Tonnen von ausgelaufenem Dieselöl bedrohen im ostsibirischen Norilsk die Natur. Roman Netzer, Experte für Ölunfälle von der Forschungsorganisation SINTEF, erklärt im DW-Gespräch, wie die Ölpest bekämpft werden kann.
Deutsche Welle: Wie schätzen sie den Ölunfall in Norilsk ein?
Roman Netzer: Bei SINTEF arbeiten wir hauptsächlich in Marinen-Milieus. Es geht also in erster Linie um Ölunfälle im Meer – durch Transport oder auch während der Produktion. Wir haben zum Beispiel viel nach dem Deepwater-Horizon-Unfall im Golf von Mexiko 2010 gemacht. Im Meer gibt sehr starke Verdünnungseffekte, und da ist die Situation völlig unterschiedlich zu dem, was jetzt in Russland passiert ist. Die Toxizität des Öls im Meer ist deutlich geringer als in einem Fluss. Auch die Menge des Dieselöls, die in Norilsk ausgetreten ist, ist sehr hoch, und das hat toxische Effekte für die Umwelt. Das Öl treibt jetzt in Richtung Arktis. Damit wird es immer schwieriger, das Öl einzufangen. Man hat während des Deepwater-Horizon-Unfalls gesehen, dass der Zeitfaktor extrem entscheidend ist.
Unsere Herangehensweise bei solchen Unfällen ist in erster Linie, das Öl im Wasser so gut wie möglich aufzulösen. Wenn sich erst einmal ein Ölteppich gebildet hat, wird es schwierig. Man muss versuchen, das Öl in kleine Tropfen zu bekommen, um dann eine Dispersion zu generieren, um das Öl quasi in das Wasser hineinzubekommen. Dann funktionieren die Abbaumechanismen durch die Mikrobiologie deutlich besser.
Wie kann man bei Unfällen in der Arktis vorgehen?
Normalerweise versucht man, möglichst viel von dem Öl wieder aufzufangen. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn man innerhalb eines gewissen Zeitfensters operieren kann. Das Problem mit dem Öl ist, dass es auch giftige wasserlösliche Komponenten enthält. Sobald es in einen Fluss oder ins Meer gelangt, lösen sich diese Bestandteile ins Wasser. Die kann man dann natürlich nicht wieder auffangen.
Und dann gibt es noch die sogenannten Verwitterungsprozesse, die auch relativ schnell stattfinden. Die leichtflüchtigen Bestandteile dampfen ab und die wasserlöslichen gehen ins Wasser. Man muss versuchen, das, was noch an der Oberfläche ist, auf jeden Fall wieder abzuschöpfen. Dazu eignen sich mechanische Barrieren, aber auch manuelle Reinigungsarbeiten.
Verbrennen ist eine weitere Methode, die man auf offener See anwenden kann. Aber dafür müssen gewisse Voraussetzungen gegeben sein. Nicht jedes Öl, das in die Umwelt gelangt ist, kann auch verbrannt werden. Die leichtflüchtigen gut brennbaren Bestandteile verdampfen relativ schnell. Nach einer gewissen Zeit ist es schwierig, das Öl zu verbrennen.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, sogenannte Dispergierungsmittel einzusetzen. Das sind seifenartige Verbindungen, die das Öl auflösen und in die Wasserphase einbringen. Dann entstehen feintropfige Dispersionen, die eine relativ große Oberfläche haben. Dann können Bakterien die Öl-Komponenten abbauen. Dies ist eine sehr effektive Methode, da hat man im Golf von Mexiko gesehen. Öl, das durch die Zufuhr chemischer Dispergierungsmittel in kleine Tropfen umgewandelt wurde, wurde relativ schnell durch Mikroorganismen abgebaut.
Kann man diese Methode auch im Fall Russlands anwenden?
Der Abbau durch die Mikrobiologie funktioniert prinzipiell immer. Es kommt aber darauf an, wie stark die Verunreinigungen sind. Derzeit ähnelt die Situation in Russland eher Scenarien, die man aus Nigeria kennt, wo eine relativ hohe Konzentration von Öl in relativ begrenzten Flächen ausgetreten ist (Ogoni-Land, Nigerdelta). Das ist problematisch, weil diese hohen Konzentrationen auch viele Mikroorganismen abtötet, welche Öl abbauen können. Es kommt darauf an, wie die Mikrobiologie darauf reagiert. Man muss schauen, wie die Einwirkungen auf die Mikroflora vor Ort sind.
Schätzungen zufolge könnte es bis zu zehn Jahre dauern, bis sich die Natur in Norilsk wieder erholt. Ist das realistisch?
Das hängt sehr stark davon ab, wie viel von dem Öl wieder eingesammelt werden kann. Normalerweise kann man die Folgen begrenzen, wenn man sehr frühzeitig relativ viel Öl wieder einsammelt. Wenn das Öl allerdings schon länger in der Umwelt und sehr stark verwittert ist, dann wird der Abbau durch biologische Prozesse immer schwieriger. Dann dauert das natürlich sehr lange, vielleicht jahrelang.
Wegen der Erderwärmung tauen die Permafrostböden auf, was auch Ursache für das Auslaufen von 20.000 Tonnen Diesel in Sibirien ist. Muss man künftig mit solchen Katastrophen häufiger rechnen?
Wenn man auf diese Gefahren nicht reagiert und die Infrastruktur, wo Öl gelagert wird, nicht stabilisiert, dann ist das Risiko weiterhin gegeben. Momentan deutet alles darauf hin, dass durch die Klimaveränderung auch der Permafrost weiter schmelzen wird und die Auswirkungen in Zukunft deutlich sichtbarer werden.
Roman Netzer ist Senior Research Scientist bei SINTEF Ocean, einer unabhängigen Forschungsorganisation im norwegischen Trondheim. SINTEF bietet Expertise in vielen Bereichen, darunter bei der Bekämpfung von Ölverschmutzungen.
Quelle: Deutsche Welle, Aleksandra Jolkina, 10.06.2020