Jedes Jahr landen 10 Millionen Tonnen noch genießbarer Lebensmittel im Müll, und das nur alleine in Deutschland! (Quelle: WWF 2015) Da jedes Lebensmittel aber auch angepflanzt, transportiert und eventuell noch gekühlt werden muss, kommt dies einer riesigen Verschwendung an Arbeitskraft, Fläche und Energie gleich. Sogenannte Foodsaver setzen sich deswegen dafür ein, dass diese Lebensmittel gar nicht erst im Müll landen und retten sie ehrenamtlich bei Produzenten und Händlern vor der Mülltonne.
Aber wie sieht das eigentlich konkret aus? Wie kann man sich das “Retten” vorstellen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir uns einen Tag Zeit genommen und haben all das protokolliert, was man sonst nur als Foodsaver sieht.
Bevor wir euch erzählen, wie man ohne Probleme einen kompletten Tag dem Retten von Lebensmitteln widmen kann, möchten wir zunächst sagen, dass selbstverständlich nicht jeder unserer Tage so aussieht. Foodsharing lebt von der Gemeinschaft und der Teamarbeit, die es jedem ermöglicht, sich so viel oder so wenig einzubringen, wie möglich ist; ganz egal ob 10 Abholungen am Tag oder eine in einem Monat.
8:30 Uhr
Mit Gemüsekisten und Ikea Taschen gewappnet machten wir uns auf den Weg zu einem mittelgroßen Supermarkt, bei dem es in der Regel 8–10 Kisten mit Obst und Gemüse sowie ein bis zwei Körbe an Mopros gibt. Mopro ist die Kurzform für Molkereiprodukte, dazu zählt beispielsweise Milch, Joghurt, Käse und ähnliches. Bei den meisten Kooperationen wird uns alles gegeben, was sonst in der Mülltonne landen würde und wir sortieren aus, was noch gegessen werden kann und was nicht. So kann jeder auch individuell entscheiden, wie weit er/sie persönlich beim Lebensmittelretten gehen möchte: Habe ich oder einer meiner Abnehmer einen Hasen und kann so auch lose Salat- und Kohlblätter verwerten? Nehme ich den Joghurt, was offensichtlich im Lager vergessen wurde und nun schon 5 Monate über dem MHD ist, für mich selbst mit und lasse meine Sinne entscheiden, ob ich es noch essen sollte? Oder schneide ich wohlmöglich sogar matschige Stellen aus Äpfeln und Co. einfach nur raus? Während wir nur Lebensmittel weitergeben, welche auf jeden Fall kein gesundheitliches Risiko darstellen, dürfen wir auf eigenes Risiko im Grunde alles einpacken.
So auch bei dieser Abholung: sechs Liter Milch wurden über Nacht nicht gekühlt. Selbstverständlich nehmen wir sie trotzdem mit, wegschütten kann man sie ja zuhause immer noch. Zuhause haben wir eine Packung geöffnet, sie war noch absolut in Ordnung.
Ansonsten gibt es wie immer viel Obst und Gemüse – mit dabei: viele Paprika, die noch einen Schönheitswettbewerb gewinnen könnten, eine kleine Kiste gefüllt mit Granatäpfeln, sehr sehr viele Champignons und anderes. Aussortieren müssen wir leider viele Weintrauben und Himbeeren, in denen der Schimmel schon als besonders flauschiges Haustier durchgehen könnte.
Nach dem Sortieren und 45 Minuten später haben wir etwa 3 Gemüsekisten Bioabfall, 2 Kisten voller Plastikmüll, sowie 4,5 Kisten mit noch genießbaren Lebensmitteln. Was für ein Gewinn!
10:00 Uhr
Normalerweise fängt nun die eigentliche Arbeit erst an: Das Verteilen (auch als Fairteilen bekannt) der Lebensmittel. Dabei ist unser Grundsatz: Das Essen soll gegessen werden. Das bedeutet, dass das Essen auch an Menschen gegeben werden kann, die sich auch selbst Essen kaufen können. Aus diesem Grund verteilen viele ihr gerettetes Essen an Freunde, Bekannte, Nachbarn, Arbeitskollegen – oder behalten es selbst. Dabei muss man jedoch betonen, dass der Punkt “Selbstbehalten” zwar super klingt, aber versucht mal 10 Kilo Salat alleine zu essen…
Noch schöner, als seine eigenen Freunde glücklich zu machen ist es aber, ein Lächeln von Leuten zu bekommen, die es finanziell nicht so leicht haben. Aus diesem Grund nutzen wir auch die Möglichkeit bei sozialen Anlaufstellen, wie zum Beispiel Obdachlosenheimen oder Seniorenheimen, Lebensmittel abzugeben.
Dort landet auch unser geretteter Rettich, mit dem die ältere Generation in der Regel noch mehr anfangen kann als die jüngere.
Die meisten anderen Lebensmittel behalten wir, um sie am kommenden Abend bei einem Kochabend im internationalen Club der Uni Bonn zu verwerten.
11:40 Uhr
Los geht es zum nächsten Supermarkt. Dieses Mal handelt es sich allerdings um einen sehr großen, bei dem die Mengen so sehr schwanken, dass manchmal nur ein Rucksack voll ist, an anderen Tagen allerdings 3 Autos benötigt werden um alles zu transportieren. Neben Gemüse, Obst und Mopros bekommen wir hier auch häufig wagenweise Blumen, die mehr oder weniger traurig aus ihren Pötten schauen.
Heute sind wir zu viert. Zwei Tage zuvor gab es ungefähr 40 gefüllte Gemüsekisten (übrigens: Wer noch nie mit einer solchen Kiste in Berührung gekommen ist; Die Grundfläche der Teile beträgt 40 x 60cm), und wir erwarten gespannt, was uns dieses Mal erwartet.
