„Zukunftsgerichtete Politik investiert in die Gestaltung multilateraler Normen und Regelwerke und rückt die multilaterale Zusammenarbeit in ihren Mittelpunkt, zu dem die bilaterale und europäische Zusammenarbeit flankierend und unterstützend hinzukommen.“ In ihrer Kolumne zur Bundestagswahl 2021 betonen Anna-Katharina Hornidge und Imme Scholz die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit, die auf das globale Gemeinwohl gerichtet ist. Welche Partner braucht Deutschland, und welche Partner brauchen Deutschland, um den globalen Herausforderungen der 2020er-Jahre begegnen zu können?
Deutschland steht nicht allein vor der Bewältigung weichenstellender Zukunftsfragen: Die Art, wie wir global wirtschaften, konsumieren und uns bewegen, muss die planetaren Grenzen berücksichtigen. Große Herausforderungen wie etwa der Klimawandel oder die COVID-19-Pandemie sind nur mit Ansätzen zu bewältigen, die über Länder- und Politikfeldgrenzen hinaus abgestimmt sind. Die Bundesregierung betont die globalen wechselseitigen Abhängigkeiten und die Notwendigkeit von Kooperation auch in ihrem Weißbuch zum deutschen Engagement für Multilateralismus (Mai 2021).
Unabhängig von parteipolitischen Überlegungen wird die Notwendigkeit von gemeinschaftlichem Handeln auf globaler Ebene sowie mit zentralen bilateralen Partnern in der kommenden Legislaturperiode weiter zunehmen.
Globale Partner über die OECD-Länder hinaus
Die wichtigsten Partner für die Beantwortung grenzüberschreitender Fragen findet Deutschland in der Europäischen Union und in den transatlantischen Beziehungen, erweitert um die OECD-Länder. In diesem Kreis kann in den meisten Fällen auf eine gemeinsame Basis gesellschaftlicher Grundwerte aufgebaut werden, auch wenn sie von populistischen Gruppen infrage gestellt werden. Kooperation für das globale Gemeinwohl muss allerdings über die OECD-Welt hinausgehen, wenn sie wirksam sein soll.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind eine Reihe von Staaten des „globalen Südens“ wirtschaftlich und politisch hervorgetreten. Menschliche Lebensgrundlagen weltweit zu erhalten und zu verbessern, macht diese Länder als Kooperationspartner unerlässlich, sei es aufgrund ihrer großen (und weiter ansteigenden) Wirtschaftskraft mit einhergehendem CO2-Ausstoß (China, Indien), aufgrund der klimapolitisch bedeutsamen Waldressourcen (Brasilien, Indonesien) oder aufgrund industriepolitisch relevanter Vorbildfunktionen in der jeweiligen Region (Mexiko, Südafrika). Oftmals ist es eine Mischung aus diesen Faktoren. Zudem machen diese Staaten ihren Einfluss auch regional und global spürbarer, etwa über ihr Engagement in Drittstaaten oder auch in Sicherheits- und Finanzinstitutionen wie der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) oder der New Development Bank, die sie initiiert haben (NDB; die Bank der BRICS).
Notwendige, aber nicht unbedingt gleichgesinnte Partner
Trotz nationaler Entwicklungsagenden mit eigenen Nachhaltigkeitszielen haben diese Staaten nicht unbedingt vergleichbare Interessen oder gleiche Wertebezüge wie Deutschland und die EU. Dennoch sind sie unerlässlich für global tragfähige Problemlösungen. Für internationale Kooperation unter diesen Voraussetzungen ist jedoch die Verlässlichkeit von Zusagen auf Grundlage abgestimmter Interessen entscheidend. Dafür ist der Austausch auch – und gerade – mit denjenigen notwendig, die abweichende Perspektiven haben, in einem breiten Dialog mit Gesellschaften, nicht allein Regierungen. Hier hat Entwicklungspolitik umfangreiche Erfahrungen. Unterschiedliche Wertesysteme dürfen keine Vorbedingung für den Dialog sein, wenn wir etwa den Klimawandel angehen wollen.
Jenseits von Finanztransfers
Die großen Staaten „des Südens“ (in Selbstdefinition) verstehen sich als natürliche Partner für die Bearbeitung globaler Fragen. Das Denken in der Kategorie der „Entwicklungshilfezahlungen“ ist dabei verengend und unpassend. Gefragt sind handfeste Kooperationsformate mit Beiträgen aller Seiten. Von Partnerseite werden über den Klima-Schwerpunkt unmittelbar verbundene Felder wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz, Biodiversität, Ressourcenmanagement sowie Forschung und Training angesprochen. Der Austausch von Erfahrungen und gemeinsames Wissen um Problemstellungen und Lösungsmöglichkeiten stehen hierbei im Zentrum.
Da Hebelwirkungen durch finanzielle Unterstützung angesichts der Wachstumsprozesse in diesen Ländern schrumpfen, bietet global relevante Wissenskooperation ein wichtiges Feld, um gemeinsam das globale Gemeinwohl zu fördern. Kooperation gelingt in den Bereichen, in denen Wissen – Forschung sowie prozedurale Erfahrungen verschiedener Gruppen – nachgefragt wird und oftmals gemeinsam erst geschaffen werden muss.
Die nächste Bundesregierung sollte daher – ressortübergreifend und europäisch integriert – verstärkt in angewandte Forschung mit vielfältigen Akteuren und ihre länderübergreifende Vernetzung im globalen Süden investieren.
Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, Sven Grimm, Wulf Reiners, 10.06.2021