
Das Textilbündnis, der Grüne Knopf… Was leisten solche freiwilligen Maßnahmen? Wie können sie einander ergänzen? Wie beurteilt FEMNET deren Umsetzung? Und warum braucht es dringend eine gesetzliche Basis, um die Arbeitsbedingungen in globalen Wertschöpfungsketten nachhaltig zu verbessern?
Hungerlöhne, überlange Arbeitszeiten, erzwungene Überstunden – unter oft menschenunwürdigen Bedingungen nähen Millionen Textilarbeiter_innen in Asien oder Afrika Kleider für den Weltmarkt. Viele haben ihr Leben dabei verloren, etwa bei dem Brand der pakistanischen Fabrik Ali Enterprises oder dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch. Diese Katastrophen bewegten Bundesentwicklungsminister Gerd Müller 2014 dazu, das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben zu rufen. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollten gemeinsam die sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen in der Textilproduktion verbessern – „vom Baumwollfeld bis zum Bügel“. Leider geht dessen Arbeit nur schleppend voran und wird primär von Fachkreisen wahrgenommen. Nun setzt der Minister auf die Verbraucher_innen und will mit dem „Grünen Knopf“, einem staatlichen Metasiegel, einzelne Produkte auszeichnen. Statt gesetzlicher Regelungen setzt der Minister damit erneut auf eine freiwillige Maßnahme.
Das Textilbündnis
Seit nunmehr fünf Jahren besteht das Bündnis für nachhaltige Textilien, kurz Textilbündnis genannt – eine Multistakeholder-Initiative mit rund 120 Mitgliedern. An dieser beteiligen sich derzeit rund die Hälfte der deutschen Bekleidungsunternehmen mit ihren Verbänden, 19 Nichtregierungsorganisationen, zwei Gewerkschaften sowie sechs Standardorganisationen wie Fairtrade und Global Organic Textile Standard (GOTS). FEMNET vertritt die Zivilgesellschaft im obersten Gremium, dem Steuerungskreis. Darüber hinaus arbeiten wir intensiv in Expert_innengruppen zu Themen wie „Maßnahmenpläne zur Wahrnehmung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in der Lieferkette“, „Beschwerdesysteme“ oder „Transparenz“ mit.
Veröffentlichung der Pläne und ihrer Umsetzung
Alle Mitglieder haben sich verpflichtet, eine ein-, zukünftig zweijährige Jahresplanung (Roadmap) vorzulegen und diese auch zu veröffentlichen. In dieser müssen Unternehmen darlegen, wie sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen – etwa was sie gegen Arbeitsrechtsverletzungen tun und wie sie den Einsatz von Chemikalien reduzieren wollen. Ebenfalls haben sie sich dazu bereit erklärt, über den Fortschritt der Maßnahmen öffentlich zu berichten. Auch konnte man sich auf verbindliche Ziele wie die Zahlung von existenzsichernden Löhnen, Zugang zu Beschwerdemechanismen oder auch eine Antikorruptionspolicy einigen.
Ein Blick auf die Unternehmenspläne ist allerdings ernüchternd: So reicht es, dass die Unternehmen intern einen Fragebogen zur Analyse der eigenen Einkaufspraxis ausfüllen, um ihren Einsatz für „existenzsichernde Löhne“ nachzuweisen. Natürlich spielt die Einkaufspraxis eine wichtige Rolle, etwa eine Preissetzung, die eine höhere Lohnzahlung der Lieferanten an die Arbeiter_innen erlaubt. Aber eine konkretere Maßnahme wäre wünschenswert.
Die bisherigen Roadmaps sind deshalb wenig aufschlussreich; es wird nicht klar, ob ein Unternehmen die entscheidenden Prozesse zur Erfüllung seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette umsetzt. So nimmt kein einziges Unternehmen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in Angriff, obwohl diese in Ländern wie Bangladesch und Indien fast überall vorkommt.
Derzeit werden die Berichtsanforderungen und das -format überarbeitet – bis Ende des Jahres wird sich zeigen, in welcher Tiefe und wie transparent Unternehmen berichten werden.
Weitere Kritikpunkte: Bislang weigern sich einige Unternehmen noch, ihre Zulieferer zu veröffentlichen. Das ist für uns schwer nachvollziehbar. Ebenso kritisieren wir, dass zu wenige Unternehmen bereit sind, sich an einer Bündnisinitiative in einem Land (z.B. Kambodscha) zum Thema existenzsichernde Löhne zu beteiligen, um dort beispielhaft höhere Löhne zu zahlen.
Konkrete Schritte mit der Bündnisinitiative in Tamil Nadu
Immerhin gibt es auch Lichtblicke: So konnte FEMNET eine Bündnisinitiative in Tamil Nadu, Indien, initiieren, an der sich vier Unternehmen (Tchibo, Otto, KiK, Hugo Boss) sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beteiligen. Gemeinsam wollen wir die Situation junger Mädchen in Spinnereien verbessern, indem wir den Aufbau funktionierender Komitees gegen sexuelle Gewalt unterstützen.
