[:en]Liebe Frau Hirsch, Sie forschen momentan auf dem Gebiet der nachhaltigen Produktions-und Konsummuster im Lebensmittelbereich. Was genau verstehen Sie unter nachhaltigem Konsum?

DH: Unter nachhaltigem Konsum versteht man die Befriedigung eigener Bedürfnisse ohne die Beeinträchtigung der Lebens- und Konsumpotentiale gegenwärtiger und künftiger Generationen. In Bezug auf Lebensmittel beziehe ich mich gerne auf die Definition aus der Ernährungsökologie mit ihren vier Dimensionen von Nachhaltigkeit: die erste ist die ökologische Dimension, betrifft die Umwelt, d. h. die Verantwortung für den natürlichen Lebensraum; die zweite – die ökonomische Dimension, die Ebene der Wirtschaft, ist mit all diesen Prozessen eng verflochten; die dritte – die soziale Dimension, bezieht die Gesellschaft, d. h. in diesem Kontext insbesondere die Berücksichtigung der Belange der Beschäftigten mit ein – und zwar weltweit, und die vierte – die gesundheitliche Dimension, bezieht sich auf jeden einzelnen Menschen, also auf die individuelle Ebene.

Könnten Sie unseren Lesern einen kurzen Überblick zu Ihrer aktuellen Forschung geben?

DH: Ursprünglich komme ich von der Seite einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen; hierbei hat mich aber schon immer die gesellschaftlichen Interaktionen interessiert, also wie die Ressourcen verwaltet werden. Ich beschäftige mich seit ca. 20 Jahren mit der Governance der Land- und Wassernutzung, v.a. in den Ländern der südlichen Hemisphäre. Es geht darum, welche Akteure die Ressourcen verwalten, wie sie interagieren, welche „Spielregeln“ bevorzugt werden: Sowohl formalisierte, wie Gesetze, Strategien, als auch nichtformalisierte wie informelle Netzwerke oder kulturspezifische Verhaltensmuster. Ein entscheidender Aspekt dabei ist die Verteilung von Verantwortlichkeiten zwischen Akteuren verschiedener Ebenen (von lokal bis zu national/international). Da es im nachhaltigen Konsum genau darum geht, Verantwortung zu übernehmen, beschäftige ich mich momentan mit den Themen, wie die vorhandenen institutionell-rechtlichen Rahmen im Bereich der Ernährungsversorgungssysteme aussehen, wie neue Einsichten über die sozialen, ökologischen und  institutionellen Dynamiken und Systeme der Ernährungsversorgung entstehen, worauf sie basieren und wer die Pioniere des Wandels sind. Ein aktueller Schwerpunkt ist die Erforschung des „Attitude-Behaviour-Gap“, d.h. der Lücke zwischen der Einstellung und dem tatsächlichem Handeln, am Beispiel der Tierwohl-Initiative in Deutschland. Ein anderer Forschungsschwerpunkt ist die Rolle urbaner grüner Infrastrukturen (u.a. Agrikultur) und damit neu entstehenden Akteure und Kooperationen zwischen Akteuren und überlappenden Governance-Strukturen für resiliente Ernährungsversorgungssysteme.

Welche neuen Akteure meinen Sie?

DH: Das In-Verkehr-Bringen nachhaltiger Produkte setzt Kommunikation und Interaktion zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette- vom Erzeuger bis zum Endkunden voraus. Nachhaltiger Konsum (und Lebensstil) stellt den gegenwärtigen Konsum in Frage, sowohl qualitativ, als auch quantitativ und stellt die Zukunftsverantwortung (intergenerationelle Nachhaltigkeit) und Verteilungsgerechtigkeit (lokal und global) in den Mittelpunkt der Betrachtung.  Um diese Gerechtigkeit zu erreichen, werden neue Formen der Kooperation zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Akteuren benötigt. Beispiele dafür könnten z.B. kooperative Erzeugungsmodelle der urbanen Landwirtschaft,  Wertschöpfungspartnerschaften,  Ernährungsräte  und  das  Modell  der  „Essbaren Stadt“ (öffentliche Parks und Anlagen werden zu Obst- und Gemüsegärten) sein.

