Die Bilder in den Nachrichten waren eindrucksvoll: Kristallklares Wasser und Schwärme von Fischen in den Kanälen Venedigs, sinkende Luftverschmutzung oder Schwarzwild, das in menschenleeren Städten durch die Straßen zieht. Die Einschränkungen im Kontext der COVID-19-Pandemie wirkten sich unmittelbar auf die Umwelt aus und führten zu einem Rückgang des globalen CO2-Ausstoßes. Deutschland könnte Prognosen zufolge sogar sein Klimaziel für 2020 erreichen. Grund zur Freude besteht trotzdem nicht: Die Folgen der Pandemie könnten für die globale Klimapolitik einen schweren Rückschlag bedeuten.
Obwohl es sich bei beiden Krisen um globale (Gesundheits-)Notstände handelt, sind die Reaktionen auf COVID-19 und den Klimawandel sehr unterschiedlich. In der Pandemie wurden drastische Maßnahmen ergriffen, um die Anstiegskurve der Infektionen abzuflachen. Auch der Klimawandel ist ein globaler Notstand, der künftig jährlich über 250.000 Todesfälle durch Hitzewellen, Dürren und den Anstieg des Meeresspiegels verursachen könnte. Mit der fortschreitenden globalen Erwärmung nehmen die negativen Auswirkungen auf alles Leben auf unserem Planeten immer weiter zu. Wissenschaftler*innen warnen vor „Kipp-Punkten“ im Erdsystem, mit verheerenden Folgen für besonders betroffene Regionen und künftige Generationen. Ungeachtet dieses Wissens wird der Klimawandel nach wie vor nicht als globale Notlage wahrgenommen und behandelt. Nun droht die Pandemie auch noch die Dynamik der Klimabewegung zu bremsen, indem sie dem Thema Aufmerksamkeit entzieht und Protestmöglichkeiten einschränkt. Die entscheidende UN-Klimakonferenz 2020 (COP26) wurde auf 2021 verschoben, was den ohnehin schleppenden internationalen Klimaprozess weiter schwächen wird.
Zudem wird der Rückgang der CO2-Emissionen nicht von Dauer sein. Jetzt, wo viele Länder ihre Einschränkungen lockern, werden die Menschen zu alten Gewohnheiten wie häufigen Flugreisenzurückkehren. Die kurzfristig abgeflachten Emissionen werden also wieder ansteigen – durch einen erwarteten Rebound-Effekt vermutlich sogar schneller als zuvor. Darüber hinaus haben mehrere Regierungen bereits angekündigt, die Luftfahrt und andere Sektoren der fossilen Energiewirtschaft zu retten, was Treibhausgasemissionen auch längerfristig befeuert. Es ist also offensichtlich, dass die kurzfristig gesunkenen Emissionen im Zuge der Pandemie nicht ansatzweise ausreichen, um die globale Erwärmung aufzuhalten.
Die Länder des globalen Südens sind besonders stark von der Pandemie als auch vom Klimawandel betroffen. Nun müssen sie gegen beides kämpfen, die Folgen von COVID-19 und die verheerenden Auswirkungen der Erderwärmung. Diese Mammutaufgaben treffen auf ohnehin schwierige Bedingungen wie den beschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen, schwache und überlastete Gesundheitssysteme, fehlende soziale Absicherung sowie Armut, Hunger oder Konflikte. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds haben ausländische Investoren bereits 100 Milliarden USD aus Schwellen- und Entwicklungsländern abgezogen. Es wird zudem erwartet, dass die Geldsendungen von Migrant*innen an ihre Familien im globalen Süden stark abnehmen werden. Diese zusätzlichen Herausforderungen und finanziellen Verluste schränken den Spielraum weiter ein, der für die Umsetzung der internationalen Klima- und Nachhaltigkeitsziele zur Verfügung steht. Die Entwicklungspolitik hat bereits auf die Corona-Krise reagiert, muss aber auch die Unterstützung in der Klimakrise weiter ausbauen.
Im Gegensatz zur Corona-Krise ist die Klimakrise bislang weniger sichtbar. Doch wir müssen ähnlich drastisch und konsequent handeln. Es bedarf langfristiger Lösungen, politischer Maßnahmen und systemischer Veränderungen, um unser Wirtschaftssystem auf Klimaneutralität und das globale Gemeinwohl auszurichten. Auch unsere Demokratien müssen wir an diese Herausforderungen anpassen. Nur so können wir Krisen wie dem Klimawandel besser begegnen. Es ist höchste Zeit, Klimaschutz zum Staatsziel zu erheben. Für eine angemessene Reaktion auf die drohende Klimakatastrophe muss der globale Norden jetzt handeln. Der erste Schritt ist, dass Deutschland und die EU sämtliche Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der Pandemie und darüber hinaus am1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ausrichten.
Die Tatsache, dass viele Regierungen auf die Wissenschaft gehört und drastisch auf den Ausbruch des Coronavirus reagiert haben, zeigt, dass starke Volkswirtschaften das nötige politische und finanzielle Kapital aufbringen können, um auf die Klimakrise zu reagieren. Während die Pandemie hoffentlich mit Hilfe eines Impfstoffs überwunden werden kann, gibt es gegen den Klimawandel keine Impfung. Die gute Nachricht ist, dass auch beim Klimawandel wissenschaftlicher Rat zur Verfügung steht. Alle staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen des Lockdowns müssen also mehrere Zwecke gleichzeitig erfüllen: Kurz- und mittelfristige Anstrengungen müssen mit langfristigen Nachhaltigkeitszielen im Einklang sein und die lokale Solidarität der letzten Monate muss auf die globale Ebene ausgeweitet werden. Bei allem Leid, das COVID-19 verursacht, bieten die aktuell geschnürten Rettungspakete auch die Chance, uns in eine bessere Zukunft zu schicken. Flatten the curve – ab jetzt auch bei der Erderwärmung.
Quelle: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 25.05.2020