Deutschland ist wirtschaftlich führend, politisch berechenbar, geografisch zentral und vergleichsweise angenehm bescheiden. Wir zahlen bereitwillig und viel in europäische und internationale Töpfe, wir helfen mit Rat und Technik, wir drängen uns niemandem auf. Die Geschichte hat Deutschland zu einem Riesen mit Anstand werden lassen. Kein Wunder also, dass die Welt Deutschland die höchsten Sympathien entgegenbringt: Wir sind das beliebteste Land der Welt! Wir können stolz sein.
Deutschland soll mehr Verantwortung übernehmen, und Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen: Dieser »Münchner Konsens« von 2014 hat die Nachkriegs-Ära beendet und den Wirkungskreis für die Zivilmacht Deutschland vergrößert. Aber wenn wir unsere Werte und Ziele ernst nehmen, unsere Ansprüche an Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, dann müssen wir tatsächlich mehr tun als heute. Vor allem müssen wir es besser tun.
Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren
Kaum ein Land kann sich so erregen und mitfühlen. Deutsche Interessen werden durchgesetzt, aber lieber über den Markt als über politischen Druck. Deutschland bringt Forderungen vor, aber besser über Partner und politische Systeme als in direkter Konfrontation. Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren, der Menschenrechte und des Multilateralismus. Damit ist unser Land der perfekte Partner für eine verstrickte Welt mit all ihren unterschiedlichen Interessen und Konflikten.
Doch organisatorisch ist unser Land zu schlecht aufgestellt für die neue Zeit. Es knarzt an allen Ecken und Enden, wenn es um die Abstimmung zwischen den Ressorts geht, um die Formulierung von außenpolitischen Zielen und Strategien, um die Schrittfolge und Erfolgsmessung des deutschen Engagements in der Welt.
Komplizierte außenpolitische Abstimmung
Wir haben es mit vier getrennten Machtzentren zu tun, die sich nur begrenzt zu einer Linie verbinden lassen. Im Kanzleramt kümmert sich ein Staatsminister um die Koordination der Innenpolitik, während das außenpolitische Engagement in einem Viereck mit den Ministerien für Außen, Verteidigung und Entwicklung abgestimmt wird, ohne dass ein zweites kraftvolles Staatsministeramt die Koordination in die Hand nehmen kann. Diese Position fehlt im Gefüge der Institutionen. Auch die politischen Ausschüsse des Bundestages entsprechen in ihrem Zuschnitt eher den Aufgaben der Nachkriegsjahrzehnte als denen einer globalisierten Welt, in der Deutschland eine zivilisierte Leitmacht sein muss. Die Budgetstruktur ist ebenfalls etwas »Old School«, die Ressorts konkurrieren mehr, als dass sie kooperieren, und dies gerade in wichtigen Fragen. Der Einsatz in Afghanistan hat offengelegt, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte nicht wirklich einsatztauglich ist.
Vor diesem Hintergrund drängen sich vermehrt Fragen auf: Was muss Deutschland neu denken, wenn die verschiedenen Handlungsfelder unseres internationalen Engagements effizienter vernetzt werden sollen? Was sind die für uns geostrategisch wichtigsten Regionen, welche unsere Interessen und Ziele dort? Welche haben wir im Rest der Welt?
Wie können wir Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik besser aufeinander abstimmen, ohne die Eigenständigkeit der Ressorts aufzugeben? Was ist Konsens in der Berliner Republik im Jahre 2017, und welche konkreten Veränderungen sollten der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung auf den Weg bringen?
Nur noch 13 Jahre bis 2030
Die globalen Selbstverpflichtungen der »Agenda 2030« müssen auch in Deutschland schon in 13 Jahren erbracht sein. Wir erleben Krieg am Rande Europas und Flüchtlinge, die zu uns kommen. In China geht jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht nicht nur die Malediven, sondern auch Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern.
Zeit also, dass wir Deutschen mit noch mehr Entschlossenheit und mehr Ergebnis handeln. Deutschland ist Mitglied in den 13 größten internationalen multilateralen Organisationen und Partner von über 40 wichtigen internationalen Verträgen. Deutschland ist der größte Beitragszahler in der EU, der drittgrößte Beitragszahler für die Vereinten Nationen und der drittgrößte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit.
Wenn wir all dies besser koordinieren, neue Schwerpunkte setzen und von der Analyse bis zur Umsetzung vernetzt agieren, kann Deutschland seine eigenen Ansprüche und die Erwartungen von außen erfüllen. Sich richtig aufstellen und einer menschenwürdigen und intakten Welt in den entscheidenden nächsten 30 Jahren als zivilisierte Leitmacht ein standhafter Diener sein, das ist Deutschlands Neue Verantwortung.
Lutz Meyer ist Gründer der Fullberry Foundation.
Quelle: Website DIE, 15.02.2017