Plastik, das aus Nutzpflanzen wie Mais oder Zuckerrohr anstatt aus Erdöl hergestellt wird, gilt allgemein als nachhaltig. Ein Grund: Pflanzen binden CO2 – und kompensieren so den Kohlenstoff, der bei der Entsorgung von Kunststoffen in die Atmosphäre gelangt. Allerdings gibt es einen Haken: Bei steigender Nachfrage an Rohstoffen für die Bioplastik-Produktion reichen die Anbauflächen nicht aus. In der Folge werden häufig natürliche Vegetationen in landwirtschaftlich genutzte Flächen umgewandelt und Wälder abgeholzt. Das wiederum setzt große Mengen CO2 frei. Die Annahme, dass mehr Bioplastik nicht zwangsläufig zu mehr Klimaschutz führt, haben Forschende der Universität Bonn jetzt in einer neuen Studie bestätigt. Sie fanden heraus, dass die Nachhaltigkeit von pflanzenbasierten Biokunststoffen maßgeblich vom Herkunftsland, seinen Handelsbeziehungen und dem verarbeiteten Rohstoff abhängt. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Resources, Conservation & Recycling“ erschienen.
Wie schon in vorherigen Analysen verwendeten die Wissenschaftler ein flexibles und nach dem Baukastenprinzip aufgebautes Wirtschaftsmodell, mit dem sie die Auswirkungen des steigenden Angebots an Bioplastik simulieren konnten. Das Modell basiert auf einer weltweiten Datenbank (Global Trade Analysis Project). Für ihre aktuelle Studie modifizierten die Forscher das ursprüngliche Modell, in dem sie sowohl konventionelle Kunststoffe als auch Biokunststoffe sowie zusätzliche Pflanzen wie Mais und Maniok aufschlüsselten. „Das ist entscheidend, um die Lieferkette von Biokunststoffen in den wichtigsten Produktionsregionen besser darzustellen und ihre Umweltauswirkungen aus der Lebenszyklusperspektive heraus zu bewerten“, betont Agraringenieurin Dr. Neus Escobar. Sie führte die Studie am Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik sowie am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn durch und ist mittlerweile am International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg (Österreich) tätig.
In der aktuellen Studie berücksichtigten sie und ihr Kollege Dr. Wolfgang Britz den Verlust der natürlichen Vegetation im globalen Umfang. Sie machten Schätzungen darüber, wo es wie viele Flächen gibt, die leicht in produktive Nutzungen umgewandelt werden können und berücksichtigten die dazugehörigen Modellparameter. In einer vorherigen Publikation hatten die Bonner Wissenschaftler bereits die Produktion von herkömmlichen Kunststoffen und Bioplastik in Brasilien, China, der EU und den USA aufgeschlüsselt – den Ländern, die bei der Produktion von Bioplastik führend sind. In ihrer jetzigen Studie schlossen sie darüber hinaus Thailand mit ein, wo es viele kohlenstoffreiche Wälder gibt. Experten erwarten, dass das asiatische Land in naher Zukunft zu einem weltweit führenden Hersteller von biologisch abbaubaren und biobasierten Kunststoffen wird. „All diese Änderungen des Modells sind notwendig, um die globalen Effekte zu erfassen, die aus den unterschiedlichen Maßnahmen oder Technologien resultieren“, sagt Dr. Wolfgang Britz, der mit seinem Team an der Erweiterung des Modells gearbeitet hat.
Faktoren wie Herkunftsland und Rohstoffe sind entscheidend
Die Forscher simulierten insgesamt 180 Szenarien (36 Szenarien pro Region), die nach dem Grad der Marktdurchdringung von Biokunststoffen und weiteren Modellparametern variierten. So konnten sie die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ermitteln. „Wir fanden heraus, dass die CO2-Fußabdrücke von kommerziell erhältlichen Biokunststoffen viel größer sind als die Werte, die bisher in der wissenschaftlichen Literatur und in politischen Berichten geschätzt wurden“, betont Neus Escobar.
Der Grund: Die CO2-Emissionen, die durch Veränderungen der Landnutzung entstehen, überwiegen langfristig die Einsparungen von Treibhausgasen durch die Substitution fossiler Rohstoffe. Mit einer Ausnahme: Die in Thailand hergestellten Biokunststoffe sparen im Durchschnitt zwei Kilogramm CO2 pro Tonne ein. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Marktanteil sowohl von Kunststoffen als auch von Biokunststoffen in Thailand viel kleiner ist als in den anderen Regionen. Die simulierte Steigerung der Biokunststoffproduktion ist damit relativ geringer, was zu geringeren Veränderungen bei den Erntepreisen und auf den Nahrungsmittelmärkten führt – und dadurch zu geringeren Veränderungen in der Landnutzung. Die Steigerung der Produktion von Biokunststoffen aus Maniok und Zuckerrohr kann jedoch zum Verlust von kohlenstoffreichen Ökosystemen innerhalb des Landes führen.
Keine Region zeichnet sich durch besonders nachhaltige Produktion aus
Insgesamt ergeben die Berechnungen, dass keine der Regionen in Bezug auf eine nachhaltige Produktion eindeutig besser aufgestellt ist als eine andere. Der größte Fußabdruck in der Landnutzung wird für chinesische Biokunststoffe geschätzt, während die Europäische Union den größten durchschnittlichen CO2-Fußabdruck aufweist: Biokunststoffe, die in der EU produziert werden, brauchen im Durchschnitt 232,5 Jahre, bis die globalen C02-Emissionen kompensiert sind. Die Biokunststoffproduktion in den USA verursacht hingegen den größten „Spillover“ – das bedeutet, dass die durch die Produktion bedingte Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen, die Abholzung und die Kohlenstoffemissionen im Rest der Welt größer sind als innerhalb des Landes. Die Produktion von Biokunststoffen in Thailand und Brasilien geht zu einem großen Teil mit dem Verlust von Waldflächen einher, was zusätzliche Auswirkungen auf die Biodiversität haben kann.
„Unsere Studie zeigt, dass eine Ausweitung der biobasierten Produktion sorgfältig für jede einzelne Region bewertet werden sollte, um potenzielle Nachhaltigkeitsrisiken und Zielkonflikte zu verstehen“, sagt Neus Escobar. Die Autoren betonen, dass die vorgeschlagenen Metriken in Zukunft dazu verwendet werden können, um die langfristige Nachhaltigkeit von bioökonomischen Eingriffen global zu überwachen. Die Kennzahlen könnten unter anderem dabei helfen, festzustellen, wo ergänzende politische Maßnahmen erforderlich sind – zum Beispiel, um Abholzungen zu verhindern.
Arbeit an zukunftsrelevanten Forschungsthemen
Die Studie ist thematisch eingebettet in den Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Innovation und Technologie für eine nachhaltige Zukunft“ der Universität Bonn. In sechs verschiedenen TRAs kommen Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fakultäten und Disziplinen zusammen, um gemeinsam an zukunftsrelevanten Forschungsthemen der Exzellenzuniversität zu arbeiten. Während der Studie war Neus Escobar Mitglied des Transdisziplinären Forschungsbereichs, Wolfgang Britz ist Mitglied des Exzellenzclusters „PhenoRob“ der Universität Bonn.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 05.02.2021