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Even in times of great political uncertainty and the painstakingly long government-forming process, one thing remains clear: the commitment of the (possible) coalition partners of the SPD and Union parties to tackling the causes of flight. As it states in the coalition agreement negotiated the week before last, development co-operation should be employed above all in Africa to create “local future prospects”. This primarily refers to jobs, which are intended to stop people from embarking on the perilous journey through the Sahara and across the Mediterranean in the first place. However, this objective of the new German government indicates once again that the subject of “causes of flight” is still not being addressed with the necessary complexity.
Mono-causal explanations enjoy great popularity in the public and political discussion of the subjects of flight and migration. There is actually one key cause of flight in international law: the constant increase in the global refugee figures – around 65 million people are currently designated refugees or internally displaced – is above all due to armed conflict. The intensity of armed conflict has increased dramatically in the last ten years. This is due not Republic only to the war in Syria, but also other conflicts such as that in South Sudan or in the Democratic of the Congo.
However, the flight causes debate not only centres around refugees from wars, it also covers the – from a European viewpoint – “irregular” migration between Africa and Europe. A large portion of these migrants do not originate from countries affected by wars; their migration can be seen as a response to a range of different – and mutually reinforcing – conditions. As suggested by the term “mixed migration”, flight reasons such as conflict, repression, weak state institutions and terror are combined with classic migration motives such as the strive for better economic prospects.
The popularity of simple or one-dimensional explanations for complex migration causes became apparent at the end of last year when the scientific journal “Science” published a study illustrating a supposed interrelation between global warming and the number of asylum seekers in Europe. Whilst the scientific world was largely aghast at this over-simplification of the link between climate change and (flight) migration, numerous media sources reported uncritically, taking the questionable forecasts of future refugee numbers in Europe as gospel.
As the coalition agreement shows, there is another highly popular explanation for migration which, like the Science study, eschews complex interrelations for a simple cause-effect logic: poverty. It has long been known in migration research that poverty hinders migration much more than it aids it. The poorest countries in the world, such as Niger, Chad or Burkina Faso, have scarcely any international migrants. It is only when wages and employment increase that rates of outward migration rise. If the economic situation in the various African countries improves (further) in the coming years, this does not necessarily mean that many more people will embark on the hazardous journey to Europe. However, it could certainly mean that the desire grows in many people to migrate internationally along safe, regular channels. The logic of using the promotion of economic growth and employment to stem migration fails to apply, and could indeed have the reverse effect.
As a consequence, we need to consider both the apparently simple explanations and their seemingly logical political solutions when pondering global flight and migration. For example, the desperate migration of thousands of young people from Africa towards the Mediterranean and Europe cannot be explained “solely” by European arms exports, the Western lifestyle, corruption, the failure of local elites, unfair global trade structures or environmental change. Instead, we need to recognise that all of these factors – and many more besides – cause migration. We need to dare to be more complex. The Grand Coalition could itself aid us in this. Because it also intends to establish a “Causes of flight” committee in the Bundestag, in order to address this subject in greater depth. We should regard this as an opportunity to be grasped.
Source: Website German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 19.02.2018[:de]
Auch in Zeiten größter politischer Verunsicherung und einer sich quälend lange hinziehenden Regierungsbildung bleibt eine Sache klar: Das Bekenntnis der (Vielleicht-)Koalitionäre von SPD und den Unionsparteien zur Fluchtursachenbekämpfung. Wie es im vorletzte Woche ausgehandelten Koalitionsvertrag heißt, sollen durch die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit vor allem in Afrika „Zukunftsperspektiven vor Ort“ geschafften werden. Damit sind in erster Linie Arbeitsplätze gemeint, die die Menschen davon abhalten sollen, die gefährliche Reise durch die Sahara und über das Mittelmeer in Richtung Europa überhaupt anzutreten. Diese Zielvorgabe der sich abzeichnenden neuen Bundesregierung zeigt aber einmal mehr, dass das Thema „Fluchtursachen“ nicht mit der notwendigen Komplexität angegangen wird.
