Am 15. September feierte die Welt eines der großen menschlichen Erfolgsmodelle: die Demokratie. Als die Vereinten Nationen vor dreizehn Jahren dieses Datum zum Internationalen Tag der Demokratie erklärten, wurden sie von einer globalen Demokratisierungswelle getragen. Mittlerweile ist die Demokratie von Innen und Außen unter Druck geraten und zum ersten Mal seit fast 20 Jahren gibt es mehr Autokratien als Demokratien auf der Welt. Internationaler Demokratieschutz ist nun das Gebot der Stunde.
Für zwei Dekaden schien der Trend zu mehr und stärkeren Demokratien eindeutig und unumkehrbar. Inzwischen gerät diese Herrschaftsform zunehmend unter Druck und wir beobachten einen globalen Autokratisierungstrend. Die globale Finanzkrise von 2008 und „Migrationskrisen“ in Europa haben in vielen Ländern zur Entstehung populistischer und nationalistischer Bewegungen beigetragen, die sich auch gegen demokratische Grundwerte wie politische Gleichheit oder Minderheitenschutz richten. In Ländern wie den USA, Indien, Brasilien oder Polen werden etablierte demokratische Institutionen und Prozesse hart attackiert: so wird die Unabhängigkeit von Wahlkommissionen geschwächt oder Gesetze benutzt, um die Pressefreiheit einzuschränken, religiöse Gruppen zu diskriminieren oder politische Opposition zu verfolgen. Und auch die SARS-CoV2-Pandemie hat ihren Beitrag geleistet: Einige Staaten nutzen die Ausnahmesituation, um ihre Machtbefugnisse auszuweiten und zivilgesellschaftliches Engagement einzuschränken.
Neu ist auch wie Autokratisierung verläuft, sprich existierende demokratische Institutionen und Mechanismen abgebaut werden. Im Gegensatz zum klassischen Umsturz durch einen Putsch sind aktuelle Prozesse weniger geprägt von plötzlichen Zusammenbrüchen demokratischer Institutionen, sondern von ihrer schrittweisen Erosion. Das führt in den betroffenen Ländern zu einem langsamen Abrutschen in hybride Herrschaftsformen. Hier werden Wahlen zwar regelmäßig abgehalten, aber Bürger- und Freiheitsrechte sowie Rechtsstaatlichkeit nicht respektiert und geschützt.
Wie kann und sollte die internationale Gemeinschaft auf diese Entwicklung reagieren?
In den 1990ern bekam die internationale Förderung von Demokratie Auftrieb. Zuletzt hat sie jedoch auf vielen politischen Agenden an Bedeutung verloren – auch aufgrund einer Versicherheitlichung internationaler Politik, wie im Kontext der Terrorbekämpfung. Die derzeitige globale Lage der Demokratie zeigt allerdings, dass Demokratieförderung weiterhin wichtig bleibt und es darüber hinaus notwendig ist, demokratische Errungenschaften zu schützen.
Eine zentrale Erkenntnis in der Demokratieförderung ist, dass der alleinige Fokus auf Wahlen nicht ausreicht. Autokratisierung findet vor allem zwischen Wahlen statt, indem politische Teilhabe, aber insbesondere auch Bürger- und Freiheitsrechte sowie Rechtsstaatlichkeit sukzessive eingeschränkt werden. Ohne diese grundlegenden Freiheiten verliert jedoch auch der Urnengang an Bedeutung. Besonders Besorgnis erregend ist, dass die Erosion dieser Institutionen und Freiheiten die Wehrhaftigkeit der Demokratie einschränken. Wenn die Gewaltenteilung untergraben und die sogenannten Checks and Balances zwischen demokratischen Institutionen außer Kraft gesetzt werden, verliert die Demokratie ihre Wehrhaftigkeit. Zum einen kann sich die Demokratie nicht selbst verteidigen, da zum Beispiel die parlamentarische Kontrolle eingeschränkt und die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt wird. Zum anderen kann auch die Bevölkerung die Demokratie nicht verteidigen, da demokratische Mittel wie Klagen gegen verfassungsfeindliche Maßnahmen, Demonstrationen oder öffentliche Kritik dann nicht mehr möglich sind oder Repressalien nach sich ziehen. Auch hier haben die Lock-down Maßnahmen während der Pandemie autokratischen Bestrebungen in die Hände gespielt. Daher ist die internationale Gemeinschaft gefragt, sich möglichst frühzeitig im Demokratieschutz zu engagieren und die grundlegenden Pfeiler von Demokratie vor subtiler Zersetzung zu bewahren. Wie Demokratie effektiv geschützt werden kann ist jedoch keine einfache Frage. Wissenschaftler*innen und Entscheidungsträger*innen werden sie gemeinsam beantworten müssen.
Weltweit sehen wir, dass Bürger*innen nicht tatenlos zusehen, sondern aktiv und oft unter Einsatz ihrer Freiheit oder sogar ihres Lebens auf die Straße gehen oder sich anderweitig für Demokratie engagieren: Sie wird eingefordert. Von Ecuador bis Hong Kong, von Belarus bis zum Sudan oder Mali streiten Menschen für ihre Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Dies zeigt, dass Demokratie als Idee widerstandsfähig und universell ist. Um diesen Menschen die Hand zu reichen bedarf es in der internationalen Gemeinschaft eines Verständnisses, Demokratie nicht nur zu fördern, sondern sie auch aktiv zu schützen.
Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 14.09.2020