WHO Regionalbüro Europa | Weltgesundheitstag: Chancengleichheit im Mittelpunkt des Wiederaufbaus nach COVID-19

COVID-19 hat Auswirkungen auf uns alle, doch manche Gruppen sind berufsbedingt und aufgrund der Ungewissheit ihrer Lebensbedingungen und beruflichen Existenz besonders betroffen.

Die am härtesten getroffenen Gruppen sind auch tendenziell am wenigsten durch die vorhandenen nationalen Konzepte und Systeme geschützt, und die Pandemie hat ihre prekäre Situation drastisch verdeutlicht.

„Warum haben manche Menschen die Folgen von COVID-19 viel stärker zu spüren bekommen? Weil sie aufgrund ihrer beruflichen Situation, ihrer Wohnbedingungen, ihres Umfelds, ihrer sozialen Unterstützung und ihrer Gesundheitsversorgung von vorneherein schlechtere Karten hatten. Es ist jetzt an der Zeit, dass jeder und jede eine faire Chance bekommt und dass wir den Wiederaufbau nach der Pandemie in Angriff nehmen und nicht mehr nur ans Überleben denken, sondern auch an unser Wohlergehen danach“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

Zum diesjährigen Weltgesundheitstag appelliert die WHO an die Politik, gesundheitliche Benachteiligungen zu bekämpfen und dafür Sorge zu tragen, dass alle:

  • sichere Lebens- und Arbeitsbedingungen haben, die es ihnen ermöglichen, ein gesundes Leben zu führen und sich zu entfalten; und
  • Zugang zu einer bedarfsgerechten und hochwertigen Gesundheitsversorgung erhalten, ohne in finanzielle Not zu geraten.

Der lange Schatten von COVID-19

Unsere Welt war schon vor COVID-19 durch Ungleichheiten geprägt.

Bestehende Ungleichgewichte haben sich verschärft, insbesondere für Menschen, die aufgrund von Armut, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Bildungsniveau, Beruf, Migrationsstatus, Behinderung und Diskriminierung einer Vielzahl von Unwägbarkeiten ausgesetzt sind, zu denen nun neue hinzugekommen sind. Beispiele:

  1. Soziale Benachteiligung ist ein Risikofaktor für eine COVID-19-Infektion und für vorzeitigen Tod. Wir haben festgestellt, dass Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, auch in Bezug auf Infektion oder ein positives Testresultat das größte Risiko tragen. So wurden beispielsweise in Schweden 30% der Bewohner eines einkommensschwachen Wohngebiets positiv auf COVID-19 getestet, während es in wohlhabenderen Wohngegenden nur 4,1% waren.
  2. Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern: Weltweit machen Frauen etwa 70% der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen aus und sind damit häufiger als Gesundheitspersonal an vorderster Linie eingesetzt. Jüngste Daten aus Deutschland, Italien und Spanien zeigen, dass es beim weiblichen Gesundheitspersonal zwei- bis dreimal mehr bestätigte Fälle von COVID-19 gab als unter den männlichen Kollegen.
  3. Rassische und ethnische Zugehörigkeit: Menschen mit dunkler Hautfarbe und Angehörige von ethnischen Minderheiten tragen während der COVID-19-Pandemie ein unverhältnismäßig hohes Risiko in Bezug auf schwere Infektionen und vorzeitigen Tod. So waren 34,5% der lebensbedrohlich erkrankten COVID-19-Patienten im Vereinigten Königreich afrokaribischer oder asiatischer Herkunft oder Angehörige anderer ethnischer Minderheiten.
  4. Häftlinge und Pflegebedürftige: Es gibt neue Hinweise darauf, dass Häftlinge und Menschen in Pflegeeinrichtungen ein erhöhtes Risiko tragen. Ein besonderer Risikofaktor in Bezug auf die COVID-19-Mortalität ist der Aufenthalt in einem Pflegeheim. In Belgien, Frankreich, Irland, Italien und  Spanien entfielen zwischen 42% und 57% der Todesfälle aufgrund von COVID-19 auf Pflegeheime für ältere Menschen.

Triebkräfte gesundheitlicher Chancenungleichheit beeinträchtigen Leben und Gesundheit von Menschen

Sowohl im Gesundheitswesen als auch in allen anderen Politikbereichen herrscht dringender Handlungsbedarf zur Beseitigung der Hindernisse für ein gerechteres und gesünderes Leben für alle. In einem 2019 von WHO/Europa veröffentlichten Bericht wurden die fünf wesentlichen Triebkräfte gesundheitlicher Chancenungleichheit in der Europäischen Region der WHO herausgestellt:

  • Gesundheitssysteme: Zugangsbarrieren, unzureichende Qualität, finanzielle Härten aufgrund von Zahlungen aus eigener Tasche
  • Finanzielle Absicherung: Armut und die Unfähigkeit, über die Runden zu kommen
  • Lebensbedingungen: Mangel an menschenwürdigem Wohnraum sowie an Nahrungsmitteln und Brennstoffen; Leben in unterentwickelten, unsicheren Wohngegenden
  • Sozial- und Humankapital: Isolation, Machtlosigkeit und Mangel an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten
  • Beschäftigung und Arbeit: Mangel an menschenwürdiger Arbeit und ungünstige Arbeitsbedingungen

Chancengleichheit im Mittelpunkt des Wiederaufbaus

Regierungen und Bürger können gemeinsam die Grundursachen von Benachteiligungen in Angriff nehmen und Inklusion und Chancengleichheit in den Mittelpunkt aller Wiederaufbaumaßnahmen zur Schaffung einer gerechteren und gesünderen Welt stellen.

84% der Bürger in der Europäischen Region sind der Ansicht, dass der Abbau von Benachteiligungen oberste Priorität für ihre Regierungen haben sollte.

Wenn die richtigen politischen Handlungskonzepte umgesetzt werden, lassen sich sehr schnell Ergebnisse erzielen.

Neugestaltung unserer Welt

Benachteiligungen im Gesundheitsbereich sind nicht nur ungerecht, sondern auch vermeidbar. Die Schaffung gleichberechtigter und guter Startbedingungen für Mädchen und Jungen und die Förderung von Gesundheit im gesamten Lebensverlauf sind entscheidende Voraussetzungen für das Wohlbefinden und die Widerstandsfähigkeit der heutigen Gesellschaft und für künftige Generationen.

Im Europäischen Arbeitsprogramm, der Vision der WHO für ein gesundes Leben und Wohlergehen aller Menschen in der Europäischen Region, werden zwei zentrale Ziele verfolgt: niemanden zurückzulassen und die Handlungsfähigkeit der Gesundheitsbehörden zu stärken. Die Überwachung und Stärkung von Chancengleichheit im Gesundheitsbereich und in den Gesundheitssystemen wird daher ein Kernelement der Arbeit der WHO in den nächsten zehn Jahren sein.

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Quelle: WHO-Regionalbüro für Europa, 06.04.2021