In der öffentlichen und politischen Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Migration erfreuen sich mono-kausale Erklärungsmuster größter Beliebtheit. Zwar gibt es eine Hauptursache für Flucht im eigentlichen völkerrechtlichen Sinne: Die stetige Zunahme der weltweiten Flüchtlingszahlen – derzeit gelten etwa 65 Millionen Menschen als Flüchtlinge und Binnenvertriebene – hat vor allem mit bewaffneten Konflikten zu tun. Die Intensität bewaffneter Konflikte hat in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen. Dies liegt nicht nur am Krieg in Syrien, sondern auch an anderen Konflikten wie dem im Südsudan oder in der Demokratischen Republik Kongo.
Die Fluchtursachen-Debatte dreht sich allerdings bei weitem nicht nur um Kriegsflüchtlinge, sondern umfasst auch die aus europäischer Sicht „irreguläre“ Migration zwischen Afrika und Europa. Ein Großteil der Migranten stammt hier nicht aus von Kriegen betroffenen Ländern; ihre Migration kann als Reaktion auf vielfältige – und sich wechselseitig verstärkende – Bedingungen gesehen werden. Wie der in diesem Fall sehr zutreffende englische Begriff „mixed migration“ schon andeutet, vermischen sich hierbei Fluchtgründe wie Konflikte, Repression, schwache staatliche Institutionen oder Terror mit klassischen Migrationsmotiven wie der Suche nach besseren wirtschaftlichen Perspektiven.
Die Beliebtheit einfacher bzw. eindimensionaler Erklärungen für komplexe Migrationsgründe zeigte sich auch Ende letzten Jahres als das Wissenschaftsjournal „Science“ eine Studie veröffentlichte, die einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen der globalen Erwärmung und den Asylzahlen in Europa belegt. Während die Wissenschaft in weiten Teilen entsetzt auf diese starke Vereinfachung des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und (Flucht-)Migration reagierte, berichteten zahlreiche Medien unkritisch und übernahmen eins zu eins durchaus fragwürdige Prognosen über zukünftige Flüchtlingszahlen in Europa.
Wie der Koalitionsvertrag zeigt, gibt es aber noch ein anderes, sehr beliebtes Erklärungsmuster für Migration, welches ebenso wie die Science-Studie komplexe Zusammenhänge zugunsten einer einfachen Ursache-Folgen-Logik unterschlägt: Armut. In der Migrationsforschung weiß man schon lange, dass Armut vielmehr Migration verhindert, als dass sie diese bedingen würde. Die ärmsten Länder der Welt wie etwa Niger, der Tschad oder Burkina Faso haben kaum internationale Migranten. Erst wenn Löhne und Beschäftigung ansteigen, steigen auch die Auswanderungsraten. Wenn sich die wirtschaftliche Lage in den verschiedenen afrikanischen Ländern in den nächsten Jahren (weiter) verbessern sollte, so hieße das zwar nicht, dass sich noch viel mehr Menschen auf den gefährlichen Weg Richtung Europa machen würden. Es hieße aber durchaus, dass der Wunsch vieler Menschen, auf sicheren und regulären Wegen international zu migrieren größer werden könnte. Die Logik, wonach man mit der Förderung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, Migration unterbinden könne, geht in dieser Form nicht auf, sondern könnte sich vielmehr ins Gegenteil verkehren.
Daher müssen wir in der Auseinandersetzung mit weltweiter Flucht und Migration sowohl einfache Erklärungsmuster als auch vermeintlich naheliegende politische Lösungen überdenken. So kann die Verzweiflungsmigration tausender junger Menschen aus Afrika in Richtung Mittelmeer und Europa nicht wahlweise „nur“ mit europäischen Rüstungsexporten, dem westlichen Lebensstil, Korruption, dem Versagen lokaler Eliten, unfairen Welthandelsstrukturen oder Umweltwandel erklärt werden. Wir müssen vielmehr anerkennen, dass all diese – und viele weitere – Faktoren diese Migration verursachen. Wir müssen mehr Komplexität wagen. Dabei könnte uns ausgerechnet die Große Koalition helfen. Denn sie möchte auch eine Kommission „Fluchtursachen“ im Bundestag einrichten, um diesem Themenkomplex tiefer auf den Grund zu gehen. Das sollten wir durchaus als Chance begreifen.
Quelle: Website German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 19.02.2018[:]