Ist die Rolle der Ernährungsversorgung bei den Sustainable Development Goals (SDGs) thematisiert?

DH: Ernährung und Ernährungsversorgung sind in dem SDG-Ziel 2 „den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ subsumiert. Bei der Umsetzung dieses Ziels werden die Städte eine zentrale Rolle spielen, weil  die städtische Bevölkerung weltweit zunehmend wächst und ihr Bedarf natürlicher Ressourcen und Böden ansteigt. Also, „no 2 without 11“, wie das IASS einer seiner Veranstaltungen  betitelte: es ist wichtig, dass bei der Umsetzung das SDG- Ziel 2 zusammen mit dem  SDG-Ziel 11 „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen“ und dem SDG-Ziel 12 „nachhaltige Produktion- und Konsummuster“, betrachtet werden. Solch ein systemischer Ansatz wird zur Gestaltung einer „Welt nach unseren Wünschen“ führen.

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

DH: Der interdisziplinäre Austausch mit meinen Kollegen, die Arbeit mit den Kommunen und engagierten Menschen aus verschiedenen Branchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, denen ich jetzt fast täglich beruflich begegne. Durch meine Arbeit bin ich auch für das Thema selbst offener geworden, binde es in meinen Alltag ein und trage es weiter. Abends widme ich meistens meiner Familie, meinen Kindern, auch da entsteht die eine oder andere Forschungsidee, die eventuell dem Ziel der Nachhaltigkeit etwas näher bringt.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

DH: Ist es möglich, dass regional produzierte (und nicht nur regional verarbeitete) Lebensmittel für alle zugänglich werden, auch für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen?

Das Interview führte Tim Stoffel[:de]

Liebe Frau Hirsch, Sie forschen momentan auf dem Gebiet der nachhaltigen Produktions-und Konsummuster im Lebensmittelbereich. Was genau verstehen Sie unter nachhaltigem Konsum?

DH: Unter nachhaltigem Konsum versteht man die Befriedigung eigener Bedürfnisse ohne die Beeinträchtigung der Lebens- und Konsumpotentiale gegenwärtiger und künftiger Generationen. In Bezug auf Lebensmittel beziehe ich mich gerne auf die Definition aus der Ernährungsökologie mit ihren vier Dimensionen von Nachhaltigkeit: die erste ist die ökologische Dimension, betrifft die Umwelt, d. h. die Verantwortung für den natürlichen Lebensraum; die zweite – die ökonomische Dimension, die Ebene der Wirtschaft, ist mit all diesen Prozessen eng verflochten; die dritte – die soziale Dimension, bezieht die Gesellschaft, d. h. in diesem Kontext insbesondere die Berücksichtigung der Belange der Beschäftigten mit ein – und zwar weltweit, und die vierte – die gesundheitliche Dimension, bezieht sich auf jeden einzelnen Menschen, also auf die individuelle Ebene.

Könnten Sie unseren Lesern einen kurzen Überblick zu Ihrer aktuellen Forschung geben?