Fazit: Langer Atem erforderlich
In Multistakeholder-Gremien wie dem Textilbündnis ist nicht mit schnellen Erfolgen zu rechnen, sondern ein langer Atem erforderlich, bis sich die Situation der Näherinnen tatsächlich verbessert.
Der Grüne Knopf
Der Grüne Knopf ist ein staatliches Metasiegel und kommt dem Bedürfnis von Verbraucher_innen nach, mehr Durchblick im Siegeldschungel zu erhalten. Damit übernimmt die Bundesregierung die Verantwortung für die korrekte Anwendung des Siegels. Dies ist sicherlich ein wichtiger Schritt. Der Grüne Knopf will menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen in die Bewertung einbeziehen. Damit ist er kein reines Produktsiegel, was dem Greenwashing vorbeugt. Das ist positiv.
Kriterien, Prüfmechanismen und Transparenz
Allerdings ist der Grüne Knopf nur dann glaubwürdig, wenn seine Kriterien auch anspruchsvoll genug sind – und dies ist derzeit noch nicht der Fall. Denn das Siegel deckt nicht die ganze Lieferkette ab, sondern nur die letzten Stufen der Verarbeitung: Konfektion und Nassprozesse (Waschen, Färben). Die katastrophalen Bedingungen in den Spinnereien werden damit beispielsweise nicht erfasst, auch nicht Kinderarbeit in der Baumwollernte. Auch wird nur die Zahlung eines Mindestlohns, nicht die eines existenzsichernden Lohns zugesichert.
Noch ist unklar, wie streng die Kriterien sowie die Nachweisführung umgesetzt werden. So sind Vor-Ort-Prüfungen in Form von Stichproben möglich, wie häufig diese aber vorkommen, muss die Praxis erst zeigen. Auch verlässt sich das BMZ bei der Prüfung der Produkte auf standardsetzende Organisationen und erkennt deren Siegel wie den Global Organic Textile Standard (GOTS) und Fairtrade als ausreichend für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards an. Diese Siegel beruhen auf Fabrikprüfungen, sogenannten Audits. Audits zeigen aber nur eine Momentaufnahme und spiegeln nicht die volle Realität in einer Fabrik wider. Zahlreiche Studien belegen, dass Audits oft wesentliche Arbeitsrechtsverletzungen wie Frauendiskriminierung, Einschränkung der Organisationsfreiheit bis hin zu Sicherheitsproblemen nicht aufdecken. Zudem verlangen auch Siegel wie der GOTS nicht die Zahlung von existenzsichernden Löhnen.
Auch unternehmenseigene Produktsiegel werden akzeptiert, wenn sie bestimmten Kriterien genügen. Hier muss die Praxis erst erweisen, welche Siegel das sind und ob sie tatsächlich den Anforderungen entsprechen. Unternehmenseigene Siegel sind höchst fragwürdig, da sie nicht extern kontrolliert werden.
Vor allem ist noch unklar, wie transparent über die Einhaltung der Kriterien und die Vergabe des Grünen Knopfes berichtet wird. Es wird sich zeigen, welche Information dem QR-Code – der zukünftig geplant ist – für jedes Produkt zu entnehmen sind.
Fazit: Der Grüne Knopf ist derzeit nicht anspruchsvoll genug
Während der Grüne Knopf vor allem ein Marketinginstrument der Unternehmen ist, dessen Glaubwürdigkeit der staatliche „Segen“ erhöht, bietet ein Textilbündnis die Chance, gemeinsam etwas zu bewirken. Bei einigen tiefgreifenden Problemen in der Lieferkette, wie dem Fehlen von existenzsichernden Löhnen, kann ein Unternehmen allein kaum nachhaltige Veränderungen erreichen.
Gesetzliche Regeln
Der Grüne Knopf ist genauso wie das Textilbündnis eine freiwillige Initiative, an der sich viele Unternehmen nicht beteiligen. Daher ist eine gesetzliche Regelung überfällig, die Unternehmen in die Pflicht nimmt, Sozial- und Umweltstandards zu wahren. Auf Basis eines solchen Lieferkettengesetzes müssen Betroffene von Menschrechtsverletzungen die einkaufenden Unternehmen auch vor deutschen Gerichten verklagen können.
So hat Frankreich ein Gesetz erlassen, England den Anti-Slavery Act umgesetzt und die Niederlande haben ein Gesetz gegen Kinderarbeit auf den Weg gebracht. Die deutsche Regierung hingegen will weiterhin alles auf freiwilliger Basis regeln. Wir aber fordern eine gesetzliche Regelung in Deutschland, besser noch auf europäischer Ebene. Freiwillige Maßnahmen wie der Grüne Knopf und ein verbessertes Textilbündnis könnten darauf aufbauen.
Quelle: FEMNET e.V. – feministische Perspektiven auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Dr. Gisela Burckhardt, 23.10.2019