante Begleiterscheinung ist, dass unser ökologischer Fußabdruck durch die ausgebliebenen Flugreisen viel kleiner ist und die positive Erfahrung digitaler Möglichkeiten auch für zukünftige Projekte genutzt werden kann.

    Welchen Beitrag leistet das Projekt zur nachhaltigen Entwicklung?

    ProciNut zielt, wie oben erwähnt, darauf ab, Ernährungslücken zu schließen, Einkommensquellen zu schaffen und durch die Entwicklung von Haltungsverfahren den Wildfang einzudämmen und so die lokale Biodiversität zu schützen. Daher leistet das Projekt einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen „Keine Armut“ (Ziel 1), „Kein Hunger“ (Ziel 2), und „Leben an Land“ (Ziel 15). Außerdem können durch Insektenproduktion Nahrungsmittelreste als Futter verwertet werden (Ziel 12: Nachhaltige/r Konsum und Produktion) und der CO2 Ausstoß, der mit Proteinproduktion in Zusammenhang steht, reduziert werden (Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz). Letztlich hat das Projekt gezielt Frauen und Männer angesprochen und weitergebildet (Ziel 5: Geschlechtergleichheit).

    Ist die Produktion von essbaren Insekten auch für Deutschland relevant?

    Ich bin möglicherweise nicht die richtige Person, um eine wissenschaftlich fundierte Prognose für Insekten auf dem deutschen Markt abzugeben. Allerdings werden Insekten als alternative Proteinquelle bereits auf gastronomischen Messen als Ernährungstrend vorgestellt und einige Start-ups produzieren bereits hier für deutsche Konsumenten. Die Zeit wird zeigen, wie relevant der Sektor in Deutschland wird.

    Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

    Je nachdem was in der Woche so ansteht, kann das ganz unterschiedlich sein: Insgesamt möchte ich mit meiner Arbeit zur Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung betragen, weil immer noch viel zu viele Menschen hungern. Mit diesem großen Ziel vor Augen, kann man sich nach einem administrativen Bürotag manchmal ganz schön wirkungslos vorkommen. Oft freue ich mich aber morgens auf den Austausch mit den internationalen Partnern. Ich möchte sie bestmöglich unterstützen, das Projekt vor Ort durchzuführen und bin häufig sehr beeindruckt, welche Ergebnisse sie unter meist schwierigen lokalen Verhältnissen erzielen. Auch die Entwicklung der Doktoranden über den Zeitraum ihrer Promotion zu beobachten macht zufrieden, denn das Wissen und die Fähigkeiten, die sie sich durch unser Projekt aneignen können, werden in Zukunft nachhaltig weiterwirken.

    Weitere Informationen zu ProciNut

    Das Interview führte Verena Hammes