DH: Ursprünglich komme ich von der Seite einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen; hierbei hat mich aber schon immer die gesellschaftlichen Interaktionen interessiert, also wie die Ressourcen verwaltet werden. Ich beschäftige mich seit ca. 20 Jahren mit der Governance der Land- und Wassernutzung, v.a. in den Ländern der südlichen Hemisphäre. Es geht darum, welche Akteure die Ressourcen verwalten, wie sie interagieren, welche „Spielregeln“ bevorzugt werden: Sowohl formalisierte, wie Gesetze, Strategien, als auch nichtformalisierte wie informelle Netzwerke oder kulturspezifische Verhaltensmuster. Ein entscheidender Aspekt dabei ist die Verteilung von Verantwortlichkeiten zwischen Akteuren verschiedener Ebenen (von lokal bis zu national/international). Da es im nachhaltigen Konsum genau darum geht, Verantwortung zu übernehmen, beschäftige ich mich momentan mit den Themen, wie die vorhandenen institutionell-rechtlichen Rahmen im Bereich der Ernährungsversorgungssysteme aussehen, wie neue Einsichten über die sozialen, ökologischen und  institutionellen Dynamiken und Systeme der Ernährungsversorgung entstehen, worauf sie basieren und wer die Pioniere des Wandels sind. Ein aktueller Schwerpunkt ist die Erforschung des „Attitude-Behaviour-Gap“, d.h. der Lücke zwischen der Einstellung und dem tatsächlichem Handeln, am Beispiel der Tierwohl-Initiative in Deutschland. Ein anderer Forschungsschwerpunkt ist die Rolle urbaner grüner Infrastrukturen (u.a. Agrikultur) und damit neu entstehenden Akteure und Kooperationen zwischen Akteuren und überlappenden Governance-Strukturen für resiliente Ernährungsversorgungssysteme.

Welche neuen Akteure meinen Sie?

DH: Das In-Verkehr-Bringen nachhaltiger Produkte setzt Kommunikation und Interaktion zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette- vom Erzeuger bis zum Endkunden voraus. Nachhaltiger Konsum (und Lebensstil) stellt den gegenwärtigen Konsum in Frage, sowohl qualitativ, als auch quantitativ und stellt die Zukunftsverantwortung (intergenerationelle Nachhaltigkeit) und Verteilungsgerechtigkeit (lokal und global) in den Mittelpunkt der Betrachtung.  Um diese Gerechtigkeit zu erreichen, werden neue Formen der Kooperation zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Akteuren benötigt. Beispiele dafür könnten z.B. kooperative Erzeugungsmodelle der urbanen Landwirtschaft,  Wertschöpfungspartnerschaften,  Ernährungsräte  und  das  Modell  der  „Essbaren Stadt“ (öffentliche Parks und Anlagen werden zu Obst- und Gemüsegärten) sein.

Ist die Rolle der Ernährungsversorgung bei den Sustainable Development Goals (SDGs) thematisiert?

DH: Ernährung und Ernährungsversorgung sind in dem SDG-Ziel 2 „den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ subsumiert. Bei der Umsetzung dieses Ziels werden die Städte eine zentrale Rolle spielen, weil  die städtische Bevölkerung weltweit zunehmend wächst und ihr Bedarf natürlicher Ressourcen und Böden ansteigt. Also, „no 2 without 11“, wie das IASS einer seiner Veranstaltungen  betitelte: es ist wichtig, dass bei der Umsetzung das SDG- Ziel 2 zusammen mit dem  SDG-Ziel 11 „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen“ und dem SDG-Ziel 12 „nachhaltige Produktion- und Konsummuster“, betrachtet werden. Solch ein systemischer Ansatz wird zur Gestaltung einer „Welt nach unseren Wünschen“ führen.

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

DH: Der interdisziplinäre Austausch mit meinen Kollegen, die Arbeit mit den Kommunen und engagierten Menschen aus verschiedenen Branchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, denen ich jetzt fast täglich beruflich begegne. Durch meine Arbeit bin ich auch für das Thema selbst offener geworden, binde es in meinen Alltag ein und trage es weiter. Abends widme ich meistens meiner Familie, meinen Kindern, auch da entsteht die eine oder andere Forschungsidee, die eventuell dem Ziel der Nachhaltigkeit etwas näher bringt.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

DH: Ist es möglich, dass regional produzierte (und nicht nur regional verarbeitete) Lebensmittel für alle zugänglich werden, auch für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen?

Das Interview führte Tim Stoffel[:]