DIE: Die aktuelle Kolumne | Welche Zukunft hat der Entwicklungshilfeausschuss der OECD?

Das Jahr 1961 kann man gewissermaßen als Urknall für die internationale Entwicklungspolitik betrachten. Die USA trieben unter den Vorzeichen des Kalten Krieges ein internationales System zur Unterstützung von Entwicklungsländern voran. US-Präsident John F. Kennedy führte bestehende Ansätze zur Unterstützung von Entwicklungsländern zu der mächtigen US Agency for International Development (USAID) zusammen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde im gleichen Jahr das BMZ (zunächst Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, später dann mit der Ergänzung „und Entwicklung“) geschaffen – ein eigenes Ministerium zur Unterstützung von Entwicklungsregionen. 1961 gründete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zudem den sogenannten Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee / DAC), dessen 60. Geburtstag in dieser Woche gefeiert wird.

Tatsächlich ist der DAC oftmals ein Synonym für die Entwicklungszusammenarbeit „traditioneller Geber“: ein Club reicher Länder, der oft ein Inbegriff für das Fortbestehen von globalen Ungleichheiten war. Allerdings ist der Ausschuss eben auch der Ort, an dem in den vergangenen 60 Jahren wichtige Normen und Qualitätsstandards für die Entwicklungszusammenarbeit ausgehandelt wurden. Das Konzept von „öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit“ (Official Development Assistance / ODA) wurde hier erfunden. Jedes DAC-Mitglied steht außerdem regelmäßig auf dem Prüfstand, ob es sich tatsächlich an die Spielregeln hält. Ähnlich den PISA-Studien für die Bildungspolitik entfalten diese peer reviews eine sowohl disziplinierende als auch unterstützende Wirkung. Kein Mitgliedsland möchte gerne angeprangert werden, sich nicht genug an internationale Vereinbarungen zu halten. Der Zuwachs von ursprünglich acht DAC-Mitgliedern auf heute 30 lässt sich ebenfalls als Erfolg für das Gremium verbuchen. Ehemalige Entwicklungsländer wie Spanien und Südkorea sahen es als einen wichtigen Ausweis ihres sozio-ökonomischen Erfolges an, in diesen Club aufgenommen zu werden. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) würdigt in einem neuen Open Access-Buch die Geschichte des DAC umfassend.

Schwierig ist es, eine genauere Vorstellung darüber zu entwickeln, was genau die Zukunft dieses Ausschusses sein könnte und sollte. Dies hat mit mindestens drei zentralen Punkten zu tun. Erstens ist der Kontext für das Politikfeld dynamisch wie selten zuvor. Viele Entwicklungsländer – von China über Indien bis hin zu Ruanda – stellen heute selbst Entwicklungszusammenarbeit für andere Länder bereit. Das Konzept der Süd-Süd-Kooperation ist zwar nicht neu, hat aber angesichts des Umfangs vor allem der chinesischen Initiativen einen enormen Einfluss. Und die meisten dieser Länder, die Süd-Süd-Kooperationsleistungen anbieten, haben wenig Interesse daran, sich mit dem DAC abzustimmen, ODA zu berichten oder in die im DAC entwickelten Normen und Standards zu fördern und zu unterstützen. Damit repräsentiert das Gremium einen schrumpfenden Teil der prägenden Akteure von Entwicklungspolitik. Hinzu kommt, dass Entwicklungspolitik gewissermaßen zu seinen Ursprüngen zurückkehrt: geostrategische Fragen gewinnen derzeit enorm an Bedeutung; dies gilt insbesondere mit Blick auf China.

Zweitens hat die politische Unterstützung eines DAC, der sich für eine möglichst nicht an kurzfristigen Eigeninteressen orientierte und wirksame Entwicklungszusammenarbeit einsetzt, spürbar nachgelassen. Populistische Spielarten in einigen DAC-Mitgliedsstaaten (etwa in Großbritannien) und oftmals engere Haushaltsspielräume haben zu einem Aufweichen der Qualitätskriterien geführt – etwa, was als ODA anerkannt werden kann.

Drittens ist die Frage, wie zukünftig Entwicklungszusammenarbeit aussehen sollte, relevant und zugleich vage – und gerade hierzu werden Antworten aus dem Club in Paris erhofft. So lässt sich bereits heute absehen, dass die Zahl der Entwicklungsländer (etwa China und die Türkei) in den nächsten Jahren weiter abnehmen wird – also weniger Länder auf eine solche Form der Kooperation angewiesen sein werden. Eine solche ‚Graduierung‘ von der Möglichkeit, ODA zu erhalten, lässt sich für einige, aber eben auch nicht alle Entwicklungsländer absehen. Zugleich zeigen gerade die Krisen vergangener Jahre, dass Entwicklungspolitik ein zentraler Ansatz ist, um unterschiedlichsten globalen Herausforderungen zu begegnen. Dies gilt für die Covid-Pandemie über sicherheitspolitische Probleme, etwa in Afghanistan, und zunehmend auch für die Ursachen und Folgen des Klimawandels. Es lässt sich erkennen, dass Entwicklungspolitik neben der Beförderung von Entwicklungsprozessen in einzelnen Ländern in Zukunft eine viel größere Rolle spielen wird beim Umgang mit globalen Krisen und der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter.

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Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Stephan Klingebiel, Die aktuelle Kolumne, 04.10.2021