Die Zahl der an Hunger leidenden Menschen ist weltweit durch die Coronakrise rasant gestiegen. Zu dem Ergebnis kommen die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Welternährungsbericht. Amy Neuman-Volmer von „Ärzte ohne Grenzen“ verdeutlichte im Dlf die katastrophale Entwicklung am Beispiel von Madagaskar.
Über Jahrzehnte war die Zahl der an Hunger leidenden Menschen stets gesunken. Die UN hatten sogar das Ziel ausgegeben, dass bis 2030 weltweit niemand mehr hungern solle. Doch seit 2015 steigen die Zahlen wieder. Und durch die Coronakrise hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. So schätzen die Vereinten Nationen, dass 2020 weltweit die Zahl der Hungernden auf bis zu 811 Millionen gestiegen ist.
Laut Welternährungsbericht hat jeder zehnte Mensch nicht genügend zu Essen. „Wenn wir nicht dringend Maßnahmen ergreifen, werden im Jahr 2030 bis zu 660 Millionen Menschen hungern“, warnte der Generaldirektor der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, Qu Dongyu, bei der Vorstellung des Berichts. Die Corona Pandemie habe die Anfälligkeit der Lebensmittelsysteme gezeigt.
Die Exekutivdirektorin des UN-Kinderhilfsprogramms Unicef, Henrietta Fore, betonte in diesem Zusammenhang, dass in der Pandemie rund 30 Prozent aller Haushalte weniger zu Essen gehabt hätten. 149 Millionen Kinder seien wegen Mangelernährung unterentwickelt.
Etwa 74.000 Menschen hungern in Madagaskar
Am stärksten ist der Hunger im vergangenen Jahr in Afrika gestiegen. Dort stellen 282 Millionen unterernährte Menschen 20 Prozent der Bevölkerung, mehr als doppelt so viel wie in jeder anderen Region. Beispielsweise sind laut „Ärzte ohne Grenzen“ in Madagaskar etwa 74.000 Menschen direkt von schwerster Unterernährung bedroht. Davon sind 12.000 Kinder schwerst mangelernährt und somit krank. „Das ist nah an einer Hungersnot“, sagte Amy Neuman-Volmer von „Ärzte ohne Grenzen“ im Deutschlandfunk.
Die Lage sei katastrophal, so Neuman-Volmer: „Die Menschen warten seit mehreren Ernten auf Regen. Zudem fehlt der Tourismus und Arbeit. Viele Landschaften verwüsten.“ Sie erklärt weiter: „Man erkennt wirklich, dass viele Regionen und Felder verschwunden sind unter Sandmassen – eine Verwüstung der Landschaft durch die Dürre.“ Es ist das Zusammenwirken von extremer Dürre und Folgen der Pandemie, die zu großen Problemen führten.
„Wir sehen Fluchtbewegungen“, erklärt Neuman-Volmer im Dlf: „Viele sind aber nicht mehr in der Lage zu flüchten. Ich habe Dörfer besucht, wo Menschen so unterernährt, so schwach waren, dass sie nicht in der Lage waren, das nächste Gesundheitszentrum zu erreichen.“
Auch die entwicklungspolitische Organisation „Aktion gegen den Hunger“ erklärte, die Zahl der Hungernden sei im vergangenen Jahr nahezu explodiert und habe mit einem Zuwachs um 161 Millionen Menschen im Vergleich zu 2019 stärker zugenommen als in den gesamten fünf Jahren davor. Es sei nun dringend nötig, die Faktoren anzugehen, die dazu geführt hätten: Klimawandel, Konflikte und Ungleichheit. Statt auf Hightech-Landwirtschaft zu setzen, müsse die bäuerliche Landwirtschaft, die Umwelt und Bevölkerung schütze, in den Mittelpunkt gestellt werden.
Quelle: Deutschlandfunk, 12.07.2021