Begrüßt werden wir mit dem Spruch: ‘Och, jetzt seid ihr so viele, dabei gibt es heute so wenig!’. Und tatsächlich: Es gibt genau eine Kiste mit Bananen sowie 4 Packungen Schnittblumen und noch ein bisschen vereinzeltes Obst. Nach rekordverdächtigen 10 Minuten sind wir mit dem Sortieren fertig und stehen wieder draußen.
Und auch das ist Foodsharing: Man weiß wirklich nie, was einen erwartet. Man muss spontan und flexibel sein und lernen, dass man bestimmte Dinge nicht kontrollieren oder Vorhersagen kann. Eigentlich eine schöne Übung für das ganze Leben.
12:30 Uhr
Kurze Verschnaufpause zuhause. Das Gemüse und Obst ist in der Wohnung (wir agieren alle von zuhause aus und haben, anders als einige andere Organisationen kein zentrales Lager/ Filiale). Wir überlegen uns, welche Lebensmittel möglichst sofort wegsollten und kochen kurzerhand daraus ein wohlverdientes Mittagessen. Es gibt Reis und ein asiatisches Fertiggericht aus Gemüse, welches wir mit etwas frischem Gemüse optimieren.
Im Anschluss machen wir ein kleines Fotoshooting mit den geretteten Lebensmitteln für unseren Instagramaccount (@foodsharing_bonn).
16:30 Uhr
Nächste Abholung, dieses Mal bei einem der Cafés des Studierendenwerks Bonn. Das Studierendenwerk spendet seit etwa zwei Jahren nicht mehr verkäufliche Lebensmittel an Foodsharing. Zu retten gibt es hier, verglichen mit der Größe des Unternehmens, immer sehr wenig. Irgendwo muss da ein Meister der Kalkulation sitzen. Wir retten einige belegte Brötchen und bringen sie im Anschluss in ein Heim für Bedürftige, wo sie mit Freude entgegengenommen werden.
20:45 Uhr
Nächste Abholung in einer Selbstbedienungs-Bäckerei. Hier nutzen wir unsere altbekannten Ikea Tüten nur zum Transport der großen, weißen und lebensmittelechten Eimern. Solltet ihr mal jemanden mit weißen Eimern durch die Gegend laufen sehen: Sprecht ihn ruhig an, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er zu uns gehört und gerade ganz viel leckeres Essen transportiert ;).
Wir verlassen den Laden mit belegten und überbackenen Brötchen, süßen Teilchen wie Donuts, Berlinern und Croissants und (mal wieder) literweise Milch, welche den Tag in den Kaffeeautomaten verbracht hat. Denn ja, auch Milch aus solchen Automaten landet im Müll beziehungsweise im Abfluss, da sie regelmäßig gewechselt werden muss.
Je nachdem, wie man anreist, ist so eine Rettung manchmal auch voller Nervenkitzel: Schaffe ich es, die 5 Liter Milch nach Hause zu transportieren, ohne dass ich die Straße, jemand anderen oder gar mich selbst unter Milch setze? Hat sich ausversehen ein herzhaftes Teilchen unter die Süßen gemischt und überzeugt anschließend mit Schinken-Zucker-Geschmack?
Eine halbe Stunde später treffen wir wieder bei einem Heim für Bedürftige ein, wo die belegten Brötchen und süßen Teilchen wie immer große Freude auslösen. Wer geht schon gerne mit leerem Magen ins Bett?
22:30 Uhr
Letzte Abholung! Bei einem Hotel dürfen wir die Brötchen retten, die vom Frühstück und Abendessen übrigbleiben. Die Stimmung in dem Betrieb ist immer super, trotz der späten Stunde sind die meisten zu Scherzen aufgelegt und so macht auch diese Abholung trotz wachsender Müdigkeit Spaß. Generell ist auch das ein toller Teil bei Foodsharing: Man redet mit Menschen, die täglich mit Lebensmitteln zu tun haben und erfährt ihre Freude, dass diese Lebensmittel eben nicht im Müll landen müssen.
Wir füllen eine große Ikea Tüte, die ganze 71 Liter fasst, mit Brötchen und Brot, welche wir aber erst am nächsten Tag verteilen; nun freuen wir uns erst einmal auf unser Bett!
Haben wir heute die Welt gerettet?
Nein, definitiv nicht. Was wir aber geschafft haben sind etwa 60 kg noch genießbarer Lebensmittel vor der Tonne zu retten und damit einiges an Arbeitszeit, CO2 und Wasser vor der Verschwendung zu bewahren. Und nicht zu vergessen, haben wir verschiedenen Menschen etwas zu Essen verschafft. Solchen, die sich die Lebensmittel vielleicht gar nicht leisten könnten, aber auch solchen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit ihrem eigenen Tun und Handeln einen möglichst geringen negativen Effekt auf die Erde zu haben.
Trotzdem ist noch viel zu tun. Um dem Phänomen Lebensmittelverschwedung ein Ende zu setzen, brauchen viele ganz unterschiedliche Ebenen unsere Aufmerksamkeit. Da wären die Supermärkte und Bäckereien, die ihre Lebensmittel lieber verbrennen lassen bis hin zu Konsumenten, die lediglich Äpfel essen möchte, die wie aus einem Märchen aussehen. Wenn du also ab und an ein bisschen Zeit übrighast und uns bei unserer Arbeit unterstützen möchte, freuen wir uns auf dich!
Weitere Informationen über uns findest du auf foodsharing.de
Autorinnen: Ve Wolff und Eva Gerlitz